Rezension: „Irgendwie seltsam …!“ von Bettina Hafner & Gudula Ritz

Wer als Coach oder Berater/-in mit Menschen arbeitet, hat bestimmt schon die ein oder andere Erfahrung mit jenen Charakteren gemacht, die in diesem Buch beschrieben werden: narzisstische, histrionische, selbstunsichere, passiv-aggressive, zwanghafte und Borderline-Persönlichkeiten. Sollten Sie der Auffassung sein, es wäre die alleinige Aufgabe der Psychotherapeuten/-innen, sich mit solchen Menschen in einem professionellen Rahmen auseinanderzusetzen, liegen Sie falsch. Solange es bspw. in erster Linie um berufsbezogene Themen oder Fragestellungen geht, dürfen auch Coachs und Berater/-innen mit ihnen arbeiten. Das jedoch ist nicht immer so einfach, da Persönlichkeitsstörungen den beiden Autorinnen zufolge immer auch Beziehungsstörungen sind. Eine der wesentlichen Herausforderungen besteht also darin, „nicht in Beziehungsfallen zu [tappen], die den Entwicklungszielen des Coachings zuwiderlaufen“ (S. 19). Damit das nicht geschieht, sollten die verantwortlichen Coachs stets vier Ebenen im Blick haben: die Inhalts-, die Beziehungs-, die Prozess- und die Funktionsebene. Dabei geht es u. a. um die Frage, was Klienten/-innen mit einem bestimmten Persönlichkeitsstil benötigen, um ein Coaching-Angebot überhaupt annehmen und sich auf entsprechende Entwicklungsprozesse einlassen zu können. Auch wird darauf eingegangen, ob und inwiefern (Verdachts-)Diagnosen im Rahmen eines Coachings sinnvoll oder sogar erforderlich sind.

Zu betonen ist, dass das dimensionale Konzept der Persönlichkeitsstile (auf Grundlage der PSI-Theorie) einen Kompromiss zwischen der psychiatrischen Sichtweise (kategoriale Erfassung) und der dimensionalen Sichtweise der Differentiellen Psychologie darstellt. Jeder Persönlichkeitsstil geht demzufolge mit gewissen Stärken und Risiken bzw. Schwächen einher. Seltsam oder befremdlich wirkendes Verhalten, das eventuell damit verbunden ist, wird als subjektiv sinnhafte Anpassungs- und Überlebensstrategie in spezifischen Sozialisationskontexten verstanden und somit nicht (nur) pathologisiert, sondern auch gewürdigt.

In den Kapiteln 2 und 3 werden konkrete Tipps zum Vorgehen bei extremen Persönlichkeitsstilen der Cluster B und C gegeben. Das Cluster A, also das exzentrische Cluster (d. h. der eigenwillige, zurückhaltende und ahnungsvolle Persönlichkeitsstil) werden nicht behandelt, da sie laut den Erfahrungen der Autorinnen im Coaching eher seltener vorkommen. Interessant dabei ist, dass – neben konkreten Fallbeispielen – im Rahmen von Interviews auch unterschiedliche Perspektiven von Experten aus Wissenschaft, Medizin und Psychotherapie auf die entsprechenden Problematiken aufgezeigt werden. Dadurch werden die jeweils zu Beginn angeführten „typischen Merkmale“ plastischer. Obwohl auch Klienten/-innen natürlich Individuen sind (wie es bspw. in der idiografisch ausgerichteten Persönlichkeitspsychologie gesehen wird), die nicht einfach mal so in ein bestimmtes Schema gepresst werden sollten (im Sinne einer Typologie), bieten diese Abschnitte hilfreiche Heuristiken für den Umgang mit eventuell auftauchenden Kommunikations- bzw. Beziehungsstörungen an.

Nachdem im 4. Kapitel ein kurzer Exkurs in das Fach sowie in die historische Entwicklung der Persönlichkeitspsychologie gewährt wird, führt das 5. Kapitel abschließend in die PSI-Theorie von Julius Kuhl ein, und das in wohltuender Kürze. Zwar habe ich in einem der Schaubilder einen Verwechslungsfehler gefunden, insgesamt ist die Darstellung der wesentlichen Aspekte dieser Persönlichkeitstheorie allerdings – wie ich finde – sehr gut gelungen!

Leider waren in den Arbeitsmaterialien, die auf der Seite des Verlags als PDF-Dateien hinterlegt sind, lediglich kurze Skizzierungen jener sieben Persönlichkeitsstile zu finden, die in dem Buch umfassend beschrieben sind.

Fazit: Dieses Buch hält für jeden Coach zahlreiche Tipps und Handlungsempfehlungen bereit. Über einen solchen Ratgeber hätte ich mich damals sehr gefreut, als ich beim Integrationsfachdienst damit anfing, Menschen mit einer F-Diagnose in den ersten Arbeitsmarkt zu begleiten. Unter meinen damaligen Klienten/-innen waren nämlich auch etliche, denen bereits eine Persönlichkeitsstörung diagnostiziert wurde oder die ganz offensichtlich einen extremen Persönlichkeitsstil aufwiesen.

  • Bettina Hafner & Gudula Ritz (2020). Irgendwie seltsam …! managerSeminare Verlags GmbH, Bonn.

Auf der Produktseite des Verlags können Sie übrigens einen Blick ins Inhaltsverzeichnis werfen und sich ein wenig über den fachlichen Hintergrund der beiden Autorinnen informieren.

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