Buchtipp: „Nicht mit mir! Im Ausverkauf von Turm & Brücke“ von Julius Franzot

Immer wieder werden Bücher zum Thema „Mobbing“ von Menschen geschrieben, die selbst davon betroffen waren. Eine zentrale Motivation dabei ist es sicher auch, die Erlebnisse auf diese Weise aufzuarbeiten. Dadurch entsteht fast immer eine Schwere, die einem beim Lesen die Kehle zuschnürrt und deutlich macht, wie schlimm es eigentlich ist, sich in einer solchen Lage zu befinden. In dem Buch „Nicht mit mir! Im Ausverkauf von Turm & Brücke“ aus dem Jahr 2010 geht Julius Franzot einen anderen Weg und eröffnet seinen Lesern eine vollkommen neue Perspektive auf dieses Thema, die zwar auch gesellschaftskritisch und ernsthaft ist, sich aber deutlich von den meisten anderen Werken unterscheidet, indem die Psychodynamik des Protagonisten auf eine ungewöhnliche Weise fokussiert und mit großer Liebe zum Detail dargestellt wird. Eine hohes Maß an Authentizität gewinnt dieses Buch dadurch, dass der Autor seine eigenen beruflichen Erfahrungen darin hat einfließen lassen. Obwohl es vom inhaltlichen Gehalt fast den Charakter eines Sachbuches hat, ist die Handlung frei erfunden.

Der Roman wirft u. a. die Frage auf, ob Mobbing DAS moderne Führungsinstrument ist, indem er die Geschichte von Egon erzählt, der Mitarbeiter eines internationalen Pharmaunternehmens ist. Der Inhalt wird bereits auf dem Cover in Kürze beschrieben:

„Unklare Auflösungserscheinungen im Betrieb beunruhigen die Kollegen. Umorganisationen finden anscheinend nur noch statt, um ohne pressewirksame Massenentlassungen die Belegschaft zu reduzieren. Gezieltes Mobbing als „flankierende Maßnahme“ ist plötzlich an der Tagesordnung. Eines Tages trägt auch Egon dieses „Brandmal“… Was Mobbing mit und aus einem intelligenten, gebildeten Menschen machen kann, zu welchen Überlegungen über Sinn und Unsinn von Leben, Glauben und unserer Gesellschaftsform ihn diese Situation anregt – und wie er letztlich darauf reagiert, erzählt dieser Roman mit Tiefe, Witz und gelegentlichem Augenzwinkern.“

Das Phänomen „Mobbing“ wird dabei einer sehr gründlichen Analyse unterzogen und mit einer ergreifenden Genauigkeit beschrieben. Das Besondere an dem Roman aber ist, dass Julius Franzot es versteht, die archaischen Abgründe menschlichen Denkens und Fühlens mittels eines verworrenen und gleichzeitig bestechend geradlinigen Sprachstils so darzustellen, dass man das beklemmende Gefühl persönlicher Betroffenheit entwickelt und den Protagonisten zugleich in seiner Individualität erspürt. Mittels einer melancholisch anwirkenden Verspieltheit werden jene Irritationen und Irrwege aufgezeigt, denen Egon anheim fällt. Sie lassen erahnen, wie Selbstzweifel und Zukunftsängste die Persönlichkeit in einer solchen Situation zersetzen können. Die stetigen Versuche des Protagonisten, die Entwicklungen zu verstehen und Lösungen zu finden, stehen dabei der Tendenz gegenüber, sich mittels unmittelbar auf ihn einströmender Erinnerungen, romantischer Vorstellungen und triebgesteuerter Fantasien und Exzesse, an denen Sigmund Freud sicher große Freude gehabt hätte, von den Geschehnissen abzulenken. Die Beschreibungen der Ambivalenzen, Ängste und der in alle Richtungen strömenden Gedanken in den vielen Situationen seines Alltags, verleihen Egon eine Nahbarkeit und Vulnerabilität, die ihresgleichen sucht.

Dieses Buch wagt einen Blick in die Seele eines Betroffenen und besticht dabei durch eine Direktheit, die gelegentlich schockierend wirkt, gleichzeitig aber auch Hoffnung gibt, indem es die vielen Facetten des Lebens immer wieder bewusst einblendet. Die Geschichte hat mich berührt und der Schreibstil so sehr begeistert, dass ich dieses Buch an dieser Stelle gern empfehlen möchte.

Franzot, Julius (2010). Nicht mit mir! Im Ausverkauf von Turm & Brücke. Hamburg: elbaol verlag für printmedien