Rezension: “Kognitive Psychologie” von Dirk Wentura & Christian Frings

Beim Springer Verlag VS ist im Rahmen einer Lehrbuchreihe, die das Basiswissen für Studierende und Lehrende der Psychologie und angrenzender Disziplinen kompakt und übersichtlich erfasst, ein Buch über die Kognitive Psychologie erschienen. Da ich mich mit diesem Forschungsbereich seit meines inzwischen mehr als zehn Jahre zurückliegenden Studiums nicht mehr intensiv beschäftigt habe, ich im Rahmen meiner Arbeit aber immer wieder mit Modellen und Ansätzen dieses Zweiges konfrontiert werde, hat mich der Titel neugierig gemacht. Da man zudem aufgrund der Erkenntnisse der Hirnforschung seit einigen Jahren von einer „emotionalen Wende“ spricht und das Bild des Menschen als (rein) rationales bzw. vernunftgesteuertes Wesen immer mehr in Frage gestellt wird, interessierte es mich, wie denn der aktuelle Stand der Forschung bzw. wie es um diesen Bereich insgesamt bestellt ist.

Prof. Dr. Dirk Wentura ist mir seit meiner Studienzeit ein Begriff. Er lehrt die Fächer Allgemeine Psychologie und Methodenlehre an der Universität Saarbrücken. Prof. Dr. Christian Frings ist in den gleichen Fächern an der Universität Trier tätig. Aufgrund dieser namhaften Autoren hatte ich große Erwartungen an das Buch, die in jeder Hinsicht erfüllt wurden.

Lehrbücher sind in der Regel so aufgebaut, dass sie eine Vielzahl von Modellen und Theorien kurz und übersichtlich nach Themen geordnet darstellen, damit der Leser einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand und ggf. über dessen historische Entwicklung vermittelt bekommt. Das Lehrbuch „Kognitive Psychologie“ geht jedoch einen anderen Weg und lädt seine Leser ein, etwas über die Theoriebildung und Arbeitsweise dieses Forschungsbereiches zu erfahren, der sozusagen als Bindeglied zwischen der klassischen, experimentellen Psychologie und der Neurophysiologie fungiert. Der Empfehlung der Autoren, dieses Buch wie einen Roman an einem Stück durchzulesen, konnte ich leider nicht nachkommen, da das Buch eine inhaltliche Dichte aufweist, die mich sehr stark forderte. Nachdem ich das Buch mehrfach zur Seite legte, um die besprochenen Inhalte gedanklich zu reflektieren, gelang es mir aber schließlich, die letzten drei Kapitel während einer Zugfahrt ohne eine Pause durchzuarbeiten und mich in ihren Bann ziehen zu lassen.

Nach einer ausführlichen Einführung darin, was die Kognitive Psychologie eigentlich ist und wie sie funktioniert, werden verschiedene Forschungsansätze und Modelle aus den Bereichen „Wahrnehmung“, „Aufmerksamkeit“, „Gedächtnis“ sowie „Denken, Entscheiden und Urteilen“ besprochen. Hierbei werden Theorien nach dem Grad ihrer Reichweite voneinander unterschieden (klein, mittel, groß) und exemplarisch vorgestellt. Dabei gelingt es den Autoren, die Art und Weise zu verdeutlichen, wie die wissenschaftliche Arbeit funktioniert, und herauszustellen, welchen Wert die einzelnen Untersuchungen für die wissenschaftliche Psychologie im Allgemeinen haben. Auch wenn viele Theorien nur skizziert werden und dieses Buch nicht den Anspruch erhebt, als Nachschlagewerk zu gelten, wird dem Leser schnell klar, wie umfangreich und wesentlich das in diesem Zweig generierte Wissen tatsächlich für ein Verständnis der menschlichen Psyche ist. Immer wieder tauchen bekannte Namen und Modelle auf, die mir seit meiner Studienzeit nicht mehr begegnet sind, und gaben mir das befriedigende Gefühl, über ein solides implizites Basiswissen zu verfügen. Aber auch ohne diese Vorkenntnisse sind die besprochenen Inhalte gut verständlich und führen den interessierten Leser an eine Sichtweise heran, die sich vom Alltagsverständnis auf eine anregende und faszinierende Art unterscheidet. Hierbei werden immer wieder einzelne Versuchsanordnungen detailliert beschrieben und erläutert, wodurch die inhaltlichen Aussagen plastischer werden und die wissenschaftliche Arbeit (auch) für Laien auf fundierte Weise erlebbar wird. In den letzten beiden Kapiteln wird dann eine Standortbestimmung der Kognitiven Psychologie vorgenommen und (wiederum expemplarisch) aufgezeigt, welche Bedeutung diese für andere Teilbereiche der Psychologie haben. Auch werden wissenschaftstheoretische und erkenntnisphilosophische Aspekte besprochen, die das Werk auf eine sehr gelungene Weise abrunden.

Es wäre vermessen, an dieser Stelle den Versuch zu unternehmen, die bereits sehr kompakt und komprimiert dargestellten Inhalte nochmals in Form einer Zusammenfassung abzubilden. Deshalb sei hier ein Zitat angeführt, dass der Kognitiven Psychologie die Rolle des Bindeglieds zwischen alltagsprachlicher Psychologie (die Verhalten auf Ziele, Wünsche und Überzeugungen von Personen zurückführt) und der Neurowissenschaft zuweist: „Pointiert könnte man [also] sagen, dass die Kognitive Psychologie die funktionale Haltung gegenüber der menschlichen Psyche ist. Die intentionale Haltung [d.h. die alltagssprachliche Psycholgie] liefert die Beschreibungen und Begriffe dessen, was erklärt werden soll. Die Kognitive Psychologie versucht, die dahinterliegenden Prozesse und Strukturen in einer funktionalen Sprache zu erklären. Sie formuliert Annahmen über Komponenten und Prozesse, die in ihnen und zwischen ihnen ablaufen […] [und] liefert damit ein begriffliches Grundgerüst für die Beantwortung der Fragen, wie diese Komponenten und Prozesse psychisch im Gehirn realisiert sind“ (Seite 159).

Das Lesen dieses Buches hat mir große Freude bereitet und mir nochmals verdeutlicht, dass die Kognitive Psychologie ein unverzichtbarer Teilbereich unserer Profession ist, mit dem es sich lohnt, sich immer wieder zu befassen. Besonders die exzellente Aufbereitung und die sorgsame Auswahl der Inhalte lassen erahnen, mit welcher Raffinesse sich die wissenschaftliche Psychologie der menschlichen Psyche widmet. Fern ab von jeglicher „Prüfungsliteratur“ werden Erinnerungen aus der Studienzeit wieder lebendig und die Beschäftigung mit den einzelnen Theorien zu einem wahren Lesegenuss.

Dirk Wentura & Christian Frings (2012). Kognitive Psychologie. Springer VS.