Das Hamburger Burnout-Inventar – Interview mit Prof. Dr. Matthias Burisch

Der Burnout-Test HBI misst 10 Dimensionen und genügt als einziges auf deutsch online verfügbares Instrument wissenschaftlichen Ansprüchen der Testkonstruktion: Seine Reliabilität und Validität wurden geprüft. Weltweit wurde er bislang von mehr als 300.000 Personen bearbeitet.

Das Burnout-Institut Norddeutschland (BIND) wurde 2008 von Prof. Dr. Matthias Burisch gegründet, der sich seit mehr als einem Vierteljahrhundert wissenschaftlich und praktisch mit Burnout beschäftigt. Sein Buch Das Burnout-Syndrom. Theorie der inneren Erschöpfung (5. Auflage 2014) gilt als das deutschsprachige Standardwerk zum Thema. Heute arbeitet er als Berater, Trainer und Coach für Psychologen und Führungskräfte.

Ihr Hamburger Burnout-Inventar (HBI) kommt in den nächsten Tagen bei SpringerTest heraus. Stimmt es, dass das HBI schon 30 Jahre in Gebrauch ist? Was hat denn so lange gedauert?

M. B.: Erstmal: Das stimmt tatsächlich. Mein Buch Das Burnout-Syndrom war 1988 bei Springer untergekommen, es erschien dann ein Jahr später. Aber das war für mich noch nicht das Ende. Das Thema hatte mich gepackt; das hat sich bis heute nicht geändert. Es wurde mir dann aber schnell klar, dass fast die gesamte Burnout-Forschung auf tönernen Füßen stand, weil die verwendeten Tests so unzulänglich waren. Auch das hat sich bis heute nicht verändert. Also mussten wir selber ran. Drei Diplomandinnen halfen mir mit ihren Projekten. Eine erste Validierungsstudie verlief dann positiv, aber damit war es natürlich auch noch nicht getan. Weitere folgten um einiges später.

In all den Jahren hatte ich an eine formale Veröffentlichung eigentlich gar nicht gedacht. Ein Testmanual hatte ich ja geschrieben und auf unserer Website allgemein zugänglich gemacht. Der Fragebogen selbst wurde über die Jahre dutzendfach angefordert und in Forschungsprojekten eingesetzt; von den Ergebnissen hörten wir allerdings nur selten etwas.

Dann passierte etwas Neues. Mein Buchverlag gründete eine eigene Testabteilung, und die kam auf mich zu. Ich habe das Manual dann noch einmal überarbeitet und ergänzt, anschließend verging noch einmal ein Jahr. Aber jetzt, mit einer runden Jahreszahl, soll es erscheinen.

Und was misst das HBI?

M. B.: Wir haben zunächst die vier Merkmale übernommen, die auch in früheren Tests erfasst werden: Emotionale Erschöpfung, Leistungsunzufriedenheit, Distanziertheit und Überdruss. Dazu kamen sechs weitere, die sich als gut messbar erwiesen.

So ein Test wird ja nicht als Selbstzweck eingesetzt. Wo sehen Sie die Anwendungsmöglichkeiten?

M. B.: Zum einen natürlich weiterhin in der Burnout-Forschung. Die hat ja einen erstaunlichen Umfang angenommen. Zum anderen sorgen sich anscheinend viele, viele Menschen, vor allem die Jungen, es könnte sie „erwischt“ haben. So ein Test kann ja der Selbstvergewisserung dienen. Und schließlich kann das HBI im Einzelfall Klinikern bei der Klärung helfen, wo genau das Kernproblem des Patienten zu finden ist. Unter Umständen kann das Therapiestunden sparen, weil der Prozess abgekürzt wird.

Für Zwecke der Betrieblichen Gesundheitsförderung ließe sich das HBI zur Aufklärung von Handlungsbedarf nutzen. Natürlich ausschließlich anonym und unter strengstem Datenschutz. Oder zur Evaluation von Maßnahmen der Organisationsentwicklung. Das wird normalerweise mit Ad-hoc-Fragebögen gemacht, aber da hätte ein standardisiertes und validiertes Instrument Vorteile.

Noch eine Frage zum Stichwort „Selbstvergewisserung“: Kann man denn nach wie vor auch selbst eine HBI-Auswertung bestellen, oder muss das ab jetzt über Psychologen laufen?

M. B.: Ja, das HBI bleibt über die Website des Burnout-Instituts Norddeutschland weiterhin allgemein zugänglich. Wir haben mit dem Verlag vereinbart, dass dieser zweite Zugang offen bleibt.

Wenn man sich ein bisschen umsieht, gibt es ja Dutzende von Fragebögen zu Burnout. Was ist das Besondere an Ihrem, am HBI?

M. B.: Stimmt, das Angebot ist breit, und es ist überhaupt nicht ausgeschlossen, dass brauchbare Alternativen darunter sind. Bloß, man weiß es nicht. Nur in den seltensten Fällen haben sich Autoren den beiden arbeitsaufwendigen Aufgaben gestellt: Der Validierung und der Normierung. Beim HBI kann man für fast alle der 10 Skalen sagen, dass sie recht gut mit den Einschätzungen von Bekannten der Probanden übereinstimmen. Das ist in diesem Fall besonders bemerkenswert, weil Burnout ja etwas ist, was Betroffene gern unterm Deckel verstecken. Die Normen andererseits erlauben es, im Einzelfall abzuschätzen, wie auffällig ein konkreter Befund tatsächlich ist. Natürlich kann man auch bei Illustrierten-Tests immer sagen: Ab X Punkten sollten Sie aufpassen! Aber wenn X nur von Gefühl und Wellenschlag des Testautors abhängt, dann kann es sein, dass drei Viertel der Menschheit als gefährdet eingestuft werden. Oder nur 1 Prozent.

Sie haben ja große Datenmengen mit dem HBI gesammelt. Gibt es da eigentlich Geschlechtsunterschiede, wie so oft behauptet wird? Und wie steht es mit dem Alter?

M. B.: Das hat uns selbst erstaunt: Die Mittelwerte von Frauen und Männern sind auf allen Skalen so ähnlich, dass wir auf separate Normierung verzichten konnten. Und das Gleiche gilt für den Alterseffekt. Es ist möglich, dass sich das bei sehr fortgeschrittenem Alter ändern würde, aber aus dieser Gruppe haben wir noch zu wenig Daten.

Schon vor ein paar Jahren titelte die ZEIT „Noch jemand ohne Burnout?“. Wenn man die Pressemeldungen zum Thema verfolgt, könnte man auf die Idee kommen, dass die Häufigkeit ständig zunimmt. Ist das so?

M. B.: In Zeiten von COVID gibt es sicher Menschen, die unverhofft mit schweren Problemen zu kämpfen haben, beruflichen, finanziellen, gesundheitlichen. Denken wir auch an die Krankenpflege, die war schon immer besonders gefährdet. Aber das verursacht nicht zwangsläufig Burnout. Extravertierte leiden im Augenblick wahrscheinlich stärker als Introvertierte. Ganze Berufsgruppen, die jetzt sehr plötzlich vom Aussterben bedroht sind, etwa Musiker, Schauspieler, Gastronomen — da wird es sicher Krisen geben, die man unter den Begriff fassen muss. Von Entwicklungen außerhalb Deutschlands, wo es öfter um die Existenz geht, ganz zu schweigen. So weit die aktuelle Bedrohung, von der wir hoffen, dass sie vorbeigeht, sobald alle geimpft sind.

Ansonsten muss man sich Folgendes klar machen: In den Medien wird berichtet, was Journalisten in ihrem Umfeld erleben, was sie erzählt bekommen oder über andere Medien erfahren haben. Wenn man davon ausgeht, was man liest oder hört, müsste man überall Flächenbrände vermuten. Aber das muss nicht der Realität entsprechen. Die wenigen aussagefähigen Daten, die ich kenne, deuten darauf hin, dass Burnout in Deutschland eher seltener geworden ist, jedenfalls zwischen 2007 und 2014. In diese Zeit fiel immerhin die vorletzte große Wirtschaftskrise.

Wie wird es weitergehen mit Burnout? Was ist Ihre Prognose?

M. B.: Burnout hat es schon immer gegeben und wird uns auch erhalten bleiben. Ähnliches gibt es ja sogar bei manchen Tieren. Das dürfte bei uns als Reaktionsmöglichkeit auf Fallensituationen festverdrahtet sein. Es stimmt schon: Primär sollten wir die Ursachen bekämpfen. Aber wo das nicht hilft, oder besser: auf jeden Fall, müssen wir auch Resilienz aufbauen. Das Leben ist bekanntlich kein Ponyhof. Aber als Straflager ist es nun auch wieder nicht gedacht.

Vielen Dank für das Interview!

Kontakt:

Literaturhinweise:

  • Burisch, Matthias (2014). Das Burnout-Syndrom (5. Auflage). Springer Verlag.
  • Burisch, Matthias (2015). Dr. Burischs Burnout-Kur – für alle Fälle. Springer Verlag.

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