„Gesund im Job“ von Claudia Clos

Obwohl die Zahl der von psychischen Erkrankungen Betroffenen sehr hoch ist, werden damit einhergehende Probleme gerade in Betrieben häufig tabuisiert.

Umgang mit psychisch kranken Mitarbeitern (S. 182-185)

Depression, Angststörung, Sucht – fast jeder Zweite von uns ist im Laufe seines Lebens mindestens einmal von einer psychischen Erkrankung betroffen. […] Gerade als Führungskraft wird man mit Mitarbeitern, die psychisch erkrankt sind, vor neue Herausforderungen gestellt: Wie soll ich als Vorgesetzter mit dem Kollegen umgehen? Psychisch erkrankt zu sein, heißt nicht, dass betroffene Menschen nicht arbeitsfähig sind. In Abhängigkeit vom Störungsbild und den auftretenden Symptomen können viele Betroffene weiter arbeiten. Häufig ist den Kollegen und teils sogar den Vorgesetzten gar nicht bekannt, dass psychische Einschränkungen vorliegen, denn nicht in jedem Fall kommt es zu einer längeren Krankschreibung und der Mitarbeiter fällt über Wochen oder gar Monate aus. Die Dauer einer Krankschreibung bei psychischen Beeinträchtigungen beträgt nach aktuellen Zahlen durchschnittlich rund 35 Tage (Bundespsychotherapeutenkammer, 2015). Das entspricht sieben Wochen Arbeitsausfall. Was passiert aber, wenn die Betroffenen an ihren Arbeitsplatz zurückkehren? Die meisten von uns fühlen sich hilflos, wenn sich herausstellt, dass in unserem Umfeld jemand psychisch krank ist. Wir fragen uns, wie wir auf die Krankheit reagieren sollen oder ob wir den Betroffenen überhaupt ansprechen sollen. Vorgesetzte und Kollegen fragen sich, ob sie den Mitarbeiter überhaupt mit Projekten oder schwierigen Aufgaben belasten dürfen. Die Unsicherheit ist groß.

Marina hatte sich schon lange auf ihren Wiedereinstieg gefreut – und morgen war es so weit. Im Rahmen einer betrieblichen Wiedereingliederung würde sie nach längerer Krankheit wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren. Insgesamt war sie wegen der schweren Depression, unter der sie litt, 10 Wochen ausgefallen. Doch nach dem stationären Aufenthalt in einer Klinik fühlte sie sich wieder stabil genug, arbeiten zu gehen. Sie würde mit vier Stunden pro Tag beginnen und dann stufenweise aufstocken. Mit der Hilfe einer Psychotherapeutin an ihrer Seite fühlte sie sich stark genug, die Tätigkeit in einer Verwaltung erneut aufzunehmen. Doch als Marina in der Früh in ihr Büro kommt, muss sie feststellen, dass an ihrem Arbeitsplatz jemand anders sitzt. Ihr Arbeitsplatz wurde klammheimlich während ihrer Abwesenheit in ein anderes Zimmer – am Ende des Ganges – verlegt. Am Ende des Tages ist Marina enttäuscht. Kaum einer ihrer Kollegen hat sich erkundigt, wie es ihr geht. Sie fühlt sich gemieden und zurückgewiesen – und das, obwohl sie doch gerade jetzt Zuspruch so nötig hätte.

Obwohl die Zahl der von psychischen Erkrankungen Betroffenen sehr hoch ist, werden gerade in Betrieben psychische Probleme häufig tabuisiert – sowohl von den Betroffenen als auch von den Kollegen. Beschwerden und Anzeichen der Krankheit werden verheimlicht, die meisten Betroffenen tun so, als wäre alles in Ordnung. Über die Zeit entwickeln sie Strategien, um die Krankheit geheim zu halten. In aller Deutlichkeit hat uns dies der im März 2015 bewusst herbeigeführte Absturz der Germanwings-Maschine in einem französischen Bergmassiv deutlich gemacht. Der suizidale Kopilot mit psychiatrischer Vorgeschichte hatte sich selbst und 149 weiteren Menschen an Bord mit einem „erweiterten Suizid“ das Leben genommen. Unter welchen psychischen Erkrankungen er genau litt, ist nach wie vor unbekannt. Vermutet wird eine Persönlichkeitsstörung als Ursache für die Tat (Kriener, 2015). Allzu schnell wurde die öffentliche Debatte jedoch verengt auf Depressionen als Ursache, woraufhin öffentliche Forderungen für Berufsverbote für depressive Taxifahrer, Busfahrer oder Piloten folgten. Doch depressive Menschen dürfen nicht aufgrund eines tragischen Einzelereignisses pauschal als Gefahr eingestuft werden. Experten warnen davor, die drei bis vier Millionen depressive Menschen in Deutschland als generell arbeitsuntauglich oder gar gefährlich zu stigmatisieren, denn Fremdgefährdung bei Depressionen ist extrem selten (Hauser et al., 2015). Die meisten Betroffenen gehen ihrer Erwerbstätigkeit ganz regulär nach.

Dennoch wird nach einem solchen verheerenden Ereignis natürlich gefragt, ob psychische Erkrankungen nicht auch von Kollegen und dem Arbeitgeber hätten erkannt werden können. Doch häufig entwickeln die Betroffenen sehr ausgefeilte Strategien, um die Erkrankung zu verbergen. Sie verwenden sogar einen Großteil ihrer vorhandenen Energie, um nicht als psychisch beeinträchtigt zu gelten. Die Angst vor Stigmatisierung ist hoch. Diese könnte dazu führen, dass Betroffene ihre Erkrankung noch stärker verheimlichen und sich erst spät oder zu spät Hilfe holen. Gerade bei psychischen Störungen ist frühzeitige Hilfe enorm wichtig, denn die Chancen auf Heilung sind umso besser, je früher die Störung erkannt wird und Gegenmaßnahmen, z. B. in Form einer Psychotherapie, ergriffen werden. Für die meisten Krankheitsbilder existieren inzwischen gute Therapiemöglichkeiten. Häufig wird eine Kombination aus medikamentöser Therapie und Psychotherapie angewandt. Kollegen und Führungskräfte sind also gefragt, auch in ihrem Arbeitsumfeld genauer hinzusehen und Veränderungen im Verhalten wahrzunehmen. Dennoch ist die Hilflosigkeit groß, wenn es darum geht, mit psychisch kranken Mitarbeitern in Kontakt zu treten und auf sie zuzugehen.

Es gibt bestimmte Anzeichen, die auf eine psychische Störung hinweisen (siehe Kasten). Der wichtigste Indikator ist in der Regel, dass sich ein Mitarbeiter auf einmal anders verhält als früher. Wenn sich also ein ursprünglich optimistischer und kontaktfreudiger Kollege immer mehr zurückzieht und die Gesellschaft der anderen meidet, sollte der Vorgesetzte reagieren. Auch wenn die Arbeitsleistung plötzlich rapide absinkt und sich die Fehlerrate stark mehrt, sind die Führungskräfte gefordert. „Wenn ich das Gefühl habe, dass bei einem Mitarbeiter etwas nicht stimmt, reicht das in der Regel aus. Ich muss kein Psychologe sein, um zu erkennen, dass sich jemand in kurzer Zeit stark verändert hat“, erklärt Rosmarie Mendel (Clos, 2012, S. 8). Die Psychologin und ihr Kollege Werner Kissling von der Technischen Universität München forschen auf dem Gebiet psychischer Erkrankungen und geben Schulungen, um Führungskräfte und Mitarbeiter für das Thema zu sensibilisieren. Gleichzeitig warnen sie aber vor Verdachtsdiagnosen durch die Kollegen. „Veränderungen in der Persönlichkeit oder der Arbeitsleistung können immer auch andere Ursachen haben. Manchmal liegt der Veränderung eine körperliche Erkrankung oder private Probleme wie eine Trennung oder Scheidung zugrunde“ (Clos, 2012, S. 8). Ob ein Mitarbeiter tatsächlich krank ist oder um welche Erkrankung es sich konkret handelt, soll und darf die Führungskraft nicht feststellen. Klinische Diagnosen müssen auf jeden Fall einem Arzt oder Therapeuten überlassen werden.

Psychisch kranke Mitarbeiter können durchaus arbeitsfähig sein. Dennoch gibt es bestimmte Warnsignale im Verhalten, bei welchen Sie aufmerksam sein sollten. Die Anzeichen können sich in verschiedenen Bereichen wie der Grundarbeitsfähigkeit, dem Leistungsbereich oder dem Sozialverhalten zeigen. Wenn Sie bei einem Mitarbeiter in mehreren Punkten Auffälligkeiten beobachten, sollten Sie das Gespräch suchen. Anzeichen einer psychischen Störung können unter anderem sein:

  • Abnahme der Arbeitsleistung
  • Konzentrationsschwierigkeiten
  • Höhere Fehler- oder Unfallrate
  • Unpünktlichkeit (häufige Verspätung ohne erkennbare Gründe)
  • Häufiges Fehlen
  • Atypisches Verhalten zu Kollegen und Vorgesetzten, z. B. sozialer Rückzug
  • Übersteigerte Empfindlichkeit gegenüber Kritik
  • Überzogen gereizte oder aggressive Reaktionsweisen
  • Andauernde Traurigkeit / Niedergeschlagenheit
  • Klagen über Schlaflosigkeit oder Erschöpfung am Arbeitsplatz

„Gesund im Job“ von Claudia Clos

Claudia Clos ist Referentin für Arbeitspsychologie und stellvertretende Abteilungsleiterin bei der Kommunalen Unfallversicherung in München. In ihrem Ratgeber „Gesund im Job“ gibt sie Antworten auf die Frage, was Erwerbstätige konkret tun können, um psychisch und körperlich gesund sowie leistungsfähig zu bleiben, und praktische Tipps zur bewussten Gestaltung des Arbeitsalltags.

Quelle:

  • Claudia Clos (2016). Gesund im Job – So stärken Sie Ihre körperliche und psychische Gesundheit am Arbeitsplatz (S. 182-185). Hogrefe Verlag, Bern.

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