Rezension : „Ressourcen-Therapie“ von Gordon Emmerson

Vor Kurzem fragte mich eine Kollegin, was ich mir für dieses Jahr vorgenommen habe? Als ich ihr antwortete, dass ich darüber nachdenke, vielleicht mit dem Rauchen der blöden Zigaretten aufzuhören, berichtete sie mir, dass sie eine spannende Methode kennengelernt hat, die mir dabei helfen könne. Damit meinte sie die Ressourcen-Therapie von Gordon Emmerson. Das hat mich neugierig gemacht.

Das Verfahren wurde erstmalig 2015 in Europa (Zürich) vorgestellt und ist ein neuartiges Teile-Therapie-Konzept. Dabei wird davon ausgegangen, dass unsere Persönlichkeit aus verschiedenen Persönlichkeitsanteilen besteht, die sich zur passenden (oder auch unpassenden) Zeit zu Wort melden oder sogar die Kontrolle übernehmen und Handlungen oder Reaktionen auslösen, mit denen sie versuchen, ihre spezifische Aufgabe zu erfüllen. Das erinnerte mich an das Modell des Inneren Teams von Friedemann Schulz von Thun, mit dem ich seit vielen Jahren arbeite. Auch mit der Ego-State-Therapie von John und Helen Watkins habe ich mich schon oberflächlich beschäftigt. Mir stellte sich nun die Frage, welchen Mehrwert bzw. Erkenntnisgewinn mir die Ressourcen-Therapie bietet? Oder ist das nur „alter Wein in neuen Schläuchen“? Welcher Teil von mir ist es, der es mir so schwer macht, mit dem Rauchen aufzuhören? Was würde die Ressourcen-Therapie dazu sagen?

Der Autor geht davon aus, dass uns etliche Ressourcen zur Verfügung stehen, die es uns erlauben, in den unterschiedlichsten Situationen flexibel zu reagieren, und die dazu beitragen, dass wir unsere Bedürfnisse befriedigen und/oder mit anderen Menschen gut zurechtkommen können. Jeder Teil von uns hat eine Aufgabe, die er im Normalzustand so erfüllt, dass die anderen Teile von uns damit einverstanden sind. Leider gibt es jedoch wohl auch Teile, die aufgrund leidvoller Erfahrungen „vadiert“ sind, die also Zurückweisung erfahren haben, ängstlich, verwirrt oder enttäuscht sind. Diese „vadierten Ressourcen-States“ sind im Folgenden nicht mehr (so gut) in der Lage, auf ihre Ressourcen zuzugreifen und können daraufhin von anderen States unterstützt werden, die eine (mehr oder weniger) passende Bewältigungsstrategie bspw. für jene Situationen anbieten, in denen erstere sich hilflos oder ohnmächtig fühlen. Diese sogenannten „retro-originalen States“ haben also grundsätzlich eine wichtige Funktion. Deshalb tun sie, was sie können, unabhängig davon, ob die anderen Persönlichkeitsanteile damit einverstanden sind. Jener retro-originale State, der in meiner Persönlichkeitsentwicklung eine zentrale Rolle spielte, hat übrigens schon einen Namen, den ich ihm im Rahmen meiner Lehrtherapie gegeben habe, um einen inneren Dialog mit ihm zu ermöglichen. Retro-originale States entstehen in der Regel übrigens schon in (sehr) jungen Jahren und entwickeln altersentsprechende Strategien, um ihre Aufgabe zu erfüllen, was im weiteren Verlauf eines Lebens zu enormen Problemen und inneren Konflikten führen kann.

Auch über jenen Teil in mir, den der Autor „vadierter Ressourcen-State“ nennt, habe ich damals natürlich mit meinem Therapeuten gesprochen, was im Großen und Ganzen recht wohltuend war. Dass diese beiden inneren Anteile auch etwas damit zu tun haben könnten, dass ich rauche, hatte ich allerdings nicht auf dem Schirm. Wenn ich das Modell richtig auf mein problematisches Verhalten anwende, dann ist also irgendwann ein weiterer Teil bzw. State in mir aktiv geworden, den der Autor „retro-vermeidend“ nennt, und der die Aufgabe hat, mich vor meiner Angst vor Zurückweisung zu schützen. Okay, es ist zwar grundsätzlich nett, beschützt zu werden, aber ob das Rauchen in diesem Zusammenhang tatsächlich (heute noch) irgendeinen Zweck erfüllt, bezweifle ich sehr. Doch dank der Vorstellung, wie dieser Teil in mir seinen Job wohl macht und was genau er damit zu erreichen versucht, verstehe ich jetzt jedenfalls etwas besser, warum ich eigentlich rauche. Wunderbar! Noch weiß ich zwar nicht, ob es mir deshalb nun auch endlich gelingt, damit aufzuhören, aber das wird sich ja wahrscheinlich bald zeigen.

Fazit: Das Teile-Modell der Ressourcen-Therapie hat mir einen persönlichen Erkenntnisgewinn beschert. Aber auch die Erklärungen, wie es bei ganz anderen therapeutischen Frage- bzw. Problemstellungen genutzt werden kann, finde ich schlüssig. Dass ich sämtliche Behandlungsanleitungen für verschiedene Pathologien oder Symptome irgendwann einsetzen werde, halte ich zwar für unwahrscheinlich, aber jene Kapitel, in denen es um diese ging, waren deshalb keineswegs uninteressant. Mich hat die Lektüre jedenfalls inspiriert! Besonders gut gefallen haben mir die anschaulichen Erläuterungen des zugrundeliegenden Konzepts. Hilfreich sind auch die Tabellen auf den Seiten 34 bis 39, die die Systematik der Ressourcen-Therapie so abbilden, dass man sich schnell orientieren kann.

Gordon Emmerson (2019). Ressourcen-Therapie – Die Einführung. Carl-Auer-Systeme Verlag, Heidelberg.

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