Rezension: „Gerontopsychiatrie für die Pflege“ von Klaus Maria Perrar, Erika Sirsch und Andreas Kutschke

Suchen Sie nach Informationen, die Ihnen die Versorgung und Begleitung älterer Mitmenschen mit Pflegebedarf erleichtern? Mir ging es jedenfalls so. Seit Kurzem bin ich nämlich als Psychologe in einer Geriatrie tätig, um mich dort um jene Patienten/-innen zu kümmern, die in irgendeiner Weise psychisch auffällig sind oder einen entsprechenden Leidensdruck haben. Als ich mich in einer Buchhandlung nach Literatur umschaute, die in diesem Zusammenhang sinnvoll sein könnte, entdeckte ich die 3. Neuauflage eines Ratgebers, der eigentlich für Pflegefachkräfte gedacht ist, die in der Gerontopsychiatrie arbeiten. Da es mich interessierte, was diese so alles wissen sollten, besorgte ich mir das Buch und begann sofort damit, es zu lesen. Die Lektüre hat sich für mich gelohnt, da viele Aspekte angesprochen wurden, die auch für mich relevant sind.

In den 25 Kapiteln werden verschiedenste Themen behandelt, die das Spektrum der Frage- und Problemstellungen dieses Arbeitsbereichs m. E. ganz wunderbar abbilden: Gerontologische, ethische und rechtliche Grundlagen, gerontopsychiatrische Diagnostik und Pflege, organische und psychische Erkrankungen und Behandlungsmöglichkeiten, Pflegeschwerpunkte bei verschiedenen Störungsbildern, spezielle Prophylaxen (Deprivation, Schmerz, Sturz und Mobilität, Harninkontinenz, Mangelernährung und Dehydration), therapeutische Verfahren und unterstützende Konzepte, Pharmakotherapie, Hospizbewegung und Palliativversorgung, Verhalten in psychiatrischen Notfällen etc. Abschließend werden noch etliche Fallbeispiele detailliert beschrieben und entsprechende Lösungsansätze aufgezeigt.

Mit über 500 Seiten ist das Werk sehr umfangreich. Die Inhalte sind meiner Ansicht nach didaktisch sehr gut aufbereitet (inklusive zahlreicher Schaubilder) und mit Beispielen angereichert, die einen direkten Bezug zur Praxis ermöglichen. Dabei ist anzumerken, dass die Autoren/-innen sich – wie auf Seite 96 erwähnt wird – an diversen aktuellen (evidenz- bzw. konsensorientierten) Leitlinien höheren Ranges orientieren, wodurch das Buch eine hervorragende Orientierung an derzeitig gültige Standards bietet. Auch die besonderen Bedingungen, die sich durch die COVID-19-Pandemie ergeben haben, werden berücksichtigt. Zudem sind an vielen Stellen Hinweise auf weiterführende Quellen, Links oder Datenbanken zu finden, die einem die Suche nach aktuellen und vertiefenden Informationen erheblich erleichtern.

Die Autoren/-innen plädieren für einen differenzierten bzw. individuellen Umgang mit einer Gruppe von Patienten/-innen, die – wie sollte es auch anders sein – äußerst heterogen ist, wobei die eigene Haltung eine zentrale Rolle spielt. Hilfreich für mich waren vor allem die vielen Hinweise auf Besonderheiten, die um Zusammenhang mit den einzelnen Störungsbildern auftreten können, die mich immer wieder an Situationen erinnerten, die ich hier und da bereits im Kontakt mit Patienten/-innen erleben durfte: Wie gehe ich zum Beispiel professionell mit herausfordernden Verhaltensweisen um, die ich nicht unmittelbar nachvollziehen kann? Wie verhalte ich mich im Umgang mit Menschen richtig, die aufgrund ihrer Beeinträchtigungen eine veränderte Wahrnehmung haben?

Aufgrund der vielen Praxistipps für potenziell problematische Alltagssituationen eignet sich dieses Buch m. E. nicht nur für Pflegefachkräfte, sondern grundsätzlich für alle, die sich um Menschen im höheren oder hohen Alter kümmern. Dabei werden auch Fragen beantwortet, die sich beispielsweise im Zusammenhang mit eventuell auftretenden psychischen Erkrankungen stellen können. Zwar empfielt es sich, bei spezifischen Störungsbildern vertiefende Literatur hinzuzuziehen oder fachkundigen Rat einzuholen, die Hinweise, die Sie in diesem Werk finden, sind aber gewiss auch schon sehr hilfreich.

Fazit: Für mich hat sich der Blick über den Tellerrand absolut gelohnt! Manchmal dachte ich daran, einzelne Kapitel einfach zu überspringen, da sie für mich keine praktische Relevanz zu haben schienen, konnte mich dann aber doch disziplinieren, auch sie Seite für Seite zu lesen. Das war gut, denn auch dort, wo ich es nicht unbedingt erwartet hätte, konnte ich oft etwas lernen, was mir künftig nicht nur im Austausch mit den interdisziplinären Teams auf den Stationen hilft. Sollten mir Patienten/-innen nämlich mal Fragen stellen, die über mein eigenes Fachgebiet hinausgehen, bin ich jetzt jedenfalls nicht mehr ganz so ahnungslos, wie ich es zuvor wohl gelegentlich war.

Klaus Maria Perrar, Erika Sirsch & Andreas Kutschke (2021). Gerontopsychiatrie für die Pflege (3. Auflage). Thieme.

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