Lieber Herr Müller,
wir haben vor einiger Zeit miteinander telefoniert – das Gespräch drehte sich auch um die PSI-Theorie. Soeben habe ich Ihren Blogbeitrag “Das verlorene Selbst” gelesen, in dem es um den Zugang zum eigenen Selbst – mithin dem Teil des Erfahrungsgedächtnisses, der für uns und unsere eigenen Bedürfnisse relevant ist – geht.
Sie schreiben: “Entscheidend für das Selbst scheint es zu sein, in zwischenmenschlichen Beziehungen gespiegelt zu bekommen, dass es liebenswert ist und es deshalb wunderbar ist, gut zu sich zu sein.”
Auch wenn das eine sehr angenehme Erfahrung ist, so kommt es doch beim Selbstwachstum darauf an, auch und gerade die negativen Erlebnisse mit den damit verbundenen Gefühlen an sich heranzulassen, um sie nachhaltig in das Selbst zu integrieren und zukünftig aus ihnen lernen zu können. In der PSI-Theorie bedeutet dies, zunächst den Zugang zum Objekterkennungssystem (OES) zulassen zu können und den damit verbundenen negativen Affekt aushalten zu können.
Spiegelung braucht an dieser Stelle mehr als nur Wahrnehmung des Positiven: feinfühlige, differenzierte Wahrnehmung auch der negativen Emotionen. Mit allen Gefühlen ernst genommen werden, mit allen Seiten angenommen zu werden ist eine wichtige Voraussetzung, um den Selbstzugang zu bahnen.
Unter den Selbststeuerungskompetenzen ist es die Selbstberuhigung, d.h. die Herabregulierung des negativen Affektes, die die Integration von Erfahrungen in das Selbst ermöglicht. Sich selbst Trost spenden zu können oder von außen zu erleben, unterstützt diesen Vorgang. Gerade bei Kindern lässt sich sehr gut beobachten, wie diese Kompetenz erlernt wird, wenn sie umsichtig dabei begleitet werden.
Ein ganz anderer Aspekt ist die Wahrnehmungsfähigkeit, die jemand gegenüber den Botschaften seines Selbst hat. Dieses kommuniziert über somatische Marker – Menschen, die diese Signale aufgrund geringem Körpergespürs nicht wahrnehmen, fehlen wichtige Informationen über sich selbst. Ist dies der Fall, steht zunächst ein Training in dieser Richtung an (so wie es Teil des Zürcher Ressourcen-Modells® ist).
In dem Buch von Julius Kuhl und Jens-Uwe Martens “Die Kunst der Selbstmotivierung” finden Sie ab Seite 140 eine kurze Übersicht über Methoden zur Selbstaktivierung, die die Umsetzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse der PSI-Theorie in der Praxis beschreiben.
In der Anwendung der TOP-Diagnostik lässt sich deutlich erkennen, wie stark der Selbstzugang oder die Fähigkeit zur Integration ausgeprägt sind. Bei niedrigen Werten ist die Gefahr eines “falschen Selbst” gegeben, d.h. die betreffende Person nimmt die eigenen Bedürfnisse nicht wahr und erfüllt überwiegend von außen kommende Erwartungen. Dies können durchaus hochleistende Menschen sein, doch die innere Zufriedenheit, die die Erfüllung eigener Bedürfnisse anzeigt, bleibt ihnen versagt. Das ist im Berufsleben oft die Ursache für Burnout, bei Schülern für Leistungsverweigerung oder Schulabbruch.
PSI-theoretisch liegt dann oft eine einseitige Orientierung im Persönlichkeitssystem vor, die situationsangemessene Aktivierung der vier Systeme (Objekterkennungssystem, Erfahrungsgedächtnis, Absichtsgedächtnis und Intuitive Verhaltenssteuerung) gelingt nicht mehr. Die Ursachen hierfür können vielfältig sein, die ressourcenorientierte Betrachtung der TOP-Ergebnisse bietet jedoch im Einzelfall einen sehr differenzierten Zugang zu den jeweiligen Entwicklungsspielräumen.
Ich hoffe, dass meine Anmerkungen willkommen sind. Mir liegen die Möglichkeiten, die sich in der Begleitung von Menschen durch die PSI-Theorie eröffnen, sehr am Herzen.
Herzliche Grüße, Cornelia Klioba
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Cornelia Klioba ist als Begabungspsychologische Beraterin und Referentin im Bereich der Begabtenförderung tätig. Einzelfallbegleitung und Workshops für Eltern bietet sie ebenso an wie Fortbildungen und Vorträge in Kindergärten und Schulen. Im Einzel-Coaching setzt sie unter anderem die TOP-Diagnostik ein.
Begabung & Mehr, PSI-Kompetenzberaterin, Selbstmanagement mit ZRM®
Bielefeld (demnächst in Hamburg), Tel.: 0151 51895203