Rezension: „Mensch Mann!“ von Josef Aldenhoff

In „Mensch Mann!“ geht es um Gewalt und Macht. Hierin stellt sich der Autor zu Recht die Frage, was denn bloß in Männerseelen los ist? Damit gemeint sind vor allem jene, die zu üblen Taten neigen. Aber auch die, die nicht hinschauen wollen, wenn diese offensichtlich verübt werden oder wurden.

Gelegentlich höre auch ich von Klienten und Klientinnen, dass sie Opfer von Gewalttaten wurden. Dann stelle ich mir ehrlich gesagt nur selten die Frage, ob sich das tatsächlich so zugetragen hat? Mich interessiert es viel mehr, wie die Betroffenen mit solchen Erlebnissen umgehen bzw. trotzdem möglichst gut weiterleben können. Über die Täter mache ich mir normalerweise nur Gedanken, wenn von ihnen noch eine akute Bedrohung ausgeht oder ausgehen könnte. Was geht mich das (selbst-)zerstörerische Verhalten dieser Männer also an?

Selbst habe ich noch nie einem Menschen bewusst körperlichen Schaden zugefügt, und ich würde bestimmt nicht auf die Idee kommen, andere zu vergewaltigen oder zu töten. Allerdings ist es – glaubt man den Statistiken – wahrscheinlich, dass auch ich jemanden kenne, der es genießt, Frauen gegenüber brutale Macht zu inszenieren, sie in Panik zu versetzen und zu erniedrigen oder Kinder sexuell zu missbrauchen. Genau wissen werde ich das vermutlich nie. Vielleicht habe ich aber auch Glück, und in meinem persönlichen Umfeld gibt es tatsächlich keine Vergewaltiger oder Pädophile, die ihre Neigungen ausleben und kriminell werden? Schön wäre es gewiss, die Erzählungen ihrer Opfer höre ich mir als Psychologe nämlich leider oft genug an.

Obwohl mir viele Begebenheiten, über die der Autor berichtet, bekannt sind, verdränge ich sie im Alltag weitgehend aus meinem Bewusstsein. Ja, natürlich erinnere ich mich daran, den ein oder anderen Artikel über den Missbrauch in der katholischen Kirche oder in Bergisch-Gladbach etc. gelesen zu haben. Auch von den schweren Schicksalen jener Frauen, die bspw. häuslicher Gewalt ausgesetzt sind oder auf der Flucht den Tod bzw. Schlimmeres vor Augen haben, hörte ich schon mehrfach. Doch warum sollte ich mich damit auseinandersetzen? Ändern kann ich doch ohnehin nicht allzu viel, oder? Dass das Verhalten der entsprechenden Übeltäter m. E. nicht tolerierbar ist, sollte sich wohl von selbst verstehen. Unabhängig davon hat es mich aber interessiert, wie der Autor es sich erklärt, dass nicht wenige Männer sich so … verhalten, wenn sich ihnen eine Gelegenheit dazu bietet. Jene Passagen, in denen es um die Beantwortung dieser Frage ging, fand ich jedenfalls äußerst spannend.

Vor einigen Jahren habe ich „Dem Leben entfremdet“ von Arno Gruen gelesen, woran ich bei der Lektüre dieses Buches immer wieder denken musste. Kurz gesagt erläutert er darin, wie in unseren von Männern dominierten Gesellschaften das Mitgefühl für andere Menschen zunehmend durch ein „unnatürliches Bewusstsein“ abgewertet und unterdrückt wird. Wieder mehr Empathie zu empfinden, wäre ein Ausweg. Ähnlich argumentiert auch Josef Aldenhoff: „Nur wenn wir uns auf den Kontakt zu den anderen Menschen einlassen, haben wir eine Chance, aus diesem Wüst aus Macht, Gewalt, Missbrauch herauszufinden. Kontakt ermöglicht Verstehen. Und Verstehen kann uns retten.“ Dieses Fazit finde ich nicht altmodisch, sondern trivial. Aber so trivial es auch ist, mindestens genau so schwierig dürfte es wohl sein, die Welt auf jene Weise zu verändern, die der Autor vorschlägt.

Alles in allem liest sich das Werk zwar wie ein Kriminalroman, zur seichten Unterhaltung eignet es jedoch nicht. Dafür ist es sehr erhellend, sozusagen am Puls der Zeit, sorgfältig recherchiert und verständlich aufbereitet.

Literaturempfehlung:

Prof. Dr. Josef Aldenhoff war viele Jahre Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel. Heute ist er vorrangig als Psychotherapeut, Coach, Berater und Autor tätig.

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