Körperbildstörung im hohen Alter

Frau König, eine 85jährige Dame, lebte allein in einer kleinen Wohnung auf St. Pauli. Sie wagte sich nur noch zum Einkaufen aus dem Haus. Vor einigen Wochen hatte sie ein Stoma bekommen und musste nun regelmäßig eine Tasche am Bauch tragen. Diese Veränderung machte sie sehr unglücklich und verunsicherte sie zutiefst. Sie hatte das Gefühl, dass sie nicht mehr dieselbe war wie früher und dass ihr Körper nun für immer entstellt sei. 

Frau König vermied es seitdem, sich anderen Menschen zu zeigen. Sie zog sich immer weiter zurück und verlor sich in Erinnerungen an ihre Jugendzeit. So erinnerte sie sich an die unbeschwerten Tage, an denen sie durch die Stadt gezogen war und ihr Leben in vollen Zügen genießen konnte. 

Aber je mehr sie sich in ihre Erinnerungen flüchtete, desto stärker wurde ihr Gefühl, dass sie nie wieder so jung und unbeschwert sein würde wie damals. Sie sehnte sich nach ihrer Jugend zurück und fand keinen Trost. Ihre Gedanken kreisten immer mehr um ihren vermeintlich entstellten Körper. Sie zerbrach letztendlich daran und hoffte nur noch, ihr Leben würde bald vorbei sein.

Diese Geschichte verdeutlicht die Komplexität und Herausforderungen im Umgang mit körperlichen Veränderungen und Alterungsprozessen. Das menschliche Körperbild, das sich aus verschiedenen Faktoren wie kulturellen, sozialen und individuellen Einflüssen zusammensetzt, spielt eine entscheidende Rolle bei der Selbstwahrnehmung und dem Wohlbefinden einer Person.

Ein Stoma, eine künstliche Ausgangsöffnung des Darms oder der Harnblase, kann aufgrund von Krankheiten wie Krebs oder entzündlichen Darmerkrankungen notwendig sein. Für viele Menschen bedeutet dies eine erhebliche Veränderung des Körperbildes und kann zu psychischen Belastungen führen. Besonders ältere Menschen, die oft bereits mit anderen körperlichen Veränderungen konfrontiert sind, können eine solche Herausforderung als besonders schwer empfinden.

Die Geschichte von Frau König verdeutlicht, wie tiefgreifend sich das Stoma auf ihr Leben und ihre Selbstwahrnehmung auswirkte. Sie berichtete von Schamgefühlen und dem Gefühl der Unvollständigkeit. Sie empfand das Stoma als Störfaktor in ihrem Leben und es beeinträchtigte ihre Lebensqualität erheblich. Die Dame fühlte sich unwohl in ihrer Haut und vermied es, soziale Kontakte zu pflegen oder gar ihre Wohnung zu verlassen.

Es ist wichtig zu betonen, dass es sich hierbei nicht um ein individuelles Problem handelt, sondern um ein gesellschaftliches. Eine stärkere Sensibilisierung für das Thema Stoma und Körperbildstörungen sowie ein offener Umgang damit könnten dazu beitragen, betroffenen Personen mehr Unterstützung zu bieten und ihnen zu helfen, ihr Leben trotz körperlicher Veränderungen weiterhin positiv zu gestalten. Eine derartige Körperbildstörung ist in der Regel nicht nur auf das Stoma selbst zurückzuführen, sondern auch auf die kulturellen und sozialen Normen, die mit dem Alter verbunden sind. In unserer Gesellschaft werden ältere Menschen oft als weniger attraktiv und leistungsfähig betrachtet, was zu einem negativen Selbstbild und mangelndem Selbstwertgefühl führen kann.

Die ältere Dame in unserer Geschichte hatte möglicherweise schon vor dem Stoma mit solchen Vorurteilen zu kämpfen. Durch das Stoma und die damit verbundenen Veränderungen verstärkten sich ihre negativen Selbstwahrnehmungen und Ängste noch weiter. Um betroffenen Personen zu helfen, müssen wir uns als Gesellschaft aktiv mit diesen Stereotypen auseinandersetzen und die Wahrnehmung von Alter und körperlichen Veränderungen ändern. Wir sollten uns darauf konzentrieren, die Stärken und Fähigkeiten älterer Menschen zu betonen, anstatt uns auf ihre Defizite zu konzentrieren. Eine individuelle Beratung, um ihnen zu helfen, ihr Körperbild und Selbstbild positiver zu gestalten, kann eine wertvolle Hilfe sein. Außerdem kann eine Gruppentherapie mit anderen Menschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, eine wichtige Ressource sein und das Gefühl von Einsamkeit und Isolation reduzieren.

Hilfreich wäre es zudem, wenn Pflegekräfte und medizinische Fachkräfte nicht nur über die medizinischen Aspekte des Stomas informiert sind, sondern auch über die psychologischen Auswirkungen auf betroffene Personen. Sie sollten sensibel auf die Bedürfnisse und Sorgen älterer Menschen eingehen und ihnen die notwendige Unterstützung und Beratung bieten. Eine positive Einstellung und eine empathische Haltung können dazu beitragen, das Vertrauen und das Wohlbefinden der betroffenen Personen zu stärken. Pflegekräfte und medizinische Fachkräfte sollten sich auch darum bemühen, die Autonomie und Selbstbestimmung älterer Menschen zu fördern und sie in Entscheidungen über ihre eigene Pflege und Lebensgestaltung einzubeziehen.

Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Verfügbarkeit von Ressourcen und Hilfsmitteln, die betroffenen Personen dabei helfen, ihr Leben trotz körperlicher Veränderungen weiterhin positiv zu gestalten. Dazu gehören beispielsweise spezielle Kleidung und Accessoires, die das Stoma verdecken und das Selbstbewusstsein stärken, sowie spezielle Sport- und Freizeitaktivitäten, die auf die Bedürfnisse älterer Menschen abgestimmt sind. Ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der Situation von älteren Menschen mit Körperbildstörungen ist auch die Schaffung einer breiteren gesellschaftlichen Sensibilisierung und Aufklärung über das Thema.

Es müssten mehr Ressourcen und Informationen bereitgestellt werden, um älteren Menschen zu helfen, ihr Selbstbild zu stärken und ihre körperlichen Veränderungen positiver wahrzunehmen. Hier können auch die Medien eine wichtige Rolle spielen, indem sie das Bild von Alter und körperlicher Veränderung in der Gesellschaft positiv beeinflussen und alternative Darstellungen von Schönheit und Attraktivität zeigen. Dies kann dazu beitragen, Vorurteile abzubauen und das Bewusstsein für die Herausforderungen älterer Menschen zu schärfen.

Die Bewältigung von Körperbildstörungen bei älteren Menschen erfordert ein ganzheitliches und vielschichtiges Vorgehen. Es geht darum, die individuellen Bedürfnisse und Erfahrungen älterer Menschen zu verstehen, Empathie und Sensibilität zu zeigen und eine breitere gesellschaftliche Unterstützung und Sensibilisierung zu schaffen. Nur so können wir dazu beitragen, das Wohlbefinden und die Lebensqualität älterer Menschen zu verbessern und ihnen dabei helfen, ein aktives und erfülltes Leben zu führen.