Auf dem 1. interdisziplinären Konsultativ-Treffen zu möglichen Mobbingbeweiserleichterungen, zu dem der Hersfelder Arbeitsrechtsanwalt Frank Jansen, der Fachbuchautor Hans-Jürgen Honsa aus Salzgitter und der Vorsitzende des Berliner Vereins Anti-Mobb Gerhard Schulze-Schröder in Bad Hersfeld eingeladen haben, ging es vor allem um die Diskriminierung von Mobbingopfern vor den Gerichten. Mobbing ist ein Zustand, der von vornherein bewusst zeugen- und beweislos gestaltet wird. Deshalb kommt es darauf an, den Betroffenen Hilfen anzubieten, mit denen sie sich aus der Situation befreien können. Auf dieser Veranstaltung sollte vor allem eine Antwort auf die Frage gefunden werden, wie man Mobbing vor Gericht darlegen bzw. wie man es beweisen könne.
(Anmerkung: Die Vorträge sowie die sich anschließenden Fragen und Antworten habe ich hier nur sinngemäß und verkürzt wiedergegeben.)
Vortrag von Dr. Peter Wickler
Zu Beginn berichtete Dr. Peter Wickler (ehemaliger Richter und Vizepräsident des Landesgerichts Thüringen) von der Veranstaltung in Berlin, zu der die Fraktion „Bündnis 90 / Die Grünen“ am 04.04.2014 einlud (weitere Informationen finden Sie hier). Dabei ging es darum, inwieweit eine Regelung durch den Gesetzgeber erforderlich ist. Allerdings sei bis jetzt nicht erkennbar, dass tatsächlich das ernsthafte Ziel eines entsprechenden Gesetzes verfolgt werde.
Der Referent gab einen Einblick in die Entstehung der Mobbingschutz-Rechtsprechung durch die fünfte Kammer des Thüringer Landesarbeitsgerichts und teilte das Diskussionspapier “Mobbingschutz und Regelungserfordernis durch den Gesetzgeber” aus. Mit der vom Thüringer LAG in Gang gesetzten Mobbingschutz-Rechtsprechung sei er davon ausgegangen, dass sich das Mobbingschutzproblem rechtsstaatlich lösen lasse. Diese Sichtweise bewertet er heute differenzierter. Leider habe sich trotz der aufgezeigten Justiziablität von Mobbing für die Betroffenen im Ergebnis wenig geändert. Die von ihm initiierte Rechtsprechung ist auch nicht durchgängig begrüßt worden. Zudem sei er aus Justizkreisen deshalb auch Diffamierungen ausgesetzt worden. Dabei wurde kritisiert, dass die Entscheidungen überflüssig gewesen seien und Begriffe wie “Psychofolter” übertrieben sind. Er sagte, dass man sich nicht beliebt macht, wenn man den Finger in die Wunde rechtsstaatlicher Defizite legt. Das Thüringer LAG erntete dafür jedoch viel Zustimmung in der rechtswissenschaftlichen Literatur.
- Weiterführender Artikel: „Wertorientierungen in Unternehmen und gerichtlicher Mobbingschutz“ von Dr. Peter Wickler (S. 12-19) in Unbequem Nr. 48 – Kritische Polizisten (2002)
Laut Dr. Wickler bewährt sich ein Rechtsstaat aber erst dann, wenn die zu beurteilenden Sachverhalte schwierig sind. Dies entspreche auch seiner Berufsauffassung und -ausübung. Seiner Meinung nach war das damals notwendig – und das ist es bis heute.
Betrachtet man das Phänomen „Mobbing“, könne man nicht einzelne Aktionen herausgreifen und isoliert betrachten, sondern es müsse der Gesamtzusammenhang in Zeitfolge und Systematik aufgezeigt werden. Eine Fallbeurteilung setzt sich aus diesen Aspekten zusammen bzw. ergibt sich aus der Vogelperspektive, wenn die Persönlichkeit eines Menschen durch mehrere in einem Zusammenhang stehende Handlungen angegriffen wird. Die Grundsatzurteile des Thüringer LAG um die Jahrtausendwende haben zu einer erheblichen Zunahme von Mobbingschutzklagen bei den Gerichten geführt. Allerdings hatten die wenigsten Kläger Erfolg. Dabei sei zu berücksichtigen, dass nicht jeder, der sich als Mobbingopfer sieht, auch juristisch von einer solchen Persönlichkeitsverletzung betroffen ist. Aber auch in klaren Mobbingfällen sei es nach seiner Einschätzung vielfach nicht zu einer gerichtlichen Verurteilung der Mobber gekommen. Die Gründe dafür sind vielschichtig: Teilweise erfolgt nach wie vor keine verhaltensumfassende Bewertung des Sachverhalts, sondern eine isolierte Prüfung der einzelnen Mobbinghandlungen, teilweise fehlt es auch an deren Beweisbarkeit. Manche Gerichte scheinen zudem der Auffassung zu sein, die Befassung mit einem solchen Sachverhalt sei überflüssig und es sei ausreichend, lediglich jeweils gegen die einzelnen Handlungen gerichtlich vorzugehen. Das führt allerdings oftmals nicht zum Stopp des Mobbings, sondern zu einer ständigen Befassung der Justiz mit den Problemen eines Arbeitsverhältnisses. Dadurch besteht die Gefahr, dass die klagende Person am Ende als Querulant betrachtet wird, die zu Recht ihren Arbeitsplatz verliert. Die Gerichte sagen dann so etwas wie: „Ach, der schon wieder…“ Auch wenn gute Anwälte manchmal für ihre Mandanten kämpfen und gelegentlich dabei gewinnen, werden die Opfer häufig nach einer solche Odyssee aus den Unternehmen heraus katapuliert. Solche Fälle gibt es zuhauf.
Mobbing sollte bei den ersten Anzeichen gestoppt werden und es sollten harte Konsequenzen erfolgen. Vielfach wird vertreten, dass man die ganzen Probleme betrieblich lösen könne… Geht das Mobbing aber von der Unternehmensleitung selbst aus, ist nicht zu erwarten, dass diese an einer Klärung mitwirkt. Modern gewordene Leitbilder oder Compliance-Regelungen, die einen mobbingfreien Arbeitsplatz vermitteln, sind zwar schön und öffentlichkeitswirksam. Hinter den Kulissen wird diesen allerdings vielfach nicht Rechnung getragen.
Mobbing ist das Ebola des Arbeitslebens verglichen mit sonstigen Arbeitsrechtsverletzungen. Weil Mobbingfälle so enorm arbeitsaufwendig für die Richter sind, ist das Bestreben groß, einen Vergleich abzuschließen. Trotz der enormen Arbeitsintensität müssten diese sich die erforderliche Zeit für eine umfassende Beurteilung nehmen, wenn eine gütliche Einigung scheitert. Dies sei die Aufgabe eines Richters und dafür werde er schließlich bezahlt. In Einzelfällen scheinen jedoch regelrechte Aversionen gegen Mobbingfälle zu bestehen. In diesem Zusammenhang verwies Dr. Wickler auf das Zitat eines Richters in der Frankfurter Allgemeine Zeitung aus dem Jahr 2010, welches sinngemäß wie folgt lautete: „Hören Sie mir auf mit Mobbing, davon will ich nichts hören. Seien Sie vernünftig, sonst müssen wir Sie zum Vergleich prügeln. Stimmen Sie jetzt endlich zu, ich will zum Mittagessen gehen!“ Der Artikel betraf eine vom Bundesarbeitsgericht aufgehobene Entscheidung des Landesarbeitsgerichtes Niedersachsen, an der der besagte Richter mitgewirkt hatte (2AZR544/08).
Das Schwierige bei Mobbingfällen sei es, die Spreu vom Weizen zu trennen. Was ist juristisch kein schlichter Konflikt mehr, sondern eine Kette von gezielten Angriffen auf die Persönlichkeit? Die subjektive Annahme „Mobbingopfer“ zu sein, ist für die gerichtliche Entscheidung nicht ausschlaggebend. Maßgeblich ist das Vorliegen von objektiven Fakten, die auf einen solchen Sachverhalt hinweisen. Im Ergebnis ist deshalb in vielen Fällen ein Prozess erfolglos.
Beweiserleichterungen und das Konzept der Kontrollüberlegung
Mobber hinterlassen oftmals Spuren. Hat man eine Kette von Indizien, die in einem auf gegenseitiger Achtung und Respekt angelegtem Arbeitsfeld einfach nicht normal sind, dann kann Mobbing sehr plausibel dargelegt werden. Eine darauf hinweisende Kontrollfrage kann sein: Wie würde sich ein fürsorglicher Arbeitgeber oder Kollege verhalten, der keinen Konflikt schüren, sondern ein Problem sachlich lösen möchte? Dieser würde keine unnötige Fehlersuche betreiben, am Boden liegenden Mitarbeitern einen Fußtritt geben o. Ä.. Das sogenannte „psychische Nachtreten“ könnte demnach als aussagekräftiges Indiz herhalten. Das Konzept derartiger Kontrollüberlegung wurde aber in der bisherigen Rechtsprechung bis auf in wenigen Fällen nicht aufgegriffen (Literaturhinweis: Dr. Bernd Ruberg: Schikanöse Weisungen. Psychosoziale Gefährdung am Arbeitsplatz im Blickfeld der Gerichte für Arbeitssachen – nicht nur! – bei “Mobbing”. LIT: 2010 (2. Auflage) sowie Peter Wickler: Wertorientierung in gerichtlichen Unternehmen und gerichtlicher Mobbingschutz. Der Betrieb: 2002, S. 482).
Das Bundesarbeitsgericht hat 2007 erstmals ein Urteil gefällt, in dem es sich mit der Mobbing-Problematik befasst hat. Dabei war es im Ansatz zunächst der vom Thüringer Landesarbeitsgerichts begründeten Rechtsprechung gefolgt. In einem zweiten Urteil des desselben Jahres hat es dann einen neuen Ansatz für die Mobbingbewertung gefunden. Diesen hat es aus §3, Absatz 3 des AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) hergeleitet, der verbotene Belästigungen erfasst, die mit Mobbing vergleichbar sind. Das AGG dient eigentlich dazu, Diskriminierung aufgrund von verschiedenen Merkmalen (Rasse, ethnische Herkunft, Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter, sexuelle Identität) zu verhindern oder zu beseitigen. Für die Träger eines solchen Diskriminierungsmerkmals bewirkt dieser Absatz einen gesetzlichen Schutz, allerdings nur mit der Einschränkung, dass die Mobbinghandlungen durch dieses Diskriminierungsmerkmal verursacht werden. Deshalb bietet es sich an, eine dem AGG entsprechende gesetzliche Regelung zu treffen, die alle Mobbingfälle erfasst und nicht nur solche, bei denen ein Diskriminierungsmerkmal des AGG ursächlich für das Mobbing ist. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass die Betroffenen bei allen Lösungsansätzen davon abhängig sind, dass die Richter den Fall entsprechend den rechtsstaatlichen Anforderungen lösen und nicht einfach nur vom Tisch haben wollen, wie es zum Beispiel in dem zitierten Zeitungsartikel der Fall war. Vielmehr bedarf es darüber hinaus eines Bewusstseins in der Justiz, dass es erforderlich ist, das Ebola des Arbeitsrechts zu bekämpfen und es nicht länger mit Samthandschuhen anzufassen. Solange sich dieses Bewusstsein aber nicht verändert, wird sich auch die Lage der Betroffenen nicht verbessern.
Fragen an Dr. Peter Wickler
Dr. Alfred Fleissner (Vorsitzender des Klima e. V.) fragte: Haben Sie nicht auch das Gefühl, dass die Zeit reif sei für eine gezielte Kampagne?
Antwort: Im April bei den Grünen sagte ich: Ja, wir brauchen ein Gesetz, um die Rechte der Betroffenen zu stärken. Das AGG ist unzureichend, weil man Diskriminierungsmerkmalträger sein und sich das Mobbing darauf beziehen muss, um es anwenden zu können. Kann man sich in dem vorliegenden Fall nicht auf das AGG berufen, weil die Voraussetzungen nicht erfüllt sind, dann ist man in einer schlechteren Position. Während beim AGG eine Beweislastumkehr gesetzlich vorgegeben ist, ist dies bei Mobbingbetroffenen, die nicht darunter fallen, nicht so. Insofern besteht eine durch den Gesetzgeber abzuschaffende Ungleichbehandlung. Bislang äußern sich Politiker natürlich immer öffentlich gegen Mobbing, aber sie tun nichts für eine rechtliche Stärkung der Opfer.
Klaus Schiller-Stutz: Wie soll ein Opfer das Mobbing beweisen, wenn der Richter nicht danach fragt, was in der vergangenen Zeit auf der Prozessebene gelaufen ist? Welche Definition für Mobbing wäre sinnvoll? Welches Raster müsste eine außenstehende Person aufstellen, um die Mobbinghandlungen erfassen zu können? Wie müssten Rechtsanwälte, Psychiater, Psychologen ticken, damit sie dem Opfer wirklich helfen können, den Fall zu beweisen?
Antwort: Ein solches Vorgehen würde das System sprengen. Der Kläger muss einen Sachverhalt liefern. Das kann ihm keiner abnehmen. Die Richter können nicht in die Unternehmen gehen und gucken, wie es da abläuft. Das Gericht prüft, ob es einen Sachverhalt gibt, aus dem sich eine Persönlichkeitsrechtsverletzung ableiten lässt (z. B. wegen Mobbings). Sollte dieser nicht schlüssig oder eindeutig sein, dann sollte das Opfer nicht vor Gericht gehen. Ist er es allerdings und wird von der Gegenseite alles abgestritten, bedeutet dies, dass dann die Beweise und Gegenbeweise geprüft werden müssen. Bei einer Beweislastumkehr wäre ein erfolgreiches Prozessieren deutlich leichter. Eigentlich müsste der Arbeitgeber dafür Sorge tragen, dass kein Arbeitnehmer während seiner Arbeit einen Schaden erleidet. Die Instrumente sind da, aber es fehlt in vielen Fällen der gute Wille.
Frage aus dem Publikum: Was spricht für Sie dagegen, sich mehr zu engagieren – sozusagen als charismatische Figur? Warum korrigieren Sie nicht die Urteile, die verfälscht von Ihnen im Internet im Umlauf sind? Sie haben so viel erreicht, warum machen Sie nicht als Vorbild weiter? Warum sagen Sie nicht öffentlich, dass kein Mensch in Ihrem Namen falsche Urteile weitergeben darf?
Antwort: Ich bin kein Übermensch und ich bin nicht unangreifbar. Auch ich unterliege der Kritik und der Kontrolle. Eine Homepage aufzubauen und andere Urteile zu kritisieren, würde meinen Grundüberzeugungen widersprechen. Meine Rechtsstaatsverständnis beruht darauf, dass Urteile von Gerichten im vorgeschriebenen Instanzenweg überprüft werden. Mein Ansatz ist der: Wenn ich beruflich mit einem Fall konfrontiert bin, der ein rechtsstaatliches Eingreifen erfordert, dann muss ich das tun. Dafür müssen dann auch private Bedürfnisse zurückgestellt werden. Aber es ist nicht mein Job, die Welt zu retten.
Mobbing und Straining – Prof. Dr. Harald Ege
Wie wird Mobbing von Gerichten in Italien behandelt? Wenn jemand eine Geschichte erzählt, weiß man nicht, ob diese Geschichte stimmt. Man hat nur wenige Informationen über die Person bzw. nur solche, die von der Person selbst stammen. Diese Informationen sind jedoch oftmals sehr einseitig. Kommt jemand also zu einem Gutachter, dann in der Regel nur deshalb, weil er prozessieren bzw. ein Guthaben haben will. Deshalb müsse Prof. Dr. Ege – ebenso wie die richterlichen Gutachter im Allgemeinen – stets sehr kritisch sein und jeden Fall genauestens überprüfen.
Ihm zufolge ist es in Deutschland sehr gefährlich, seine Meinung frei zu äußern, da hier Interessen herrschen. Die Vertreter der Parteien vertreten nicht die Interessen des Volkes, sondern die der Parteien. Mobbing ist nicht gerade sehr beliebt. Wer darüber redet, macht sich keine Freunde. In Italien war es so, dass das Wort Mobbing Anfang der 1990er Jahre unbekannt war. Es entstand dann aber eine Art Boom. Prof. Dr. Ege sprach in Talkshows darüber und kam sich dabei vor, wie ein „exotisches Tier“. Man redet zwar darüber, aber machte im Alltag so weiter wie bisher. Dann gab es im März 1999 ein Mobbing-Urteil, in dem der Richter etwas als „Mobbing“ bezeichnete, obwohl es keines war. Vielleicht wollte der Richter damit aber auch nur etwas Aufsehen erregen? Es ging dabei um eine Maschinenarbeiterin, die an ihrer Maschine zu wenig Platz (6 qm) hatte. Im März 2001 gab es dann das erste richtige Mobbing-Urteil.
Das Problem ist die Vielzahl der Definitionen. Er selbst hat in den vergangenen Jahren vier davon herausgebracht. Definitionen sind aber interpretierbar, dieser Spielraum muss allerdings eingeschränkt werden. Lange hat man darüber diskutiert, ein Mobbing-Gesetz zu entwickeln, wogegen er allerdings stets war, da er die Definitionen wegen ihrer beliebigen Auslegbarkeit für die Juristerei nicht mochte. Aus diesem Grund wurde dann ein Parameter-System eingeführt. Seither müssen sieben Parameter „abgeklappert“ werden. Sind sie vorhanden, ist es Mobbing. Sind sie nicht vorhanden, ist es kein Mobbing.
In Folge des Parameter-Systems hat man dann erkannt, dass es relativ wenig (nur ca. 20% der Klagen) Mobbingfälle gibt. Bei den meisten anderen Fällen handelt es sich um andere Arten von Konflikten. Daraufhin wurde der Begriff „Straining“ in die Rechtsprechung eingeführt, worunter eine permanente Auswirkung des Arbeitsplatzes auf das Opfer zu verstehen ist, also das Ausgesetztsein einer permanenten Stresssituation. Strafrechtlich relevant wäre jeweils immer nur eine spezifische Situation. Allerdings summieren sich diese Situationen oftmals auf. Bedeutet ein Straining für das Strafrecht also jeweils nur eine Aktion, hat es zivilrechtlich seither eine höhere Relevanz. Kann eine betroffene Person während ihrer Arbeit (z. B. bei Versetzung in ein Sterbezimmer) ihre sozialen Kontakte nicht mehr pflegen oder bei Entzug der Aufgaben, diesen täglich nicht mehr nachkommen, entsteht dadurch eine dauerhafte Belastung, die man eben Straining nennt.
Was ist nun aber ein Schaden? Menschen geben dem Umfeld mehr Bedeutung als sich selbst. Das ist oftmals der Grund für eine Depression. Die persönlichen Werte (“Ich möchte glücklich sein oder meine Ruhe haben.”) haben weniger Bedeutung als die Konflikte mit dem Umfeld. Das wird zum Beispiel dann deutlich, wenn das Bedürfnis nach Ruhe durch negative Gedanken gestört wird. Menschen beschäftigen sich also auch nachts mit ihren Problemen, anstatt auf ihre Bedürfnisse zu hören. Provokationen sind Fremdbestimmungen: „Ich will, dass Du Dich ärgerst.“ Nun kann mich sich dazu entscheiden, dem anderen nicht das Recht einzuräumen, über die eigenen Gefühle zu bestimmen… Prof. Dr. Ege ruft also entschieden dazu auf, sich nicht fremdbestimmen zu lassen!
Menschen benutzen häufig einen Sprachgebrauch, den sie nicht beherrschen. So gibt es bspw. keinen „psychologischen Schaden“. Es gibt nur einen psychischen Schaden. Man muss Worte ihm zufolge also definieren können. Einer meint, er werde gemobbt, weil er gestresst ist, ein anderer, weil er eine schlechte Beurteilung erhält etc. Aus diesem Grund wurden in Italien die sieben Parameter entwickelt und eingeführt:
- Ort: Jeder Fall kann ausgeschlossen werden, der nicht am Arbeitsplatz stattfindet.
Fallbeispiel: Ein Fußballer durfte nicht mehr mit seiner Mannschaft trainieren, sondern musste dazu mit seinem Masseur auf einen Acker gehen. Da der sportliche Kontext des Trainings aber zu seiner Arbeit gehörte, verurteilte das Gericht den Verein zu einer Geldstrafe und zu Punktabzug in der Liga wegen Mobbings. - Dauer: Mobbing muss mindestens 6 Monate andauern. Die Begründung leitet sich daraus ab, weil ab diesem Zeitraum laut DSM IV auch eine Erkrankung „chronisch“ ist. Es handelt sich demnach bei Mobbing also um eine chronische Konfliktsituation.
- Häufigkeit der Aktionen: Die Mobbinghandlungen müssen mindestens monatlich stattfinden.
- Mindestens eine feindselige Handlung, die eine permanente Veränderung der Arbeitssituation hervorruft. Dabei wird auf die typischen Mobbinghandlungen von Leymann Bezug genommen.
- Ungleichheit zwischen den Antagonisten: Opfer-Täter-Ungleichgewicht
- Mobbing ist ein dynamischer Konflikt, d. h. kein statischer. Es gibt also verschiedene Phasen (vgl. Phasenmodell von Mobbing).
- Es muss eine Verfolgungsabsicht gegeben sein. Mobbing findet nicht zufällig statt, sondern gezielt.
Vier Ebenen von Schäden
- Beruflicher Schaden: Hat eine Person nicht die gleichen Aufstiegschancen? Bekommt die Person ungleiche Lohnerhöhungen als seine Kollegen? Erhält jemand nicht die gleichen Prämien auf derselben Grundlage oder wird er ausgeschlossen? Dies wären alles Beispiele für einen sogenannten Vermögensschaden. Auch fehlende Einladungen zu Fortbildungsangeboten sind eine Form des beruflichen Schadens. Nach einiger Zeit ist der Mitarbeiter dann nicht mehr auf dem neueste Stand und kann mit seiner Qualifikation auf dem Arbeitsmarkt nichts mehr anfangen. Diese Methode ist unspektakulär aber äußerst wirksam: Das Opfer leidet und niemand bekommt es mit.
- Biologischer Schaden: Hierunter fallen psychosomatische Schäden, Schlafstörungen, Störungen im Verdauungstrakt, Schweißausbrüche, Depressionen, Panikattacken, die posttraumatische Verbitterungsstörung (Prof. Dr. Linden) etc.
- Existenzieller Schaden: Hier geht es um die Existenz und die Lebensqualität der Person. Dazu zählen die folgenden vier Säulen: 1) Intimität und Sexual- bzw. Familienleben, 2) Sozialleben, 3) Sportaktivitäten und Fitness, 4) Hobbys. Ein existenzieller Schaden ist ebenfalls ein Vermögensschaden! Das Vermögen des Arbeiters ist sein Körper und sein Intellekt! Deshalb entsteht ihm, wenn er seine regenerativen Fähigkeiten oder Möglichkeiten verliert, ein Vermögensschaden.
- Strafschaden: Hierbei wird das Opfer zivilrechtlich abgekoppelt vom eigentlichen Ereignis. Jemand wird bestraft für die Schwere der Tat.
In einem Gutachten geht es nicht um Beweise, sondern um Einschätzungen, d.h. um Bewertungen. Sie dienen dazu, dass jeder Richter die Schäden nachvollziehen kann. Ein Gutachten hat mehrere Funktionen: (1) Konfliktbestimmung (Mobbing, Stalking, Stress oder was auch immer) und (2) Einschätzung der Schadenshöhe. Ein Husten ist schließlich auch kein Schnupfen. Prozesse gewinnt man nur durch eine klare Linie. „Wenn alles Mobbing ist, dann ist es nichts!“
Anmerkung von Dr. Peter Wickler
Mobbing ist eine psychosoziale Dauerbelastung und immer ein Prozess:
0 → Tat 1 → Tat 2 → Tat 3 → Tat 4 → … → Tat x
Wenn unter Straining eine psychosoziale Dauerbelastung verstanden wird, dann ist das nichts Neues. Diese Problematik wurde in der Rechtssprechung schon im Jahr 2005 erfasst (vgl. z. B. Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 28.06.2005, 5Fa63/04). Demnach kann eine solche Tathandlung eine Klammerwirkung zu anderen Tathandlungen entfalten und ein weiteres Auseinanderliegen entsprechender Handlungen kompensieren. Das Vorliegen einer psychosozialen Dauerbelastung unterbricht nicht den Mobbingzusammenhang. Jeden Tag aufs Neue wirkt sich diese dann auf das Individuum aus. Die sieben Parameter entsprechen einer wissenschaftlichen Herangehensweise, sind allerdings nicht neu, weil sie tlw. in der Rechtsprechung schon so praktiziert werden und/oder nicht praktikabel sind.
- Parameter 1: Demnach gäbe es kein Mobbing in Vereinen, im Internet, in der Schule etc. (Antwort: Doch, es wird dann nur anders genannt!)
- Parameter 2: Ist Mobbing nur als solches zu definieren, wenn die Dauer von sechs Monaten erreicht wird? Wenn nun jemand „nur“ über fünf Monate schikaniert und ausgegrenzt wird, ist das dann kein Mobbing mehr?
- Parameter 3: Es ist nicht unbedingt erforderlich, dass Mobbinghandlungen mehrmals monatlich stattfinden. Wie ist das mit dem Straining, d.h. wenn eine psychosoziale Dauerbelastung im Hintergrund läuft? Hat eine solche Tat nicht per se eine Klammerwirkung?
- Parameter 4: Es muss eine Täter-Opfer-Beziehung vorliegen, das ist seit Urzeiten Standard der Mobbing-Rechtsprechung in Deutschland. Diese Täter-Opfer-Beziehung setzt aber nicht voraus, dass der Betroffene in der betrieblichen Hierarchie untergeordnet ist. Eine entsprechende Beziehung liegt allerdings nicht vor, wenn das Opfer Gegenmobbing betreibt.
- Parameter 5: Welchen Sinn hat ein Phasenmodell? Leymann benannte solche Phasen schon aus seiner (eher medizinischen) Sicht. Juristisch kann man mit einem solchen Modell allerdings nicht arbeiten, da die Einhaltung der Phasen keine Voraussetzung einer juristischen Bewertung ist.
- Parameter 7: Verfolgungsabsicht? Hier verwies er auf den Unterschied zwischen „Bezwecken“ und „Bewirken“. Da sei die deutsche Rechtsprechung ihm zufolge schon weiter. Auch ohne ein Bezwecken kann man demnach aufgrund eines Bewirkens schon Täter sein.
Es kommt nicht auf die Definitionen an, sondern vor allem darauf, dass die Rechtsprechung etwas bewirkt, möglichst für Jedermann!
Antwort von Prof. Dr. Harald Ege: Die Rechtsprechung bzgl. Mobbing ist in Deutschland gegenüber der in Italien seines Erachtens rückständig. Die italienischen Gerichte verwenden die benannten Parameter seit 13 Jahren, wodurch dort Mobbing-Urteile erst möglich geworden sind. Durch diese klare Definitionen über die Parameter wird Mobbing beweisbar! Auch die Abgrenzung zum Straining mache ihm zufolge Sinn.
Literaturhinweis: Harald Ege. Straining: Eine subtile Art von Mobbing. Vandenhoeck & Ruprecht: 2014. Hier finden Sie eine Rezension.
Dr. Argeo Bämayr – Psychische Gewalt und die kumulative Belastungsstörung
Als Nervenarzt betreute er viele Mobbing-Patienten. Er ging das Thema stets von der medizinischen Seite an, um der Justiz zuzuarbeiten. Betriebsleitungen sind häufig nicht in der Lage oder nicht Willens Mobbing anzugehen. Er hat deshalb ein Mobbing-Syndrom postuliert. Laut ICD 10 gibt es Reaktionen auf schwere Belastungen (akute Belastungen, die posttraumatische Belastungsstörung sowie die Anpassungsstörung). Diese drei in den Kriterienkatalogen vorhandenen Diagnosen erfassen aber nicht das, was für die Betroffenen passt. Ein Blick auf den zeitlichen Verlauf bzw. den Zeitstrahl begründet dies. Treten akute Belastungsreaktionen gehäuft und systematisch auf, kommt es ihm zufolge oftmals zu einer kumulative Belastungsstörung. Eine Anpassungsstörung wäre in solchen Fällen eine komplette Fehldiagnose, weil die Schuld für die Fehlanpassung beim Betroffenen gesucht bzw. diesem nahegelegt wird. Deshalb sei es sinnvoll, die kumulative Belastungsstörung ins ICD-11 aufzunehmen. Darunter könnte man das häusliche Gewaltsyndrom, das Mobbing-Syndrom etc. fassen.
Psychische Gewalt, wenn sie wiederholt wird, ist ein eigenständiges Phänomen, das zu bestimmten Störungen führt. Sie ist in Deutschland bislang weitestgehend straflos anwendbar, müsste aber genauso sanktioniert werden wie die physische Gewalt. Wie man dem Gesetzgeber eine „kumulative Belastungsstörung“ allerdings schmackhaft machen könne, ist ihm noch nicht klar. Die Fokussierung auf eine Aufzählung einzelner Symptome ist jedenfalls vollkommener Quatsch! Die Hirnforschung (vgl. Joachim Bauer „Schmerzgrenze: Vom Ursprung alltäglicher und globaler Gewalt“) zeigt auf, dass kein grundsätzlicher Unterschied zwischen psychischer und körperlicher Gewalt besteht, wobei die betroffenen Areale inzwischen lokalisiert sind. D.h. die Anwendung psychischer Gewalt ist nachweisbar. Prof. Dr. Bauer erwähnt diesen Begriff wohl nicht direkt, benennt allerdings Ausgrenzung und Demütigung. In der Diskussion kam die Frage auf, ob die Führungskräfte in Politik und Wirtschaft die Strukturen psychischer Gewalt vielleicht auch deshalb dauerhaft straffrei halten wollen, damit sie diese weiterhin ausüben können? Die Deutungshoheit jedenfalls liegt in den oberen Etagen. Was ist aber, wenn diese Menschen nun gehäuft Persönlichkeitsmerkmale aufweisen, die die Anwendung psychischer Gewalt begünstigen oder ohne angemessene Empathie dulden? Die Persönlichkeitsstruktur der Machtausübenden spielt also auch immer eine wichtige Rolle, so leider manchmal auch bei Richtern. Letztere sehen sich oftmals dazu veranlasst, bei Prozessen auf Vergleiche hinzuwirken – auch aus Gründen der Arbeitsbelastung. Die Betroffenen fühlen sich durch diese Art des Umgangs mit ihrem (vermeintlichen) Recht in vielen Fällen den Auswirkungen “struktureller Gewalt” ausgeliefert, was ihr Leid weiter verstärken kann.
Literaturhinweis: Argeo Bämayr. Das Mobbingsyndrom. Diagnostik, Therapie und Begutachtung. Europäischer Universitätsverlag: 2012. Hier finden Sie eine Rezension.
Gerhard Schulze-Schröder – Selbsthilfegruppe „AKTIVe Hilfe gegen Mobbing am Arbeitsplatz“
Warum seine Selbsthilfegruppe so viel Interesse an dem Thema hat? Einer allein kommt nicht aus der Mobbingsituation heraus. Wenn ein Betroffener tausendmal erlebt, dass die Mobber mit ihren Handlungen durchkommen, wie geht es diesem danach? Dem Problem muss begegnet werden. Die Frage lautet also, wie man den Betroffenen dabei helfen kann, zu ihrem Recht zu kommen.
Oftmals findet eine Art „Nachmobbing“ statt, womit das gemeint ist, was nach dem Mobbing geschieht. Wenn die Krankenkassen einem zum Beispiel mitteilen, dass man kein Krankengeld bekommt, oder wenn ein MDK falsche oder fadenscheinige Gutachten erstellt und den Betroffenen auffordert, wieder an den Arbeitsplatz zurückzukehren. Betroffene haben oftmals das große Pech, dass sie den Anfang ihrer Mobbing-Situation meistens nicht mitbekommen, sondern erst dann etwas feststellen, wenn die tausend Nadeln schon platziert sind. Die akutesten Erfahrungen bleiben in Erinnerung. Das vollständige Bild erschließt sich einem aber erst nach etlichen Gesprächen.
Dipl.-Jur. Univ. Sebastian Hartmann: Mobbing – ein unbekanntes Phänomen
Zum Abschluss der Veranstaltung berichtete Dipl.-Jur. Univ. Sebastian Hartmann über ein Promotionsvorhaben aus dem Bereich des öffentlichen Dienstes. Zunächst zeigte er nochmals auf, dass Mobbingfälle in der Regel sehr komplex sind und eindeutige arbeitsrechtliche Definitionen fehlen. Ein inflationärer Gebrauch des Begriffes, ein mangelndes Bewusstsein für rechtliche Konsequenzen und zahlreiche rechtliche Probleme gingen damit einher. Zwar finden sich viele Eingrenzungsversuche, die aber nicht verbindlich sind (z. B. die Definition von Esser & Wolmerath).
Der kleinste gemeinsame Nenner ist bislang, dass es einzelne diskriminierende und schikanöse Handlungen gebe, das zeitliche Element sowie die Verbindung dieser Handlungen. Die rechtliche Würdigung sei jedoch je nach Definition oder Ansicht des Richters sehr unterschiedlich, d.h. es besteht ein großer Beurteilungsspielraum. Der Gesetzgeber schweigt jedoch dazu, weshalb die Gerichte und Anwälte auf bestehende Gesetze zurückgreifen müssen. Ein entsprechendes Gesetz müsste berücksichtigen, dass das Korsett nicht zu eng sein darf, damit genügend Raum für die Betrachtung der Einzelfälle bleibt. Allerdings müsste das bislang sehr Uneinheitliche in der Bewertung reduziert werden. Die Signalwirkung eines solchen Gesetzes wäre wohl sehr groß und eine entsprechende Regelung auch vor dem Hintergrund der Beweisführung dringend notwendig. Während Europa sich gegen Diskriminierung einsetzt und Mobbing in vielen anderen Ländern bereits in den Gesetzen verankert ist, lässt diese Rechtsverbindlichkeit in Deutschland auf sich warten. Mindeststandards müssten also definiert werden.
Im öffentlichen Dienst gebe es ihm zufolge ein Mobbingvakuum. Hier greifen andere Mechanismen und der Weg zu den Gerichten wird oftmals nicht gewählt. Die Folgen seien stattdessen Frühpensionierung, dauerhafte Krankenausfälle, ganze Abteilungen als Durchgangsstationen für Betroffene etc. Wie ich es verstanden habe, ist das Problem der Ausschlussfristen, dass Ansprüche in einem Zeitraum von drei bis sechs Monaten geltend gemacht werden müssen. Nach der letzten Mobbing-Handlung ist diese Zeit aber oftmals bereits verstrichen. Diese Fristen würden demnach auch bei einer Verletzung der Persönlichkeitsrechte gelten. Erst seit dem 20.06.2013 könne eine Haftung wegen Vorsatzes nun aber nicht mehr ausgeschlossen werden. Da bei Mobbing regelmäßig und vorsätzlich gehandelt wird, gelten diese Ausschlussfristen also wohl nicht (im Gegensatz zu tariflich verhandelten Abmachungen).
Als Lösungsansätze schlägt er die Verwendung bekannter Rechtsfiguren, eine Ausgestaltung durch die Gerichte sowie eine klare Gesetzgebung seitens der Politik vor. Auch das Straining müsse berücksichtigt werden: Straining ist eine vorsätzlich herbeigeführte Belastungssituation unter der das Opfer psychische und/oder physisch erkrankt und unter dem aufgebauten Druck zusammenbricht. Darunter würde dann auch das isoliertes Auftreten einer einzelnen aber anhaltend belastend wirkenden Aktion fallen (z. B. die Versetzung in ein sogenanntes “Sterbezimmer”), was in vielen Mobbingfällen inkludiert ist. Straining trete demnach häufiger auf als das klassisch definierte Mobbing.
Abschließende Anmerkung von Hans-Jürgen Honsa
Um eine Nachhaltigkeit des Treffens zu gewährleisten, soll im kommenden Jahr am 20./21. November ein zweites in Salzgitter stattfinden.
PS: Für die Aussagen zur Rechtsprechung übernehme ich keine Gewähr.