Rezension: „Supervisions-Tools“ von Heidi Neumann-Wirsig (Hrsg.)

Die Beobachtung der Beobachtung

Supervisions-Tools CoverObwohl ich zugeben muss, keine spezielle Weiterbildung zum Supervisor absolviert zu haben, arbeite ich seit einigen Jahren mehr oder weniger als solcher und unterstütze Psychologische Berater bzw. Heilpraktiker für Psychotherapie dabei, schwierige Fälle (sowie sich selbst) zu reflektieren, mit denen sie sich während ihrer Ausbildung beschäftigen. Wie beim Coaching geht es hierbei auch darum, neue Perspektiven zu entdecken und Lösungen für die praktische Arbeit zu entwickeln. Parallel dazu werden stets persönliche Verwicklungen, blinde Flecken und Wahrnehmungsverzerrungen betrachtet, was (im Idealfall) dazu beiträgt, die Entwicklung in Richtung einer fachlichen Professionalisierung zu fördern. Die Bewusstmachung der jeweils eigenen Anteile, die in den Kontakt mit den Klienten hineinspielen und sich gelegentlich störend bzw. irritierend auf den Prozess der Zusammenarbeit auswirken, ist meinem Verständnis zufolge das, was eine gute Supervision ausmacht. Die Aufgabe des Supervisors ist es, diese Reflexion durch gezielte Fragen und Hinzuziehung geeigneter Modelle zu initiieren bzw. zu unterstützen. Kurzum: Die Beobachtung der Beobachtung.

Im Vorwort des Buches gibt Heidi Neumann-Wirsig zu bedenken, dass die Anwendung von Tools in diesem Kontext lange Zeit kritisch beäugt wurde, da sie die in jahrelanger Selbsterfahrung und reflexiver Selbstbetrachtung erarbeitete Kompetenz eines Supervisors in Frage stellen könnte. Tools könne ja schließlich jede(r) anwenden. Zunächst erläutert sie den historischen Ursprung dieser Betrachtungsweise (Tiefenpsychologie und Gruppendynamik) und zeigt dann auf, wie sich das professionelle Selbstverständnis der Supervisoren im Laufe der vergangenen Jahrzehnte verändert hat, wobei vor allem dem systemischen Ansatz eine immer größere Bedeutung zukam. Sie stellt dar, dass die (auch offizielle) Verwendung von Tools heutzutage kein Makel mehr sei, sondern als eine sinnvolle Bereicherung des Handlungsspielraums angesehen werde, solange sie einer durch Flexibilität bestimmten Vorgehensweise nicht im Wege stehen. Obwohl mir viele der in den folgenden Kapiteln vorgestellten Techniken bereits bekannt waren und es einige Überschneidungen mit jenen gibt, die vielfach im Coaching oder im Rahmen von Workshops zur Teamentwicklung angewendet werden, schaffte sie es in der Einleitung, die Besonderheiten einer Supervision klar herauszuarbeiten und meine Neugier auf den Rest des Buches zu wecken.

Am Ende der Einleitung sind die 55 Tools in einer Tabelle den verschiedenen Phasen sowie dem Setting (Einzel-, Gruppen-, Team-Supervision) zugeordnet, in denen sie der Autorin zufolge zur Anwendung kommen könnten. Dann schließen sich vier Kapitel an, in denen die dazu passende Methoden kompakt dargestellt werden: Teil 1: Einstieg gestalten, Anwärmen ermöglichen und Kontakt aufnehmen, Teil 2: Themenfindung, Problembeschreibung, Zielklärung, Teil 3: Bearbeiten, Intervenieren, Teil 4: Auswerten, Abschließen, Evaluieren. Die 51 Autoren gewähren dabei Einblicke in ihre jeweiligen Arbeitsweisen, die sich aufgrund ihres fachlichen Hintergrundes mitunter sehr voneinander unterscheiden. Neben einigen klassischen Interventionen ist hierbei jedoch eine klare Tendenz zum Systemischen erkennbar. Nach der kurzen Beschreibung eines Tools werden Anwendungsbereiche, die Zielsetzung und mögliche Effekte benannt. Daraufhin folgt eine ausführliche Beschreibung mit einer Erläuterung der einzelnen Schritte, die hier und da durch alternative Vorschläge ergänzt wird. Abgerundet wird jedes „Werkzeug“ mit einer persönlichen Einschätzung, Quellenangaben bzw. Literaturhinweisen sowie technischen Hinweisen. Die klare (einheitliche) Struktur und die Kurzbeschreibungen am Anfang der jeweiligen Abschnitte verhelfen zu einem schnellen Auffinden geeigneter Ansätze für die praktische Arbeit.

Obwohl einige der Tools den meisten Lesern (zumindest in ähnlicher Form) wahrscheinlich vertraut sind, werden auch erfahrene Supervisoren sicher neue Anregungen in diesem Buch finden. Nützlich sind sie m. E. jedenfalls alle. Da ich es für müßig halte, sie dezidiert zu besprechen, möchte ich exemplarisch auf nur eine Methode näher eingehen, von der ich besonders begeistert bin: „Ferien vom Ich“ von Jutta Beck. Hierbei wird einzelnen Mitgliedern einer Supervisionsgruppe die Möglichkeit geboten, für ein Problem in eigener Sache einen Perspektivwechsel vorzunehmen, um auf diese Weise eine Musterunterbrechung zu erreichen. Schwierigkeiten mit dem Selbstmanagement, eingefahrene Gewohnheiten, dysfunktionale Verhaltens- und Reaktionsmuster sowie irrationale Ängste etc. können damit bearbeitet werden. Das problematische Verhalten wird in seinem Ablauf so detailliert geschildert, dass es von der Gruppe (die Verständnisfragen stellen darf, die auf eine Beschreibung abzielen) exakt kopiert und ggf. in einem Rollenspiel von Stellvertretern nachgespielt bzw. szenisch gespiegelt werden kann. Zu welchen Einsichten das führen kann, brauche ich wohl an dieser Stelle nicht zu erläutern… In meiner nächsten Sitzung werde ich das nun einmal ausprobieren!

Fazit: „Supervisions-Tools“ ist eine wunderbare Sammlung unterschiedlichster Ideen, deren Anschaffung sich für mich sehr gelohnt hat.

Neumann-Wirsig, Heidi (Hrsg.). Supervisions-Tools (4. Auflage). manager-seminare  Verlags GmbH, 2013.

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