“Burnout nun doch amtlich? Eine Verschlimmbesserung!” von Prof. Dr. Matthias Burisch

Matthias Burisch, Burnout-Institut Norddeutschland (BIND)

Was für eine Überraschung. Da war gerade noch in spektrum.de zu lesen: „Seit mehr als 40 Jahren beschäftigen sich Forscher mit dem Thema Burnout, doch noch immer gibt es ihnen viele Rätsel auf. Eine genaue Definition fehlt bis heute.“ Oder, fast gleichzeitig, in einem Interview des Mitteldeutschen Rundfunks, einen prominenten Psychiater hören: „Es gibt auch keine klare wissenschaftliche Definition, was ein Burnout ist und es gibt auch keine offizielle Diagnose.“ Was heißt: Burnout gibt es eigentlich gar nicht!

Aber unmittelbar drauf diese Schlagzeilen: „Burnout-Syndrom: WHO definiert es als Krankheit“ (SPUTNIK NEWS, 26.5.19); „WHO erkennt Burn-out als Krankheit an“ (SPIEGEL ONLINE, 27.5.); „Burn-out erstmals als Krankheit anerkannt“ (ZEIT-ONLINE; 28.5.). Nanu!

Die WHO, das ist die Welt-Gesundheitsbehörde in Genf. Die gibt, alle paar Jahrzehnte neu, die ICD heraus, den internationalen Diagnoseschlüssel. In Deutschland ist das die Ärzte-Bibel. Und da soll nun, nach Jahrzehnten harter Kämpfe, Burnout aufgenommen werden?

Nein, bloß eine Zeitungsente. Noch am Dienstag gab es von SPON das folgende Dementi: „In einer früheren Version hieß es, die WHO habe Burn-out im ICD-11 erstmals als Krankheit anerkannt. Die Organisation hat die Angaben inzwischen präzisiert, wir haben den Text entsprechend korrigiert.“ Tatsächlich hat sich die WHO dazu durchgerungen, Burnout als „occupational phenomenon“ (berufsbezogenes Phänomen) zu bezeichnen, nicht jedoch als „medical condition“, was wohl „Krankheit“ bedeutet hätte. Dazu gibt es eine etwas ausführlichere Symptomliste als bisher. Und eine Einschränkung: Berufsbedingt muss die Sache sein! Diese Einschränkung gab es vorher nicht.

Verbessert sich nun die Lage für Betroffene?

Im Gegenteil. Die Krankenkassen werden Therapien weiterhin sowieso nicht übernehmen. Und: Es war schon bisher unklug, sich mit der Selbstdiagnose Burnout beim Arzt vorzustellen. Da könnte nämlich der Kontakt zum Gutachter Schaden nehmen. Zukünftig sollte man aber alle außer beruflichen Problemen gar nicht mehr erwähnen. Sonst muss der ja sofort abwinken — fällt nicht unter die offizielle Richtlinie! Arbeitslose und Hausfrauen brauchen sich sowieso gar nicht anzustellen.

Schon bisher habe ich Psychiatern und Psychotherapeuten, die Therapien verschreiben möchten, immer den Rat gegeben: Meide das B-Wort in deinem Gutachten! Denn da wird die Kasse hellhörig. Besser nimm amtliche ICD-10-Diagnosen. In Zukunft gilt zusätzlich: Alles unerwähnt lassen, was nicht arbeitsbezogen ist!

Die Regelung ist wirklich hanebüchen. Oft spielt bei Burnout die Berufsarbeit überhaupt keine Rolle. Denken wir an die Ehefrau, die die aggressive Schwiegermutter pflegt. Oder solo den hochproblematischen Nachwuchs erzieht. Auch die Liste der Symptome, wäre sie nicht eh irrelevant, ist äußerst dubios. Aber wer weiß, das war ja erst der Anfang. Vielleicht wird noch nachgebessert?

Von Ausbrennern und Einhörnern

Auch nach dem WHO-Beschluss wird voraussichtlich die Frage offen gehalten werden: Burnout — gibt’s das überhaupt? Jedenfalls in Deutschland. Dazu ein paar Argumente.

Bei Marsmenschen und Einhörnern können wir klar sagen: Nein, die gibt’s wirklich nicht. Aber der Fall Burnout ist auch nur scheinbar vergleichbar. Man kann nämlich Burnout weder sehen noch anfassen. Bei Begriffen dieser Art ist die Frage Gibt’s das? nicht sinnvoll gestellt. Sinnvoller ist die Frage: Ist es nützlich, einen neuen Begriff überhaupt einzuführen? Denn die Psychiatrie ist ja weiß Gott nicht arm an Begriffen. Nehmen wir, beispielsweise, die Depression. Burnout-Leugner sagen in der Regel: Depression, das haben wir immer schon gehabt, mehr braucht‘s nicht. Um dann im selben Atemzug zu erklären, dass Depressive ganz anders behandelt werden sollten als Ausbrenner! Die es ja angeblich gar nicht gibt. Das ist nicht frei von Komik.

In Kliniken passiert genau diese Trennung schon lange. Während man Depressionspatienten in Bewegung zu bringen versucht, auch rein körperlich, bremst man Burnout-Patienten vor übertriebenem Aktionismus aus.

Übrigens: Burnout hat es schon lange gegeben, vielleicht schon immer. Jedenfalls finden sich bereits in der Bibel zwei Fallstudien, natürlich nicht unter diesem Namen. Aber das ist ein längeres Thema.

Ab nach Holland!

Was möglich wäre, zeigt der Blick über eine nahe Grenze: In die Niederlande. Das dortige Krankenversicherungssystem ist anders aufgebaut als unseres. Dort kann man sich gegen gewisse Risiken einzeln versichern, auch gegen Burnout. Letzteres musste natürlich erst einmal definiert werden. Was in Deutschland für undenkbar gilt, gelang dort schließlich, nach einiger Vorarbeit zugegebenermaßen. Drei Spitzenverbände von Psychiatern und Psychologen einigten sich 2011 auf eine praktikable Definition (Übersetzung in meinen Büchern). Übrigens wird Burnout dort nicht auf das Arbeitsleben begrenzt.

Nicht in allen Details bin ich glücklich mit der Definition. Aber sie scheint zu funktionieren. Und Holland ist nicht in Nöte geraten. Das Gesundheitswesen ist nicht kollabiert. Auch aus Österreich und der Schweiz hörte man kürzlich ähnliche Entwicklungen. Wer weiß — vielleicht geht ja auch bei uns noch was, irgendwann?

Kontakt:

Literaturhinweise:

  • Burisch, Matthias (2014). Das Burnout-Syndrom (5. Auflage). Springer Verlag.
  • Burisch, Matthias (2015). Dr. Burischs Burnout-Kur – für alle Fälle. Springer-Verlag.

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