„Die Personalauswahl gehört zu den wichtigsten Investitionsentscheidungen eines Unternehmens. Dennoch wird sie im Alltag stiefmütterlich behandelt. Obwohl jährlich mehr als 700 wissenschaftliche Publikationen erscheinen, wählen die meisten Unternehmen immer noch nach dem Bauchgefühl aus. Dies zu ändern, ist das zentrale Anliegen dieses Buches.“ (Klappentext)
Warum ich ein Buch gelesen habe, in dem mir 50 Strategien aufgezeigt werden, die falschen Mitarbeiter zu finden, obwohl ich nicht in der Personalabteilung eines Unternehmens oder in einer Personalberatung tätig bin, möchte ich kurz erklären: Lange Zeit war ich im Bereich der beruflichen (Wieder-)Eingliederung tätig und habe diverse Bewerbungstrainings und -coachings durchgeführt. Hierbei stellte ich immer wieder dar, wie wichtig eine formal korrekte Bewerbung ist und welche Bedeutung bspw. der Darstellung der eigenen Motivation im Anschreiben (sowie im Vorstellungsgespräch) zukommt. Auch die Wirkung des Bewerbungsfotos war hierbei immer wieder ein zentrales Thema. Obwohl ich davon ausgehe, dass die Motivation, eine bestimmte Tätigkeit auszuführen, ein recht guter Prädiktor für ein entsprechendes Engagement ist, müsste mir aufgrund meiner Kenntnisse aus dem Bereich der Diagnostik eigentlich bekannt sein, dass sie nur recht wenig über die tatsächliche Eignung für eine bestimmte Position aussagt. Gleiches gilt (mit einigen Ausnahmen) für das äußere Erscheinungsbild. Trotzdem hat dieses Vorgehen in vielen Fällen dazu geführt, dass sich Unternehmen dafür entscheiden konnten, meine Klienten/-innen zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Meine Absicht war es, nachträglich mal zu überprüfen, wie sinnvoll bzw. stimmig jene Hinweise waren, die ich damals gegeben habe.
Sicher aber stellt sich nicht nur mir die Frage, ob es nicht verständlich ist, dass Bewerber sich in der Regel darum bemühen, sich in den eingereichten Unterlagen möglichst interessant darzustellen (bzw. sich „gut zu verkaufen“), und idealisierte oder auf das Anforderungsprofil zugeschnittene Angaben über ihre eigene Person sowie über ihre berufliche Entwicklung machen? Dem Autor zufolge lassen sich wohl die meisten Personalverantwortlichen bei der Auswahl ihrer Mitarbeiter jedenfalls von ihrem persönlichen (bzw. subjektiven) Eindruck leiten, obwohl dies nicht selten dazu führt, dass Stellen nicht optimal besetzt werden. Bewerbungstrainer oder Integrationsberater, die eine Vermittlungsquote erfüllen müssen, scheinen das zu wissen. Formale Schwächen, die bereits in der Vorauswahl zu einer Absage führen können, lassen sich zudem durch eine gezielte Lektüre von Bewerbungsratgebern sowie einer konsequenten Befolgung der in ihnen enthaltenen Ratschläge leicht vermeiden. Es scheint folglich, als hinge der Erfolg von Bewerbern ausschließlich davon ab, wie diese sich selbst vermarkten. So sollte es aber doch eigentlich nicht sein, oder?
In dem vorliegenden Buch wird nun also der Frage nachgegangen, wie man bei der Rekrutierung neuer Mitarbeiter nicht vorgehen sollte. Deutlich zeigt Dr. Uwe Peter Kanning, Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück, hierbei auf, welche „Fehler“ in diesem Zusammenhang verbreitet sind und wie man sie vermeiden kann. Die Spannbreite reicht von abstrusen Vorstellungen, z.B. die Persönlichkeit eines Menschen allein anhand seines Händedrucks einschätzen zu können, bis hin zur Anwendung wissenschaftlich längst eindeutig widerlegter Verfahren (z.B. der Grafologie). Insbesondere sind es aber die weite Verbreitung unstrukturierter Interviews, die im hohen Maße anfällig sind für Verfälschungstendenzen (Erwartungs-, Ähnlichkeits-, Halo-Effekt etc.), sowie das (mehr oder weniger) unbedingte Vertrauen in die Menschenkenntnis hierarchisch höher gestellter Personen oder „erfahrener“ Personalexperten, die an der Zweckmäßigkeit vieler Auswahlverfahren zweifeln lassen.
Der Autor beginnt seine Ausführungen mit einer Hinterfragung der Grundeinstellung und geht dann auf verschiedene Aspekte des Personalmarketings sowie auf die Kriterien ein, die bei der Sichtung von Bewerbungsunterlagen, beim Führen von Einstellungsinterviews oder bei der Anwendung von Testverfahren eine Rolle spielen. Hierbei zeigt er typische Irrtümer und Fehleinschätzungen auf, zieht zur Untermauerung seiner Thesen stets wissenschaftliche Studien heran und gibt abschließende Handlungsempfehlungen („Tipps für die Praxis“). Am Schluss beschäftigt er sich mit der Frage, was bei der Konzeption und Durchführung eines Assessment-Centers schief laufen und wie man es besser machen kann.
Beeindruckt hat mich vor allem der Schreibstil des Buches, der mich von Beginn an in seinen Bann gezogen hat. So schnell und begeistert habe ich bislang jedenfalls selten ein Fachbuch gelesen, dessen Thematik mich eigentlich nur am Rande interessiert. Gelernt habe ich aufgrund der zahlreichen Beispiele viel darüber, wie Personalentscheidungen in kleinen und größeren Unternehmen getroffen werden. Auch über den aktuellen Forschungsstand hinsichtlich der Methoden aus dem Feld wissenschaftlich evaluierter Eignungsdiagnostik wurde ich hinreichend aufgeklärt. Die Lektüre hat sich also nicht nur gelohnt; es hat zudem sogar noch Spaß gemacht, den Ausführungen des Autors zu folgen!
Das Buch bietet eine praktische sowie in jeglicher Hinsicht gelungene Einführung in ein Thema, das auch in Zeiten des sogenannten Fachkräftemangels von hoher Bedeutung ist. Wer Personalentscheidungen trifft oder sich in diesem Bereich betätigen möchte, sollte es m. E. also lesen. Interessante Fakten offenbart es aber auch für die Bewerber selbst, da es aufzeigt, welcher Wilkür diese eben oftmals ausgeliefert sind.
Uwe Peter Kanning (2017). 50 Strategien, die falschen Mitarbeiter zu finden… und wie Sie es besser machen können. Beltz Verlag.