Rezension: „Stressprävention in modernen Arbeitswelten“ von Hilko Paulsen & Timo Kortsch

„Kompetenzen im Stressmanagement helfen, Stressoren zu erkennen und Ressourcen zu aktivieren, um Anforderungen besser zu bewältigen.“

Manchmal gibt es Bücher, die besorge ich mir, schaue kurz mal hinein, lege sie dann ins Regal und werde erst viele Monate später wieder darauf aufmerksam, dass ich sie ja eigentlich schon längst gelesen haben wollte. Bei diesem Buch ging es mir so. Warum? Nun, fehlendes Interesse ist es nicht, zumindest nicht bei diesem Werk, denn hier geht es ja um ein Thema, das mir im Rahmen meiner Seminartätigkeit laufend begegnet und das ich eigentlich auch spannend finde. Allerdings habe ich beim Blick ins Inhaltsverzeichnis und beim ersten Querlesen kaum etwas gefunden, das mir fremd oder neu zu sein schien. Vermutlich habe ich mich deshalb so schwer damit getan, es wieder in die Hand zu nehmen?

Worum geht es?

In diesem Buch finden sich acht Kapitel. In dem ersten, das recht kurz ist, wird ein wenig über die „moderne“ Arbeitswelt philosophiert: Industrie 4.0, ständige Erreichbarkeit und VUCA (Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambivalenz). Dann folgt ein Kapitel über Stressentstehung, -bewältigung und -prävention. Darin wird Stress zunächst als unspezifische Anpassungsreaktion beschrieben, daraufhin wird das transaktionale Stressmodell von Richard Lazarus erläutert, anschließend das Job-Demands-Resources-Modell, dann geht es um empirische Befunde zu den theoretischen Grundlagen und um Arten des Job Craftings, d. h. um die individuellen Formen der Arbeitsgestaltung, bei der sich Menschen darum bemühen, ihre Arbeit aktiv umzugestalten und zu verbessern bzw. diese an die eigenen Fähigkeiten und Bedürfnisse anzupassen.

Im dritten Kapitel werden verschiedene Stressmanagementtrainings beschrieben und miteinander verglichen, woraufhin im vierten Kapitel empirische Befunde dargestellt werden und aufgezeigt wird, wie wirksam die „Einfach weniger Stress“-Kurse der beiden Autoren sind. Kapitel 5 behandelt das Präventionsgesetz und die entsprechende Strategie als Handlungsrahmen, wobei das Thema „Zertifizierung“ eine zentrale Rolle spielt.

Ab Seite 25 wurde es für mich interessanter, da ich wissen wollte, ob das, was ich seit Jahren tue, mit dem Konzept der Autoren korrespondiert? Im sechsten Kapitel wird also der „Einfach weniger Stress“-Kurs vorgestellt, wobei zunächst einmal einige Grundlagen angesprochen, einige Durchführungshinweise gegeben und anschließend der Aufbau und Ablauf des Seminars erläutert werden. Dabei wird auch auf die beiliegende CD-ROM aufmerksam gemacht, auf der sich zahlreiche Materialien für die Umsetzung (Input-Präsentationen, Instruktionen für Übungen und Abeitsblätter) sowie sogenannte Stundenverlaufspläne befinden. Auch ein Video zum „Einfach weniger Stress“-Konzept ist dort zu finden. Leider konnte ich mir das alles nicht anschauen, da ich schon seit etlichen Jahren kein CD-ROM-Laufwerk mehr habe.

Die Gliederung des zweitägigen Seminars schaut wie folgt aus:

  • Einführung in den Kurs
  • Schritt 1: Stress verstehen
  • Schritt 2: Stressoren erkennen
  • Schritt 3: Ressourcen wecken
  • Schritt 4: Umsetzung planen
  • Schritt 5: Gelassen handeln
  • Abschluss und Verabschiedung

Bei jedem der oben genannten Schritte werden anfangs die Ziele benannt, daraufhin die Inhalte dargestellt und am Ende die Vorgehensweise erläutert.

Schon bei der Einführung hatte ich den Eindruck, dieses Buch wurde für Kollegen/-innen geschrieben, die zum allerersten Mal ein Seminar mit einer solchen Thematik durchführen und genau erklärt bekommen müssen, wie so ein Einstieg gelingen kann. Die Modelle und Übungen, die in den fünf Schritten behandelt werden, sind mir alle bestens vertraut. Der Aufbau ist nachvollziehbar und sinnvoll. Hier und da habe ich beim Lesen einige Hintergrundinformationen aufgeschnappt, an die ich mich hoffentlich im passenden Moment erinnern werde.

In Kapitel 7 geht es um die Anwendung des Konzeptes im Rahmen individueller Coaching- und Beratungsprozesse, woraufhin im achten Kapitel weitere Anwendungsmöglichkeiten folgen: Komprimierung des Kurskonzeptes auf einen Tag, Ergänzung von Inhalten und Schwerpunktsetzung, Haltung der Kursleitung und Anpassung beim Wording, Stressprävention mit digitaler Unterstützung etc. Abschließend folgt das Literaturverzeichnis.

Persönliche Bewertung:

Die hier vorgestellte Vorgehensweise entspricht weitgehend tatsächlich dem, was sich meiner Erfahrung nach mit dem Begriff „best practice“ beschreiben lässt. Die Modelle und Übungen, auf die die Autoren sich beziehen, sollte man unbedingt kennen. Dass ich mich bei der Umsetzung allerdings an einen vorgegebenen Stundenplan halten werde, ist unwahrscheinlich. Ich gestalte meine Seminare immer prozessorientiert, indem ich den Seminarablauf und die inhaltliche Schwerpunktsetzung davon abhängig mache, mit welchen Erwartungen die Teilnehmer/-innen in das Seminar kommen. Im Laufe des erstes Tages lasse ich sie problematische Arbeitssituationen oder grundsätzliche Fragestellungen skizzieren, die ich dann gemeinsam mit der Gruppe analysiere und daraufhin Lösungsvorschläge erarbeite. Dabei schaue ich individuenzentriert auf das, was die Betroffenen selbst tun können (Selbstregulation, Handlungsspielräume erweitern etc.), sowie auf das, was auf der organisatorischen Ebene getan werden könnte. Die Schrittfolge, die die Autoren vorschlagen, halte ich dabei aber in der Regel auch tendenziell ein. Sie ist m. E. also stimmig.

Auf eine Zertifizierung war ich bislang nicht angewiesen. Ehrlich gesagt, halte ich davon auch nicht allzu viel. Genaue Vorgaben, wann ich was wie genau zu tun habe, oder Power-Point-Präsentationen, die ich Folie für Folie abarbeiten muss, korrespondieren nicht mit meiner Arbeitsweise. Wer allerdings bislang wenig Erfahrung mit der Durchführung solcher Seminare hat, für den sind solche Schritt-für-Schritt-Anleitungen gewiss hilfreich! Die Erläuterungen der Modelle und Übungen sind den Autoren jedenfalls sehr gut gelungen. Sollten Trainer/-innen, die aufgrund eines anderen beruflichen Hintergrunds über wenig psychologisches Fachwissen verfügen, dieses Konzept umsetzen wollen, empfehle ich allerdings, vorab noch das ein oder andere Buch zur Vertiefung zu lesen. Ansonsten könnte es schwierig werden, sollten Fragen gestellt oder Themen angesprochen werden, die über das hinausgehen, was in diesem Arbeitsheft auf 73 Seiten in aller Kürze erörtert wird.

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