Als Trainer und Coach werde ich immer wieder mit Themen konfrontiert, die auch in der Psychotherapie eine zentrale Rolle spielen können. Von daher fühlte ich mich dazu aufgefordert, mich mit den entsprechenden Fragestellungen auch selbst einmal intensiv auseinanderzusetzen. Darüber, inwieweit das zwingend erforderlich sein sollte, kann man zwar gewiss streiten, meine persönlichen Erfahrungen zeigen mir allerdings, dass es eigentlich unverantwortlich wäre, es nicht zu tun.
Ein – wie ich finde – ganz wesentlicher Bestandteil der Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten ist es, sich intensiv mit der eigenen Persönlichkeit zu beschäftigen. Dafür gibt es genügend gute Gründe. Im Ärzteblatt (PP 14, Ausgabe März 2015, Seite 122) heißt es bspw.: „Selbsterfahrung soll durch die systematische Auseinandersetzung mit dem eigenen Erleben und Verhalten die therapeutische Kompetenz der Ausbildungsteilnehmer fördern. Diese Auseinandersetzung geschieht durch die Bewusstmachung und Auflösung „unbewusster oder verdrängter oder dem angestrebten Beruf nicht angemessener Seiten der eigenen Person, des eigenen Selbst“ […] Neben dem Erkennen eigener „blinder Flecken“ soll die psychotherapeutische Beziehungs- und Interaktionskompetenz durch den Erwerb und die Kultivierung therapieförderlicher Selbstanteile und Ressourcen gestärkt werden.“ 1
Selbsterfahrung versus Lehrtherapie
In vielen Ausbildungsinstituten wird eine Selbsterfahrung ausschließlich im Gruppensetting angeboten, was sich m. E. ganz erheblich von einer Psychotherapie unterscheidet. Die (groben) Themenfelder und Methoden, mit denen in den Selbsterfahrungswochenenden gearbeitet wird, stehen dabei i.d.R. fest, werden also oftmals nicht flexibel an den Bedarf einzelner TeilnehmerInnen angepasst. Fokussiert werden hierbei die Auswirkungen eigener psychischer Zustände auf das therapeutische Arbeiten. Je nach Organisation der Selbsterfahrung komme noch hinzu, dass der „therapeutische“ Kontakt zu Selbsterfahrungsanleitern teilweise recht gering sei und sich die Hauptarbeit mit (wechselnden) Ausbildern abspiele, wodurch interpersonell völlig andere Prozesse zum Tragen kommen als in der Psychotherapie.
Psychotherapeutische Selbsterfahrung als Coach?
Auch in den gängigen Weiterbildungen zum Coach, Psychologischen Berater oder Heilpraktiker für Psychotherapie wird die aktive Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit in der Regel gefordert. Hier geht es allerdings in erster Linie darum, den Absolventen persönliche Erfahrungen mit jenen Methoden zu ermöglichen, die im Rahmen dieser Fortbildungen vermittelt werden. Ziel dabei ist es, herauszufinden, welche Methoden zu einem passen und deren Wirksamkeit einmal selbst zu erfahren. Das ist zwar sinnvoll, allerdings sollte sich m. E. auch jeder, der mit Techniken aus dem psychotherapeutischen Kontext arbeitet, die Zeit für eine professionell begleitete Selbstexploration nehmen.
Seit jeher gibt es Geschehnisse in meinem Leben, die Fragen aufgeworfen und mich immer wieder in Konflikte geführt haben, die ich dann mit mir selbst austragen musste. Obwohl ich schon früh versucht habe, mir diese Dinge zu erklären, konnte ich darauf in den vielen Jahren keine hinreichenden Antworten finden. Jetzt weiß ich, dass die meisten Probleme, mit denen ich es im Laufe meines Lebens zu tun hatte, im Grunde genommen unbeholfene Versuche waren, frühkindliche Bedürfnisse zu befriedigen, für die ich lange Zeit keine Worte fand.
Es macht also Sinn, sich mit der eigenen Persönlichkeit auseinanderzusetzen, auch wenn man Psychologe ist. Aber warum sollte das Studium einen Unterschied machen? Wie bei allen Menschen finden sich auch bei uns dysfunktionale oder maladaptive Erlebens- und Verhaltensweisen, die in die Beziehungen zu unseren Klienten oder Patienten hineinwirken können 2. Von daher halte ich es für unabdingbar, sich bewusst mit ihnen auseinanderzusetzen, damit sie kommunizierbar und korrigierbar werden.
Die Methode der Selbstreflexion ist – für sich allein genommen – kein geeigneter Ersatz! Hierbei gelingt es in der Regel lediglich, über das nachzudenken, was man ohnehin schon über sich weiß. Dabei kann es zwar auch zu einem Erkenntniszugewinn kommen, die wirkliche emotionale Bedeutung des Betrachteten zu erfassen, ist jedoch nicht ganz so einfach. Deshalb sollte ihr ein Erfahrungsprozess vorausgehen, der das emotionale Erleben beinhaltet und somit das Risiko vermindert, im Intellektuellen und Rationalen hängenzubleiben. Wie sich dieser Unterschied anfühlt, habe ich jedenfalls in aller Deutlichkeit zu spüren bekommen. Natürlich ist es äußerst unbehaglich, sich seiner eigenen – wie auch immer gearteten – „Bedürftigkeit“ bewusst zu werden und nach Möglichkeiten zu suchen, adäquat mit ihr umzugehen. Erhellend ist es aber allemal!
Gespräche mit (m)einem Therapeuten
In einer tiefenpsychologisch fundierten Gesprächstherapie geht es u. a. darum, unbewusste Reaktions- und Verhaltensmuster zu erkennen und ggf. zu verändern, indem man danach schaut und daraufhin im Idealfall besser versteht, wie sie entstanden sind. Wurden innere Konflikte oder traumatische Erlebnisse nicht gelöst bzw. nicht adäquat verarbeitet, wirken sie in die Gegenwart hinein und verursachen – so die Theorie – dort Leid. Doch obwohl die Geschehnisse aus der Vergangenheit (insbesondere jene aus der Kindheit) von zentraler Bedeutung sind, geht es in den Gesprächen vor allem um die Bearbeitung aktueller Problembereiche und ihrer Hintergründe.
Doch wie kann man sich die Zusammenarbeit mit einem tiefenpsychologisch ausgebildeten Therapeuten konkret vorstellen? Wird man von diesem analysiert und daraufhin mit Aussagen konfrontiert, die einem dabei helfen sollen, jene Psychodynamiken besser zu verstehen, die das eigene Denken, Empfinden und Verhalten in spezifischen Situationen beeinflussen? Und was geschieht dann? Das möchte ich in diesem Artikel gern an einigen Beispielen aus dem Fundus meiner eigenen Erfahrungen aufzeigen.
„Lerne zu werden, der du bist, und sei danach.“ Pindar
Ungefähr fünf Jahre lang habe ich regelmäßigen Abständen mit einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie über mich und mein Leben gesprochen. Damals war es mir ein zentrales Anliegen, endlich einmal gründlich „in meiner Psyche aufzuräumen“. Gründe dafür gab es genug: Schon der Beginn meines Lebens war ein klassischer Fehlstart. Als ich geboren wurde, ließ mich meine Mutter im Krankenhaus zurück, woraufhin ich meine ersten 1½ Lebensjahre in einem Kleinkinderheim verbrachte. Da die Beziehung zu meinen Adoptiveltern auch nicht ganz unproblematisch war, ging ich davon aus, dass es sinnvoll sei, da nochmals genauer hinzuschauen. Aber auch im weiteren Verlauf meines Lebens gab es die ein oder andere Entwicklung, die ich gern besser verstehen wollte. Da ich mich beruflich schon eine ganze Weile intensiv mit den Wirkmechanismen psychotherapeutischer Gesprächsführung beschäftigte, hielt ich es zudem für eine gute Idee, es nochmals selbst zu erfahren, wie es sich anfühlt, im Rahmen einer therapeutischen Beziehung über meine Probleme und Gefühle zu sprechen. Der eigentliche Anlass aber war eine Sinnkrise, die ich 2012 hatte. So gab es also viele Themen, über die wir im Laufe der Zeit in aller Ausführlichkeit diskutierten. Obwohl wir unsere Zusammenarbeit schon sehr früh „berufsbezogene Beratung“ genannt haben, was im Grunde genommen aber eine Mischung aus beruflicher Supervision und therapeutischer Selbsterfahrung war, habe ich mich dabei stets gefühlt wie ein „richtiger“ Patient. Von daher halte ich die Bezeichnung „Therapie“ durchaus für stimmig.
„Wer an den Spiegel tritt, um sich zu ändern, der hat sich schon geändert.“ Seneca
Für eine tiefenpsychologisch fundierte Gesprächstherapie Ich habe mich übrigens bewusst entschieden, da sich die analytische Vorgehens- und Betrachtungsweise m. E. hervorragend dafür eignet, sich selbst zu erkunden, um ein tieferes Selbst-Verständnis zu erlangen (im Sinne einer Selbstklärung), indem man sich mit der eigenen Vergangenheit – aber auch mit aktuellen Problemen – gezielt („aufdeckend“) auseinandersetzt. Dass ich mich im Rahmen meiner Lehr- und Beratungstätigkeit selbst vorrangig mit Konzepten aus dem Bereich der Kognitiven Verhaltenstherapie sowie mit einigen der humanistischen Therapieverfahren beschäftigte, bekräftigte mich in dieser Entscheidung. Ich ging davon aus, dass ich mit der Wahl eines Therapeuten, der tiefenpsychologisch arbeitet, der Gefahr eines „Kompetenzgerangels“ vorbeugen kann. Selbstverständlich habe ich mich parallel zu den Gesprächen auch eigenständig mit meinen Themen befasst. Trotzdem war es – wie ich im Rückblick sagen muss – unabdingbar, jemanden zu haben, der mich auf diesem Weg begleitet, der sich mir sozusagen als „Kompass“ zur Verfügung stellt und mich mit Fragen konfrontiert, der mir hier und da seine Einschätzungen mitteilt und der mich auf der emotionalen Ebene „erreicht“. Obwohl ich die Kosten für diese Gespräche selbst tragen musste, bin ich überzeugt davon, dass ich mit diesem Geld kaum etwas Sinnvolleres hätte tun können.
Mir ging es also vor allem darum, an den Kern meines Selbst heranzukommen und meine Lebensgeschichte besser zu verstehen. Deshalb suchte ich – mehr oder weniger bewusst – nach einem Therapeuten, der mir dabei helfen konnte, mich im therapeutischen Setting auf etwas einzulassen, auf das ich mich aus bestimmten Gründen ohne diese spezielle Art der Hilfe niemals mehr eingelassen hätte, und hatte das große Glück, jemanden zu finden, der mir genau das ermöglichte.
Die Aufarbeitung meiner Vergangenheit
Es gibt Themen, die sich allein nur schwerlich sinnvoll aufarbeiten lassen. Um meine Kindheit aufzuarbeiten, brauchte ich jedenfalls jemanden, der mir spiegelte, inwieweit ich mich auf meine eigenen Wahrnehmung verlassen könne bzw. ob und wo ich dazu neige, Erlebtes zu dramatisieren oder schmerzvolle Erfahrungen zu bagatellisieren. Obwohl ich gut darin geübt bin, Menschen zu unterstützen, ihre emotionalen Konflikte aufzulösen, bin ich mir selbst immer wieder ausgewichen, wenn es bspw. darum ging, mich der Wut auf meinen Vater zu stellen. Darf ich sie überhaupt zulassen oder müsste ich ihm nicht für das danken, was er für mich getan hat? Wäre es nicht eigentlich meine Aufgabe, ihm zu verzeihen bzw. mich mit ihm zu versöhnen?
So, wie es also im Lehrbuch steht, führten uns unsere Unterhaltungen immer wieder zurück in die Zeit meiner Kindheit und Jugend. Dabei durfte ich feststellen, dass mich diese intensive Form der Auseinandersetzung mit jenen Menschen, mit denen ich es damals zu tun hatte, und mit den Gefühlen, die ich in diesen Lebensphasen hatte, ab und zu ganz schön angestrengt und manchmal auch sehr belastet hat. Dieses Risiko war ich allerdings bereit einzugehen, auch wenn ich mich deshalb gelegentlich in Gemütszuständen wiederfand, in denen ich mir selbst äußerst unheimlich wurde. Über frühe Bindungserfahrungen zu sprechen, zumal dann, wenn sie kompliziert waren, kann einen innerlich sehr aufwühlen. Das ein oder andere Mal hatte ich den Eindruck, ich wäre wieder der kleine Junge, der ich einst war. Zumindest habe ich mich meinem Therapeuten wohl mehrfach von einer Seite gezeigt, die mit meiner beruflichen Rolle in keinster Weise korrespondiert. So forderte ich gelegentlich auf recht dramatische Weise jene fürsorgliche (väterliche) Zuwendung von ihm ein, die ich mir als Kind gewünscht hätte – obwohl mir durchaus klar war, dass wir uns in einem therapeutischen Setting befanden und der Mann, mit dem ich da sprach, ganz gewiss nicht mein Vater war. Ich denke, man nennt das wohl „Regression“. Zu meinem Glück konnte mein Therapeut das aber gut aushalten und mich auch stets wieder aus den damit einhergehenden Reaktionsmustern herausführen. In diesen Momenten habe ich insbesondere seine gelungene Gratwanderung zwischen Nähe (im Sinne eines „Nachnährens“ oder „Reparentings“) und Distanz („Aufforderung, Selbstverantwortung zu übernehmen“) als äußert hilfreich empfunden. Interessant war es übrigens auch zu erfahren und zu erleben, dass es im Zusammenhang mit Übertragungen auch um Erwartungen und Fantasien gehen kann.
„Jeder Mensch ist ein neuer Versuch der Natur, mit sich ins Reine zu kommen.“ Christian Morgenstern
Wie gesagt, meine fachliche Ausrichtung unterscheidet sich fundamental von der meines Therapeuten, woraus sich natürlich ganz verschiedene Blickwinkel ergeben. An einem konkreten Beispiel wurde mir das besonders deutlich: Vor ungefähr zwei Jahren befasste ich mich intensiver mit der PSI-Theorie von Prof. Dr. Julius Kuhl. Dank dieser Persönlichkeitstheorie veränderte sich mein Blick auf den Menschen grundlegend. Obwohl ich meinem Therapeuten das Buch „Spirituelle Intelligenz“ – nachdem ich es mit Begeisterung gelesen hatte – geschenkt habe, kam es nie zu einem Gespräch darüber. Da in die PSI-Theorie (insbesondere im Zusammenhang mit dem Extensionsgedächtnis) u. a. auch Überlegungen von C. G. Jung – dem Begründer der Analytischen Psychologie – eingeflossen sind, hatte ich zumindest gehofft, er würde sich irgendwann mal dazu äußern. Das geschah aber nicht. Dabei hätte es mich z. B. sehr interessiert, was er von dem Phänomen der „vertikalen Regression“ hält, da ich in besonders kritischen Phasen etwas Vergleichbares bei mir selbst recht gut beobachten konnte.
Vertikale Regression: Stressbedingter Verlust der Steuerung der unteren Ebenen durch die oberen Ebenen. Wenn das Stressniveau nicht herunterregulierbar ist, dann kann es ab einer kritischen Stressintensität dazu kommen, dass man Gewohnheiten oder emotionale Impulshandlungen ausführt, auch wenn sie überhaupt nicht zu den eigenen Vorsätzen, Zielen und Motiven passen.
Die vertikale Regression ist mit chronischer Bedürftigkeit durch Verängstigung verbunden, die zur Blockierung der Selbstwahrnehmung führt, so dass ein verwirrendes Grübeln über Einzelheiten entstehen kann, die vom Gesamtzusammenhang (dem Selbst) losgelöst sind. Man spricht hier von latenter Alienation, weil der Zugang zu einem nicht beobachtbaren (latenten) System, nämlich dem Selbst, geschwächt ist.
„Jeder Mensch hat seinen wunden Punkt und das macht ihn erst menschlich.“ Oscar Wilde
Obwohl es gelegentlich auch Gespräche gab, die mich zeitweilig etwas aus der Bahn geworfen haben, und andere, die ich mir gern erspart hätte, da sie in mir nichts in Bewegung brachten, bin ich mit dem, was ich im Rahmen der bisherigen Gespräche für mich erarbeiten konnte, sehr zufrieden. Deshalb habe ich mir überlegt, diesen Artikel zu schreiben, in dem ich ausgewählte Themen bzw. Fragestellungen, um die es in den vergangenen fünf Jahren ging, in aller Kürze darstelle. Die rmeisten davon spielen auch in der Arbeit mit meinen Klienten/-innen immer wieder eine zentrale Rolle, andere zeigen exemplarisch etwas auf, das ich für bedeutsam halte..Auf diese Weise erfahren Sie auch, wie ich die Arbeit meines Therapeuten erlebt habe und was mir persönlich geholfen hat.
Thema 1: Negatives Selbstkonzept
Negative Selbstkonzepte entstehen durch abwertende Äußerungen der Eltern oder anderer Bezugspersonen, die auf recht unerfreuliche Weise identitätsstiftend sind. Als Kind wurde mir z. B. immer wieder gesagt, dass ich „schwierig“ sei. Diese Aussage habe ich in Form einer Überzeugung in mein Selbstkonzept integriert und durch mein eigenes Verhalten dafür gesorgt, dass sich diese Annahme immer wieder bestätigt. Obwohl es gewiss dysfunktionalere Überzeugungen gibt, habe ich sie doch als störend empfunden und nach einem Weg gesucht, sie aufzulösen. In dem Artikel „Passamtsarbeit bei einschränkenden Identitätsüberzeugungen“, auf den ich leider erst vor Kurzem aufmerksam wurde, erläutert Dr. Bernd Schmid eine wunderbare Methode, die ich in diesem Zusammenhang für hilfreich halte. Die Selbstzuschreibung, dass ich „schwierig“ sei, habe ich übrigens für mich so verändern können, dass sie in ihrer Dysfunktionalität abgeschwächt wurde. Heute sage ich also lieber, dass ich „eigen“ bin, da ich das für deutlich weniger problematisch halte und trotzdem daran glauben kann. Vielleicht mag das etwas lächerlich wirken, aber m. E. steckt der Teufel oftmals im Detail. Mir hat es jedenfalls geholfen, ein anderes Wort zu finden.
In diesem Zusammenhang muss ich auch an die zahlreichen Gespräche denken, in denen es um jene Persönlichkeitsanteile ging, die ich an mir selbst nicht sonderlich mag. So habe auch ich das ein oder andere Verhaltensmuster (bzw. entsprechende Gewohnheiten) entwickelt, auf das ich nicht gerade stolz bin, was ich aber für vollkommen normal halte. Trotzdem löst es nicht selten Schamgefühle (unterschiedlicher Intensität) aus, wenn ich mich gedanklich damit beschäftige. Dieses Bild von Manfred Evertz zeigt das, was ich dann erlebe und fühle, m. E. ganz hervorragend auf. Mit dem Modell der Ich-Instanzen von Sigmund Freud würde ich das in etwa so beschreiben: ES äußert sich mittels triebhafter Impulse, die vom ÜBER-ICH als Bedrohung empfunden und abgewehrt werden, was dazu führt, dass man sich vor Scham beugt, das ICH erstarrt und eine Maske aufsetzt, um den inneren Konflikt vor seiner Umwelt zu verbergen. So in etwa stelle ich mir das jedenfalls manchmal laienhaft vor. Wie kann es nun gelingen, seinen Schatten (ein Begriff von C. G. Jung) anzunehmen und „ganz“ zu werden, d.h. sich mit jenen Bedürfnissen zu arrangieren, die die besagten Impulse auslösen? Mit dieser Frage haben wir uns immer mal wieder beschäftigt, da es natürlich keine Antwort gibt, die immer passt. Letztendlich ist es aber dann doch ganz einfach:“Change it or accept it!“ Besonders hilfreich ist es wohl aber, wenn einem kongruent signalisiert wird, dass das, was man an sich ablehnt, keineswegs dazu führen muss, weniger wertschätzend behandelt zu werden.
Thema 2: Selbstwertgefühl
Gesprochen haben wir auch mehrfach darüber, wie sich eine mögliche Diskrepanz auswirken kann, die zwischen dem impliziten und expliziten Selbstwertgefühl besteht. Auch wenn man sich seiner Leistungen und Erfolge bewusst ist, kann man sich zugleich wertlos oder „nicht liebenswert“ fühlen. Die Ursachen dafür liegen in der Regel in der Kindheit. In dieser Zeit entwickelt sich bei vielen Menschen eine innere Stimme, die eine mögliche Kritik anderer vorwegnimmt, um sich gegen die zu erwartende Verletzung schon im Vorfeld zu immunisieren. In seinem Buch „Hermann! – Vom klugen Umgang mit dem inneren Kritiker“ beschreibt Tom Diesbrock eine äußerst wirkungsvolle Methode, wie man sich mit dieser Stimme versöhnen kann. Die wohlwollende und wertschätzende Haltung meines Therapeuten hat mir sehr dabei geholfen, diesen Teil meines Selbst zu ergründen und mein Selbstwertgefühl nachhaltig zu stabilisieren. Im Laufe der Zeit habe ich es dank seiner Hilfe – und der dieses Buches – immer besser geschafft, meinen inneren Kritiker an die Hand zu nehmen und ihn ruhiger werden zu lassen. Heute würde ich sagen, dass die oben erwähnte Diskrepanz zwischen meinem expliziten und meinem impliziten Selbstwertgefühl auf ein gesundes Maß geschrumpft ist. Eine Anleitung finden Sie übrigens in dem Artikel „Der Mythos der eigenen Minderwertigkeit“.
Thema 3: Internale Schuldattributionen
Schuldgefühle, die man mit sich herumträgt, können manchmal zu recht befremdlichen Reaktionen führen und im hohen Maße belastend sein. Plagt man sich also damit, ist es oftmals schon sehr hilfreich, darüber zu sprechen, um genauer zu verstehen, warum man sich eine Schuld zuschreibt. In einem sokratischen Dialog lassen sich die Gründe dafür dann gut hinterfragen und/oder widerlegen. Hilfreich ist es zudem, einen Anwalt in sein Inneres Team einzuberufen und sich von diesem „verteidigen“ zu lassen, während man sich die Frage stellt, ob bzw. inwieweit man tatsächlich für das, was vorgefallen ist, verantwortlich sei? Wie das im therapeutischen Setting funktioniert, beschreibt Thomas Prünte in „Für einen fairen Prozess sorgen“. Mir gefällt diese Idee auch deshalb so gut, weil ich sie seit etwa zwei Jahren bei mir selbst anwende. Führe ich jetzt also einen inneren Dialog, in dem es um Dinge geht, die ich mir vorwerfe, so formuliere ich eine Verteidigungsrede und stelle mir dabei vor, ein Anwalt würde mich bzw. meine Interessen vertreten. Meine Wahl – um ein dabei Bild vor Augen zu haben – fiel auf Andrew Samuel Griffith aus der TV-Serie „Matlock“. Jedenfalls kann ich dank dieses Vorgehens auf meine hier und da auftretenden Schuldgefühle inzwischen einigermaßen abgeklärt reagieren und – auch wenn ich etwas tatsächlich sehr bereue – gleichzeitig so etwas wie „Selbstmitgefühl“ empfinden. Vielleicht ist es aber auch lediglich der wohlwollende und verständnisvolle Blick meines Therapeuten, den ich seither in meiner Vorstellung abrufe? Wie dem auch sei, es hilft!
Attribution: Zuschreibung von Eigenschaften und Ursache-Wirkung-Beziehungen gegenüber der Realität durch die handelnde Person zur Erleichterung der Orientierung im Alltag. Attributionen ersetzen häufig überprüftes Wissen. (Quelle: Gabler Wirtschaftslexikon)
4: Irratationale Überzeugungen
Kognitive Grundannahmen führen dazu, dass wir die Dinge so sehen und bewerten, wie wir es tun. Sie wirken auf allen Ebenen der Physiologie eines Menschen, sie prägen seinen Körperausdruck sowie seine innere und äußere Haltung. Auf Grundlage dieser fundamentalen Überzeugungen ordnet, beurteilt und strukturiert jedes Individuum seine Welt auf eher unbewusste Weise. Obwohl ich mich schon sehr lange mit den Methoden der kognitiven Umstrukturierung befasse, habe ich es als sehr schwierig empfunden und zum Teil sehr lange dafür gebraucht, meine eigenen irrationalen Überzeugungen eindeutig zu identifizieren. Im Rahmen dieser Therapie ist es mir bspw. nur einmal gelungen, eine davon aufzudecken, die meine berufliche Entwicklung allerdings enorm beeinflusst hat. Anlass war eine Äußerung meines Therapeuten, die mich noch einige Wochen beschäftigte. Hat man eine irrationale Überzeugung aber erst einmal erkannt und versteht, wie sie sich auf das eigene Leben auswirkt, kann es passieren, dass sie sich (fast) wie von selbst auflöst. In meinem Fall war das so. Der Erkenntnisprozess, der in diesem Zusammenhang bei mir in Gang gesetzt wurde, hat mich jedenfalls beeindruckt und mich zudem in die Lage versetzt, das „Drehbuch“ meines Lebens zu korrigieren, mein Lebensskript also umzuschreiben.
Thema 5: Ich-Bezogenheit
Geht es um Eigenschaften, über die ich mich maßgeblich definiere, also um zentrale Aspekte meines Selbstkonzepts, reagiere ich auf Botschaften, die bei mir den Anschein erwecken, man würde diese in Frage stellen, manchmal ganz besonders empfindlich. Man könnte sagen, ich neige dann dazu, mich zu verhalten, wie ein gekränktes Kind, das sich nicht „gesehen“ fühlt. Bemerke ich das heute, begegne ich der Kränkung, indem ich zu mir sage, dass ich mich nicht zu wichtig nehmen dürfe, da es ja sein könnte, dass ich eigentlich gar nicht gemeint bin. Vielleicht hat mein Gegenüber diese Kränkung ausgelöst, ohne sich überhaupt in irgendeiner Form mit mir zu beschäftigen? In einem der Gespräche wurde mir das anhand eines konkreten Beispiels von meinem Therapeuten jedenfalls ganz wunderbar vor Augen geführt, was mich seither in die Lage versetzt, mich deutlich schneller aus einem entsprechenden Stimmungstief herauszuziehen, indem ich mich selbst beruhige und die Motive meines Gegenübers kritisch hinterfrage.
Thema 6: Kränkungen
Zutiefst gekränkt – vielleicht vergleichbar mit einer narzisstischen Kränkung – bin ich vor allem dann, wenn ich mich von einer Person, die eine hohe emotionale Bedeutung für mich hat, in einem besonders identitätsstiftenden Aspekt – also in dem Kern meines Selbst – nicht oder nicht richtig „gesehen“ fühle. Die Folge ist, dass ich verstumme. Meine Gedanken sind dann scheinbar von meinem Gefühl abgetrennt, und sie rotieren, was im hohen Maße irritierend ist.
Narzistische Kränkung: Unter einer narzisstischen Kränkung verstehe ich Äußerungen oder Verhaltensweisen, die das Selbstwertgefühl einer Person in Frage stellen, wobei es aufgrund der dadurch ausgelösten Frustration zu hochemotionalen Reaktionen kommt.
Dankbar bin ich aber dafür, dass ich das auch in der Begegnung mit meinem Therapeuten erleben und mir somit genauer anschauen durfte. Auch wenn wir nicht alles detailliert besprochen haben, habe ich doch sehr viel daraus gelernt, was ich vor allem seiner Geduld und seiner Gelassenheit verdanke: Wo ist meine Kontaktgrenze? Wie reagiere ich auf Grenzüberschreitungen? Woran erkenne ich, ob meine Reaktion angemessen? Bei welchen Themen und auf welche Menschen reagiere ich besonders empfindlich? Da derlei Kränkungen alerdings nicht allzu häufig vorkommen, kann ich noch nicht beurteilen, inwieweit mir das dann wirklich hilft, aber ich gehe davon aus, dass es das tun wird.
Thema 7: Leitmotive
Von Anfang an, insbesondere aber in unseren letzten Gesprächen ging es dann vorrangig um eine Frage, die mich – seitdem ich denken kann – beschäftigt. Es gibt so manches Bedürfnis oder Motiv, mit dem man so durch die Welt läuft, das sich nur schwerlich in Worte fassen lässt. Findet man keinen Weg, dem gerecht zu werden bzw. es auf eine angemesse Weise zu befriedigen, sind innere Konflikte nahezu unausweichlich. Welche Auswirkungen eine (sich daraus entwickelnde) Bedürftigkeit haben kann, musste ich bereits während meiner Kindheit und Jugendzeit feststellen. Wirklich geklärt oder aufgelöst habe ich das damals allerdings nicht, obwohl das wahrscheinlich sinnvoll gewesen wäre.. Das wollte ich nun endlich tun.
Schon während meines Psychologie-Studiums interessierte ich mich deshalb vor allem für die motivationale Persönlichkeitspsychologie. Besonders faszinierte mich die Idee von Gordon Allport, dass jeder Mensch eine „persönliche Disposition“ habe, die ihn in seiner Einzigartigkeit beschreiben könne. Obwohl mir auch sein Persönlichkeitsmodell plausibel erschien, hatte ich nur eine sehr vage Vorstellung davon, wie mir dieses Konstrukt („persönliche Disposition“) dabei helfen könne, mich besser zu verstehen. Etwas, das mich im Innersten antreibt, wesentliche Aspekte meines Werdegangs am ehesten erklärt und mein aktuelles Verhalten im hohen Maße beeinflusst, würde ich auch mit einer Art Leitmotiv in Verbindung bringen. Bei einem meiner Leitmotive fiel es mir jedoch seit jeher schwer, die passenden Worte dafür zu finden. Deshalb habe ich mich immer wieder nach irgendeinem Pendant in der Fachliteratur umgeschaut. Dabei lernte ich, dass man Motive (die meist unbewusst sind und die sich vor dem Erwerb der sprachlichen Fähigkeiten herausbilden), wie bspw. in dem Modell von David Clarence McClelland (drei Grundmotive: Leistung, Macht und Affiliation), von Zielen, Plänen, persönlichen Bestrebungen, Projekten oder Anliegen unterscheiden könne. Auch über die Entstehung der verschiedensten Bedürfnisse sowie über jene Mechanismen, mit denen Menschen versuchen, diese zu befriedigen, habe ich damals viel gelesen.So richtig verstanden habe ich das besagte Leitmotiv trotzdem nicht.
Also machte ich es zum Thema in meiner Therapie. Wie schwierig es aber ist, etwas zum Ausdruck zu bringen, das man sich selbst nur mit Widerwillen eingestehen kann und für das man bislang kaum passende Worte gefunden hat, wurde mir in den letzten Sitzungen eindringlich von meinem Therapeuten gespiegelt, der meine Erkärungsversuche nach einem der Gespräche mit der lapidaren Aussage kommentierte: „Mir ist das, was Sie da sagen, viel zu theoretisch, was dazu führt, dass ich es sofort, nachdem Sie es gesagt haben, wieder vergesse.“ Gut, erklären konnte ich es ihm also nicht, zumindest wohl nicht so, dass er es sich auch hätte merken können. Das ist zwar schade, aber eigentlich nicht besonders tragisch. Immerhin habe ich dabei ja trotzdem Wesentliches gelernt.
„Erst wenn wir nicht mehr weiter wissen, lernen wir uns selbst richtig kennen.“ Henry David Thoreau
Psychologen sind auch „nur“ Menschen. Die Themen, mit denen viele meiner Klienten/-innen zu mir kommen, sind mir also zum Teil sehr vertraut. Die Erfahrung, selbst einmal im therapeutischen Setting daran gearbeitet zu haben, empfinde ich als unglaublich bereichernd, auch wenn ich das berühmte „Tal der Tränen“ dabei das ein oder andere Mal durchschreiten musste. Die Gespräche waren jedenfalls weitaus mehr als nur regelmäßige „Plauderstunden“. Durch die intensive Auseinandersetzung mit meiner Vergangenheit konnte ich viele Entwicklungen in meinem Leben sowie in meiner Persönlichkeit besser verstehen. Etliche Erkenntnisse waren sehr wohltuend, da sie mir Erleichterung verschafften und neue Handlungsspielräume aufzeigten. Allerdings gab es auch solche, die vor allem schmerzlich waren, da sie mir lediglich offenbarten, warum ich gewisse Entscheidungen traf und Dinge tat oder tue, die selbst auf mich äußerst befremdlich wirken. Jedenfalls habe ich bis jetzt keine Idee, wie mir das, was ich in diesen Zusammenhängen über mich gelernt habe, helfen soll? Vielleicht finde ich das aber ja eines Tages noch heraus? Das bleibt abzuwarten. Ich bin mir jedoch sicher, dass es manchmal nicht genügt, zu verstehen, warum etwas so ist, wie es ist, um es zu (ver-)ändern.
Im Sommer 2018 habe ich die Zusammenarbeit mit meinem Therapeuten beendet. Nicht alles, was einem an sich selbst nicht gefällt, lässt sich ändern. Manches muss man wohl einfach akzeptieren. Das ist ganz offensichtlich. So ließ sich also nicht alles klären oder auflösen, wie ich es mir vielleicht gewünscht hätte, trotzdem bin ich außerordentlich zufrieden mit dem, was wir in den fünf Jahren gemeinsam erarbeitet haben. Es macht mich allerdings traurig, wenn ich daran denke, von nun an auf einen vertrauten Gesprächspartner zu verzichten, der mir im Laufe der Zeit ans Herz gewachsen ist. Das nennt man „Abschiednehmen“. Auch das gehört zu den eher unangenehmen Aspekten, die eine erfolgreiche Psychotherapie mit sich bringen kann. .
Es war eine gute Entscheidung, mich auf diese Erfahrung einzulassen. Ich fühle mich jetzt jedenfalls „aufgeräumter“. Die Anstrengungen haben sich also gelohnt. Der Weg dorthin war allerdings recht beschwerlich.
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Fußnoten:
- 1 https://www.aerzteblatt.de/archiv/168734/Selbsterfahrung-und-Psychotherapie-Bewusstheit-ueber-subjektive-Realitaetserfahrung
- 2 Sulz, S. K. D. (2007). Supervision, Intervision und Intravision in Praxis, Klinik, Ambulanz und Ausbildung. München: CIP-Medien
Bilder: Manfred Evertz, www.manfred-evertz-art.com