Im Rausch der Gefühle

Menschen neigen manchmal zu einem rücksichtslosen Ausagieren ihrer Gefühle, scheinbar ohne dabei auf die Konsequenzen zu achten. Sie sind launisch bzw. tendieren zu extremen Stimmungsschwankungen, zu Wutausbrüchen oder zu einer Überempfindlichkeit, was für Außenstehende nicht immer nachvollziehbar ist. Die Gründe dafür können vielfältig sein: So bedingen zum Beispiel irrationale Verlust- und Trennungsängste gelegentlich eine mangelnde Selbstkontrolle. Auch die Sorge, nicht „gesehen“, ernst- oder angenommen zu werden, kann ebenfalls heftige Emotionen auslösen. Und dies sind nur einige der möglichen Erklärungen.

Haben Sie Ihre Emotionen (wirklich immer) im Griff?

Nun werden Sie vielleicht denken, dass es nun einmal Menschen gibt, die sich bzw. ihre Emotionen nicht im Griff haben. Aber wenn wir ehrlich sind, scheint es wohl in unserer Natur zu liegen, dass wir uns eben nicht immer vernünftig (oder „rational“) verhalten. Oder verlieren Sie etwa niemals die Selbstkontrolle?

  • In welchen Situationen neigen Sie zu impulsivem Verhalten oder entsprechenden Reaktionen?
  • In welchen Situationen erlauben Sie es sich, spontan bzw. aus dem Bauch heraus zu handeln, also impulsiv zu sein? Wann halten Sie das hingegen eher für problematisch?

Unseren Gefühlen ist es egal, ob sie uns stören oder ob wir sie mögen. Die kommen und gehen. Für das, was wir tun, sind wir allerdings verantwortlich. Die gute Nachricht ist: Emotionsregulation und Impulskontrolle lassen sich erlernen bzw. trainieren!

Wie gelingt es, eine Lücke zwischen Reiz und Reaktion zu entdecken, um dysfunktionale (Verhaltens-)Impulse besser zu kontrollieren und das Selbsterleben von den Inhalten negativer Gedanken bzw. Gefühle (im Sinne einer Entschmelzung oder Defusion) loszulösen? Wie lassen sich jene Strategien der Emotionsregulation erlernen (z.B. Selbstberuhigung, Selbstmotivation etc.), die für eine lösungsorientierte Kommunikation bzw. Interaktion hilfreich sind und dem Individuum eine funktionale Selbststeuerung ermöglichen? Wie das funktionieren kann, beschreiben z. B. Sven Barnow in  Gefühle im Griff oder Georg H. Eifert, Matthew McKay und John P. Forsyth in Mit Ärger und Wut umgehen. Sollten Sie die Rezensionen lesen wollen, klicken Sie einfach auf den Namen des jeweilgen Buches (blaue Schriftfarbe).

Interessant finde ich in diesem Zusammenhang übrigens das Konzept der emotionalen Erst- und Zweitreaktion von Julius Kuhl (2001): Bei der emotionalen Erstreaktion treten Emotionen spontan auf (abhängig vom Temperament, den vorherrschenden Motiven, den konditionierten Reaktionsmustern etc.). Diese aktivieren früh erlernte Reaktions- und Verhaltensmuster, die in der jeweiligen Situation nicht immer funktional sein müssen, weshalb es manchmal unklug ist, entsprechenden Impulsen unbedacht zu folgen. Dank einer (mal mehr und mal weniger) bewussten Affektregulation (z. B. durch Selbstberuhigung) kann es gelingen, eine emotionale Zweitreaktion auszulösen, die es daraufhin leichter macht, sich so zu verhalten, wie man es sich vielleicht wünscht.

“Ein Mensch kommt nur dadurch zu sich selbst, dass er von sich selbst loskommt.” Johannes von Müller

Betrachten Sie doch nun einmal das Bild des norwegischen Künstlers Manfred Evertz und beantworten Sie die folgenden Fragen. Stellen Sie sich dabei bitte vor, diese Frau hätte Sie gerade dabei beobachtet, wie Sie in einer Situation unangemessen und (viel) zu impulsiv reagieren.

Manfred Evertz

Sollten Ihnen einige der Fragen eventuell unsinnig oder wenig passend erscheinen, dann überspringen Sie diese bitte einfach.

  • Was löst dieses Bild bei Ihnen aus (Gefühle, Gedanken, Impulse)?
  • Gibt es einen bestimmten Menschen (oder mehrere), an den (oder die) Sie beim Betrachten dieses Bildes denken?
  • In welcher Beziehung stehen Sie zu dieser Person?
  • Wenn Sie mit ihr sprechen könnten, was würde sie Ihnen wohl mitteilen wollen? Welchen Rat würde sie Ihnen vermutlich geben können?

In der therapeutischen Arbeit geht es oftmals darum, die Klienten/-innen darin zu unterstützen, wieder handlungsfähig zu werden und ihnen Selbstwirksamkeitserfahrungen zu ermöglichen. Dafür ist es hilfreich, konkrete Handlungspläne zu entwickeln, die allerdings ein Bewusstsein dahingehend voraussetzen, dass überhaupt Möglichkeiten zur Einflussnahme bestehen. Mit den folgenden Fragen lassen sich diese beispielsweise ganz gut herausarbeiten.

a) Zukunftsvision

  • Denken Sie bitte einmal an eine typische Situation, in der Sie zu impulsiv gehandelt haben. Versetzen Sie sich dann einmal in die Lage eines neutralen Beobachters und versuchen Sie, die Begebenheiten aus dessen Perspektive zu betrachten: Was fühlen Sie? Was denken Sie? Welche Impulse können Sie spüren?
  • Wie hätten Sie sich gern verhalten? Wie könnten Sie das so tun, dass es sich für Sie stimmig anfühlt?
  • In welchen Situationen ist Ihnen das bereits gelungen? Wie haben Sie das geschafft? Was hat Ihnen dabei geholfen?

b) Ressourcen-Screening

  • Wenn Ihnen die Person auf dem Bild eine besondere Fähigkeit verleihen könnte, welche wäre das?
  • Wann haben Sie selbst diese Fähigkeit das letzte Mal erfolgreich unter Beweis gestellt?
  • Was haben Sie dafür konkret getan?

Das waren nun wirklich viele Fragen. Allerdings tönte es nicht ohne Grund bereits in der Sesamstraße: „Wer, wie, was, warum? Wer nicht fragt, bleibt dumm.“ Fassen Sie Ihre Antworten also nochmals kurz zusammen:

  • Was haben Ihnen diese Fragen aufgezeigt?
  • Was davon möchten Sie künftig mal ausprobieren?

Abschließen möchte ich mit einem Zitat von Prof. Dr. Julius Kuhl: „Es wird immer wieder vergessen, dass Menschen nicht zwangsläufig ihrem vorherrschenden Persönlichkeitsstil ausgeliefert sind. Persönlichkeitsstile beschreiben die typische Erstreaktion einer Person: wie stark sie dazu neigt, in neuen Situation ängstlich, extravertiert, analytisch etc. zu reagieren. Menschen unterscheiden sich aber nicht nur in solchen Erstreaktionen, sondern auch darin, ob sie ihre Erstreaktion bei Bedarf regulieren können, z.B. ob ein ängstlicher Mensch seine Ängstlichkeit herunterregulieren kann, wenn er das für angemessen hält. Diese Zweitreaktion hängt also maßgeblich von Selbststeuerungskompetenzen ab, z.B. davon, wie gut man sich motivieren oder beruhigen kann, wann immer man das für angemessen und sinnvoll hält.”

Literaturhinweis:

  • Kuhl, Julius (2001). Motivation und Persönlichkeit. Interaktionen psychischer Systeme. Hogrefe.

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