Rezension: „Gesundes Ego – starkes Ich“ von Julitta Rössler

„In uns selbst liegt die stärkste Kraft für ein gesundes Leben. Je näher wir unserem Selbst sind, desto kraftvoller können wir das Leben meistern. Es tut gut, sein Selbst zu entfalten.“ (Klappentext)

Das Selbst steht also im Mittelpunkt dieses Buches. Das wird noch deutlicher, wenn man sich die Überschriften der einzelnen Kapitel im Inhaltsverzeichnis anschaut: Selbstwertschätzung, Selbstbewusstsein, Selbstakzeptanz, Selbstempathie, Selbstsicherheit, Selbstbestimmung, Selbstvertrauen, Selbstverantwortung, Selbstregulierung und Selbstentfaltung. Obwohl es durchaus sinnvoll ist, sich mit sich zu beschäftigen, drängte sich mir die Frage auf, inwieweit es Menschen gelingen könne, entsprechende Haltungen und Einstellungen im „stillen Kämmerlein“ zu verändern? Ist es nicht so, dass sich bspw. das implizite Selbstwertgefühl nur durch Erfahrungen stärken lässt, die im Rahmen zwischenmenschlicher Beziehungen gemacht werden? Wie dem auch sei, es interessierte mich, welche Anregungen zur Selbstreflexion ich in diesem Buch finden würde.

Die verschiedenen Kapitel beginnen jeweils mit allgemeinen Erläuterungen zum jeweiligen Thema sowie mit Fallbeispielen aus dem Leben der Klienten/-innen der Autorin. Vieles von dem erinnerte mich an Diskussionen, die ich regelmäßig in meinen Seminaren führe: Wie spricht man über Gefühle? Wie kann es gelingen, sich anzunehmen und gelassener auf andere Menschen zu reagieren? Wie gehe ich mit meinen Emotionen um? Welche Bedürfnisse habe ich bzw. wie finde ich heraus, worum es mir wirklich geht? Wie kommuniziere ich – mit mir und mit anderen? Welche Haltungen oder Einstellungen werden dabei spürbar?

Die zahlreichen Hinweise in den Kapiteln sind m. E. insbesondere hilfreich für Menschen, die sich einmal ganz grundlegend hinterfragen und ihr Leben neu ausrichten wollen. Die meisten Aussagen fühlten sich für mich stimmig an. Stutzen musste ich lediglich auf Seite 158, wo die Autorin schreibt, dass Optimisten „gesünder sind und eine um mehrere Jahre höhere Lebenserwartung haben als pessimistische Menschen“. Ist das wirklich so? Meinen Kenntnissen zufolge wird das recht kontrovers diskutiert – ist also eher strittig. Zudem erlaube ich mir die Frage, wie man es denn schaffen sollte, seine Grundhaltung (Pessimismus/Optimismus) ohne fremde Hilfe grundsätzlich zu verändern? Wie hilfreich sind solche Tipps wirklich? Aber gut, daran arbeiten kann man ja trotzdem…

Besonders interessant fand ich die zahlreichen Übungen am Ende der jeweiligen Kapitel. Viele davon kannte ich bereits, mit einigen konnte ich nicht so viel anfangen, andere hingegen haben mich begeistert! Inspiriert haben mich vor allem diese vier:

1. Der andere Lebenslauf (S. 48 ff.)

Hier wird vorgeschlagen, das Leben in 7-Jahres-Schritte zu zergliedern und die jeweiligen Entwicklungs- und Reifungsthemen herauszuarbeiten. Verschiedene Fragen sollen dabei helfen, sich bewusst zu werden, wer man ist und was man bereits erreicht hat.

2. Mein Leben als Fotoausstellung (S. 124)

In dieser Übung soll man sich sein bisheriges Leben – auf eine etwas ungewöhnliche Weise – nochmals vor Augen führen und überprüfen, ob und inwieweit es lebenswert war bzw. was man verändern möchte, damit es lebenswert wird. Die schönen und glücklichen Momente stehen hierbei im Vordergrund. Ich frage mich allerdings, wie erstrebenswert es ist, dem eigenen Glück hinterherzujagen? Prekär wird es bspw. dann, wenn man feststellt, dass man eigentlich noch weit davon entfernt ist, glücklich zu sein. Als Initialzündung für Veränderungsprozesse ist diese Übung dennoch hilfreich.

3. Die Lebensachse (S. 142)

Hier geht es darum, sich das eigene Leben aus verschiedenen Perspektiven – nämlich aus der eines Kindes und der eines alten Menschen – anzuschauen, um einen anderen Blick auf die aktuellen Gegebenheiten zu erlangen oder Probleme zu relativieren. Diese „Distanzierungstechnik“ kannte ich bereits aus der Verhaltenstherapie. Kombiniert wird sie hier mit der „Timeline-Methode“, wie sie bspw. von NLPlern gern eingesetzt wird. Diese Vorgehensweise ist m. E. sehr zu empfehlen, wenn man bemerkt, dass man eventuell dazu neigt, aktuelle Ereignisse oder Schwierigkeiten zu dramatisieren. Allerdings halte ich es für ratsam, diese Übung nicht allein durchzuführen, sondern sich einen Gesprächspartner zu suchen, der ggf. auf Verengungen in der Wahrnehmung aufmerksam machen und dabei helfen kann, die eigenen Einschätzungen kritisch zu hinterfragen.

4. Was Sie positiv berührt (S. 200 f.)

Diese Übung hat mir besonders gut gefallen. Mit dem Erstellen einer „Sehnsuchts-Collage“ (bestehend aus Bildern verschiedener Zeitschriften) können – mit der Unterstützung eines nahestehenden Menschen, der seine Assoziationen dazu äußert – Lebensziele ausfindig gemacht und entsprechende Mottosätze formuliert werden. Es geht also darum, den eigenen Kompass neu auszurichten! Die Vorgehensweise erinnerte mich sehr an die Systematik des Züricher Ressourcen Modells.

Die Übungen in diesem kompakten Ratgeber sind zusammengestellt wie ein Potpourri, in dem Ideen aus verschiedenen Strömungen der Psychologie aufgegriffen werden (Positive Psychologie, Kognitive Verhaltenstherapie, Gestalttherapie etc.), angereichert mit achtsamkeitsbasierten Verfahren und abgerundet mit etwas Story-Telling. Das Preis-Leistungsverhältnis ist okay, der Schreibstil der Autorin gefällt mir – er ist klar und einfühlsam – und die Aussagen, die in den 10 Kapiteln zu finden sind, machen Lust auf Veränderung. Gefallen hat mir übrigens der Hinweis im Schlussteil des Buches, bei der Arbeit an sich selbst keine allzu großen Schritte zu machen, da ansonsten die Gefahr besteht, sich dabei zu überfordern.

Fazit: Wer sich also einmal ganz gezielt mit seinem Selbst befassen möchte, dem kann ich diesen Ratgeber empfehlen. Erwarten Sie nicht zu viel von sich, aber annehmen sollten Sie die Herausforderung, geduldig und beharrlich an der Entwicklung Ihrer Persönlichkeit zu arbeiten. Einige der Anregungen, die Sie in dem Buch finden, können Ihnen dabei gewiss helfen.

Julitta Rössler (2018). Gesundes Ego – starkes Ich: Kraft aus sich selbst schöpfen. TRIAS Verlag in Georg Thieme Verlag KG.

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