Rezension: „Stress-Kompass“ von Mathias Hofmann, Susanne Recknagel, Louisa Reisert & Friederike Michel (Hrsg.)

Wie man mit psychischen bzw. beruflichen Belastungen umgehen kann, ohne dass sie gesundheitsschädlichen Stress erzeugen, ist eines meiner zentralen Themen als Trainer. Allein deshalb machte mich diese Veröffentlichung der managerSeminare Verlags GmbH neugierig. Da es viele Aspekte gibt, die man hierbei berücksichtigen kann bzw. sollte, erhoffte ich mir, die ein oder andere Anregung für meine eigene Arbeit entdecken zu können. Nachdem ich allerdings die ersten 134 Seiten gelesen bzw. weitestgehend überflogen hatte, war ich zunächst enttäuscht. Wider Erwarten ging es kaum um Stress bzw. dessen Bewältigung, sondern um die Begleitung von Veränderungsprozessen sowie um die Arbeit mit Gruppengrößen von über 50 Personen in vergleichbaren Kontexten. Zum Glück habe ich aber weitergelesen…

In den mittleren Kapiteln werden verschiedene Anregungen für Seminare oder Workshops für Führungskräfte, Mitarbeitende und Teams gegeben, von denen ich einige sicher in meine Arbeit einbinden werde. Zunächst einmal werden jeweils ein paar Modellannahmen erläutert und anschließend ein ausgearbeitetes Trainingskonzept vorgestellt, inklusive eines Spannungsbogens sowie nützlichen Hinweisen für die praktische Arbeit. Im weiteren Verlauf werden dann einzelne Tools besprochen, von denen ich im Folgenden gern drei vorstellen und benennen möchte, welchen Nutzen ich darin sehe.

1. Gut gefallen hat mir z. B. die Erläuterung des Schaubildes „Führen in Krisen“, in dem vier Aktivitäten voneinander unterschieden werden: (1) Präsent sein, (2) Orientierung geben, (3) Aktivieren und (4) Rückhalt geben. Zusammen mit den ergänzenden Erläuterungen lassen sich für verschiedenartige Kontexte zielführende Handlungsoptionen erarbeiten. Eine Übung nach diesem Vorbild lässt sich hervorragend in das Themenfeld „gesunde Führung“ integrieren.

2. Obwohl mir die einzelnen Methoden seit langer Zeit vertraut sind, empfand ich auch die Systematik des Kognitionstrainings für Führungskräfte sehr hilfreich. Hier haben die Autorinnen Gerlind Pracht und Friederike Michel verschiedene Fragestellungen aus den Ansätzen der positiven Selbstinstruktion, der Kognitiven Verhaltenstherapie sowie der Lösungsorientierung miteinander verknüpft, wodurch die Führungskräfte nach einer Selbstreflexion dazu anregt werden, eine partizipative Strategie für Mitarbeitergespräche zu entwickeln.

3. Obgleich ich anzweifle, dass ein Vorgesetzter in der Lage sein sollte, einen Burnout bzw. Depersonalisation, innere Leere oder eine Depression zu erkennen, halte ich die entsprechenden Hinweise zum Umgang mit betroffenen MItarbeitern in den verschiedenen Phasen des Syndroms für eine nützliche Heuristik, die allerdings im Rahmen einer Diskussion kritisch hinterfragt werden sollten. Wie die Ansprache bei beobachtbaren Auffälligkeiten erfolgen kann, wird in diesem Abschnitt zwar nur angedeutet, allerdings lässt sich die in diesem Zusammenhang beschriebene Übung zum „Burnout-Rad“ ohne großen Aufwand an das eigene Format anpassen. Ziel dabei könnte eine Sensibilisierung für Führungskräfte sein.

Des Weiteren haben mir bspw. die effektiven Bewältigungsstrategien für Führungskräfte in der Sandwich-Position, die Übungen „5-4-3-2-1“ (sehen, hören, fühlen, riechen, schmecken), „Unser Bild der Zusammenarbeit“, „Ist denn heute schon Weihnachten“ sowie der „Aufgabentisch“ ausgezeichnet gefallen. Immer haben die Autoren/-innen sich dabei die Mühe gemacht, eventuell auftretende Widerstände seitens der Teilnehmer zu benennen, und Ideen an die Hand gegeben, wie sich diese auflösen lassen.

Abschließend wird dann ein m. E. gut durchdachtes Konzept zur Ausbildung von Stress-Lotsen in Unternehmen vorgestellt, das sicher auch den ein oder anderen Leser interessieren dürfte. Allerdings muss ich zugeben, dass ich auch diese Seiten lediglich überflogen habe.

Vom didaktischen Aufbau her ist das Buch sehr gelungen. Die theoretischen Modelle und die empfohlenen Methoden sind verständlich erläutert, klar strukturiert und lassen sich ohne Weiteres in das eigene Repertoire integrieren. Die zahlreichen Schaubilder, Grafiken, Tabellen, die Hervorhebung zentraler Aspekte sowie möglicher Fallstricke, Literaturhinweise u.v.m. erleichtern dies enorm. Auch wenn mir die Online-Materialien, die der Verlag auf seiner Webseite zum Download bereithält, wenig nützlich erscheinen (mit Ausnahme der Übung „Tagesschau“), kann ich dieses Buch jedem empfehlen, der sich mit der professionellen Auflösung beruflich bedingten Stresses beschäftigt. Neue Ideen habe ich jedenfalls reichlich darin gefunden.

M. Hofmann, S. Recknagel, L. Reisert & F. Michel (Hrsg.). Stress-Kompass. managerSeminare Verlags GmbH (2015).

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