Was bringt Plural Leadership?

„Plural Leadership“ ist ein Führungsstil, bei dem die Führungsverantwortung auf verschiedene Menschen verteilt ist bzw. diese von ihnen geteilt wird, potenziell fließend und in Wechselwirkung. Dabei führen sich die Menschen gegenseitig an. Führung entsteht also als Eigenschaft der Gruppeninteraktion.

In der hier vorliegenden Leseprobe werden Befunde aus unterschiedlichen theoretischen wie methodischen Perspektiven in einer geglätteten Forschungssynopse zusammengeführt. Die Befunde sind unterschiedlichen Ebenen (Individuum, Organisation/Team, Gesellschaft) zugeordnet. In diesem Buch wird anschließend aufgezeigt, wie diese zukunftsweisende Form der Führung in der Praxis sinnvoll umgesetzt werden kann. Die anschaulichen Ausführungen basieren u. a. auf umfangreichen empirischen Studien des Autorenduos.

Kritische Forschungssynopse: Was bringt Plural Leadership?

Plural Leadership wird in der wissenschaftlichen Literatur seit längerem sowie aktuell mit zunehmendem Interesse untersucht. Vielfältige Zusammenhänge und Wirkungen sind daher bereits mit empirischen Befunden untermauert, so dass Aussagen jenseits einer allgemeinen Plausibilität möglich sind. Wir haben die Studienlage ausgewertet und eine geglättete Zusammenschau erstellt. Ein kritisches Zwischenfazit lenkt den Blick auf weiterführende Aspekte. Diese sind für eine gelingende praktische Umsetzung gleichsam beachtenswert. (Auszug aus Kapitel 4)

Wir haben Befunde aus unterschiedlichen theoretischen wie methodischen Perspektiven in einer geglätteten Forschungssynopse zusammengeführt. Die Befunde sind unterschiedlichen Ebenen (Individuum, Organisation/Team, Gesellschaft) zugeordnet. Dies wohlwissend um unvermeidliche Überschneidungen und Wechselwirkungen. Tabelle 4.1 bündelt die Befunde und weist wissenschaftliche Studien zur Fundierung aus (Tab. 4.1 ist in der vorliegenden Leseprobe nicht enthalten).

Aus der Perspektive des Individuums

Hier steht die Verbesserung der individuell erlebten Arbeits- und Lebensqualität im Mittelpunkt der Studien. Die Verteilung von Führungsaufgaben auf mehrere Schultern beugt Überlastung bzw. drohender Überforderung (kognitiv, emotional sowie motivational) vor. Zeit und Ressourcen der Führungskraft werden geschont, wenn die Teammitglieder sich gegenseitig führen. Beispielsweise, indem sie sich an Projekttermine erinnern, oder sich gegenseitig motivieren. Weiterhin können verbesserte Austausch- und Lernmöglichkeiten durch Zusammenarbeit mit Co-Leadern zu größerer Sicherheit bei Entscheidungen beitragen und den Verantwortungsdruck für die einzelne Führungskraft verringern (Schlagworte hierbei sind: Stresspuffer, verbesserte Work-Life-Balance/Wohlbefinden). Dies umfasst so positive Formen wie das Erleben von Flow. Mehr Freude sowie ein Zuwachs an positivem Erleben im Beruf resultiert weiterhin aus einer umfassender ermöglichten Teilhabe durch Plural Leadership. Ganz im Spirit von New Work (Menschen wollen sich einbringen und etwas bewirken) und im Zeitgeist, werden aktuell gemeinschaftsbasierte und demokratische Führungsverständnisse zunehmend mehr goutiert als tradierte „heroische“ Führungsvarianten. Dies machen sich auch Organisationsverantwortliche zunutze, insbesondere, indem sie im Wettstreit um Arbeitskräfte mit einer modernen Führungskultur werben. Damit ist bereits die nächste Ebene tangiert.

Aus der Perspektive von Organisation und Team

Ein erster Nutzen von Plural Leadership für Organisationen besteht in Recruiting-Vorteilen, die auf einer höheren Attraktivität als Arbeitgeber mit einer modernen Führungskultur basieren. Gerade gut ausgebildete professionalisierte Wissensarbeiter bevorzugen eher Arbeitssettings „auf Augenhöhe“. Als weitere Vorteile werden eine höhere Flexibilität, Wandlungs- und Anpassungsfähigkeit an komplexe Umwelten sowie eine verbesserte Entscheidungsqualität durch die Nutzung des (kreativen) Potenzials möglichst aller Organisationsmitglieder aufgezeigt. Neuerer Forschung zufolge sind gemeinschaftliche Lernprozesse grundlegend mit Plural Leadership (Shared Leadership) verbunden und tragen zur innovativen Umsetzung von Projekten bei. Hinzu kommt eine geringere Anfälligkeit im Falle der Abwesenheit bzw. des Ausscheidens einzelner Führungskräfte (führungsbezogener Aufbau von Überschussressourcen).

Ein relativ großer Teil der Studien fokussiert auf die Optimierung gruppeninterner Prozesse zur Leistungsverbesserung (auf Team- und Organisationsebene). (…) Mittlerweile liegen aktuelle Meta-Studien vor (…). Diese zeigen die positiven Zusammenhänge zwischen Plural Leadership und Leistungsvariablen über Einzelstudien hinweg auf (…). Tendenziell weisen die Befunde darauf hin, dass Plural Leadership dann seine Stärken entfaltet, wenn es jenseits klassischer Führungsstile (wie direktive oder aufgabenorientierte Führung) um Führungsstile des sogenannten „New Genre Leadership“ (z.B. ermächtigende oder transformationale Verhaltensweisen) geht. Führungsverhalten fokussiert hier in besonderer Weise auf Entwicklung, Wandel und Lernen.

Hervorzuheben ist, dass sich die Leistungswirkungen von Plural Leadership durch vielschichtige Prozesse, die im Kern die Teamfunktionalität verbessen, entfalten. Dies resultiert schon allein aus dem Ringen um Verständigung hinsichtlich tragfähiger Lösungen. Studien verweisen insofern auch darauf, dass sowohl die gruppeninternen Prozesse als auch die Inter-Gruppen-Koordination mit erheblichem Führungsbedarf verbunden ist. Konflikte und ein erhöhter Kommunikationsbedarf lassen so manche Initiative zur Führungsverteilung scheitern. Wenn es jedoch am Ende gelingt, Konflikte angemessen zu bearbeiten und eine gemeinsame Lösung zu finden, stärkt dies das Vertrauen, die Verbundenheit und Solidarität unter den Mitgliedern. Anstatt Probleme oder Konflikte nach oben „zu delegieren“ sollten daher diejenigen, die in einen pluralen Führungszusammenhang eingespannt sind – sei es als Gruppe oder als Führungsdual – zunächst versuchen, gemeinschaftliche Bearbeitungsstrategien zu entwickeln. Bei allen Formen von Plural Leadership nehmen Interaktion und Kommunikation daher zunächst einmal zu. Dies ist jedoch kein negativ zu bewertender „Kommunikationsaufwand“. Vielmehr muss Kommunikation als das wichtigste Medium der Entwicklung und Ausgestaltung von Plural Leadership angesehen werden. Dies haben wir im Lichte neuerer Forschungsbefunde im vorangegangenen Kapitel illustriert.

Dennoch zeigt sich eine klare, quasi natürliche Grenze für Plural Leadership. Diese ist durch den Kontext und die Art der Aufgabenstellung markiert. So ist Plural Leadership, insbesondere Shared Leadership nicht mehr sinnvoll, wenn es um Routineaufgaben sowie standardisierte Prozessabläufe geht. Dahingegen kann Plural Leadership sein volles Potenzial bei komplexen und neuartigen Aufgabenstellungen sowie in wissensintensiven Organisationen entfalten.

Gesellschaftliche Ebene

Betrachtet man die Vorteile von Plural Leadership auf der gesellschaftlichen Ebene, so rücken ethisch-moralische Dimensionen von Führung sowie Legitimitätsaspekte in den Vordergrund. Die vielfältigen Erkenntnisse über negative Folgen von Machtmissbrauch aufgrund von unkontrollierter Macht in den Händen einzelner Führungspersonen an der Spitze legen nahe, Führung auf mehrere Personen zu verteilen. Die managementbezogene Ethikforschung verweist darauf, dass gerade die weit verbreitete elitäre Abkopplung von Führungsriegen sowie Bestrebungen, sich statusmäßig von anderen abzuheben, die Gefahr erhöht, dass Prinzipien moralischen Handelns über Bord geworfen werden. Die Gefahr der Entwicklung korrupter oder moralisch verwerflicher Verhaltensweisen ist bei Plural Leadership deutlich geringer.

Weiterhin zeigt sich die gesellschaftliche Bedeutung von Plural Leadership darin, dass es den Zeitgeist eines stärkeren Strebens nach Teilhabe wesentlich besser trifft als klassische Top-Down Führungsmodelle. Teilen ist in – und das gilt auch für Macht und Einfluss. Eine Abkehr vom immer noch weit verbreiteten „Heldenkult“ in der Führung wird zunehmend gefordert. Plurale Führungsformen stoßen daher aufgrund ihrer gemeinschaftsbasierten und demokratischen Grundausrichtung auf eine höhere Akzeptanz.

Kritisches Zwischenfazit (stark gekürzt)

Die Forschungslage verweist, neben positiven Ergebnissen auf der individuellen und gesellschaftlichen Ebene, insbesondere auf Leistungs- und Effektivitätssteigerungen (Teams und Organisationen). (…) Eine nachhaltige Entfaltung des positiven Potenzials von Plural Leadership hängt somit schon von der Art und Weise seiner „Einführung“ ab. (…)

Unterbelichtet ist somit vor allem das „Wie“ der Verteilung bzw. gemeinschaftlichen Ausübung von Führung. Dazu ist ein erweitertes Verständnis von Führung erforderlich. Wie dies aussieht, und inwiefern eine gelingende praktische Umsetzung von Plural Leadership davon abhängt, zeigen wir im nächsten Kapitel auf.

Quelle:

  • Sigrid Endres & Jürgen Weibler (2019). Plural Leadership – Eine zukunftsweisende Alternative zur One-Man-Show. Kapitel 4: Kritische Forschungssynopse: Was bringt Plural Leadership? Springer Fachmedien: essentials.
  • Hier finden Sie das Buch auf der Seite des Verlags: www.springer.com/de/book/9783658271152.

Dr. Jürgen Weibler, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der FernUniversität Hagen, insb. Personalführung und Organisation. Webseite: www.leadership-insiders.de. Er ist Gründungsmitglied des Forscherverbunds GLOBE (Global Leadership and Organizational Behavior Effectiveness).

Dr. Sigrid Endres, Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insb. Personalführung und Organisation, an der FernUniversität Hagen. Aktuelle Forschungsschwerpunkte sind neue Organisations- u. Führungsformen sowie die Transformation von Organisationen im digitalen Zeitalter.

Hier finden Sie Psyche und Arbeit bei Facebook.