Gut beraten in der Krise?!

Das Herausgeberteam Gunther Schmidt, Anna Dollinger und Björn Müller-Kalthoff geht in diesem Buch der Frage nach, welche Methoden und Konzepte sich in Krisen als besonders hilfreich erwiesen haben.

Nach den einleitenden Worten von Prof. Dr. Gerald Hüther, der darüber reflektiert, was eine Krise eigentlich ist und was durch sie bei jemandem ausgelöst wird, der in einer solchen steckt, folgt ein längeres Kapitel von Dr. Gunther Schmidt über die Hypnosystemische Krisenberatung. Zunächst beschreibt er, wie das Erleben einer krisengeschüttelten Zeit in dem Einzelnen wirkt bzw. wie dieser seine Wahrgebungen so gestaltet, dass sie zu einer antizipierten Ausweglosigkeit und Lähmung führen. Dazu werden typische Phänomene des Krisenerlebens reflektiert und die Mündung erfolgloser Lösungsversuche in destruktive Eskalationsprozesse beschrieben. Die Entstehung sogenannter Muster, in denen Menschen das ihnen Widerfahrene konstruieren und aufrechterhalten, wird beleuchtet und der Fokus anschließend auf die Wiedergewinnung von entsprechenden Lösungskompetenzen gerichtet. Bezug nimmt er dabei auf die Sprachmuster der modernen Hypnotherapie sowie auf systemische Betrachtungsweisen. Ziel einer solchen Beratung ist es ihm zufolge, mittels einer erweiterten Sicht auf etwaige, neu zu formulierende Zielvorstellungen, den Klienten ihre eigene Handlungsfähigkeit wieder erlebbar zu machen. Spannend hierbei sind der Begriff der „systemischen Demut“, die er als grundlegende Haltung in einem solchen Prozess benennt, sowie die Einbeziehung sogenannter Rückmeldekompetenzen des Körpers (u. a. basierend auf der Emotionstheorie von Antonio Damasio). Hinweise auf ein gelingendes und wertschätzendes Pacing runden seine Ausführungen ab.

In dem zweiten Teil des Buches geht es dann um Techniken, die in der Praxis zur Anwendung kommen können. Die „Münchhausen-Techniken“ beschreiben Möglichkeiten, wie es mittels einer Umfokussierung gelingen kann, sich selbst aus dem Krisen-Sumpf zu ziehen. Sandra Hofmann-Arnold erläutert hierfür eine Technik, die es erlaubt, sich nur noch zu bestimmten, vorher festgelegten Zeiten mit dem Problem zu befassen. Es folgt eine Erörterung verschiedener Gesprächsabläufe zum Einzel-, Führungs- und Teamcoaching (Ziel definieren, Erfolg vorstellen bzw. fühlen, Ressourcen finden, erschließen und nutzen, Hindernisse visualisieren und „beseitigen“, hilfreiche Attribuierungen finden, sich selbst erfüllende Prophezeiungen nutzen, Probehandeln und dabei heitere Gelassenheit empfinden). Daraufhin meldet sich Dr. Gunther Schmidt in den Kapiteln „Intervention gegen Krisenerleben“ sowie „Problem-Lösungs-Gymnastik und Kompetenz-Balance“ erneut zu Wort. Zunächst erklärt er in einzelnen Schritten eine Technik, bei der man sich mittels der Imagination zweier möglicher Zukunfts-Ichs (Horror-Ich und Wunsch-Ich) der Spannweite seines Verhaltens bewusst werden und dieses in angemessener Weise regulieren kann. Hierbei werden sämtliche Sinneskanäle sowie eine Utilisation des intuitiven Körperwissens („balancierende Hände“) herangezogen. Schön dabei ist der Hinweis darauf, dass in der Regel eine stimmige Lösung angestrebt wird, d. h. eine Balance zwischen beiden Verhaltensmustern. Bei der Problem-Lösungs-Gymnastik handelt es sich eigentlich um eine Abfolge von Fragen, die zu dem Bewusstsein führen sollte, dass jeweils immer nur Teilaspekte der Persönlichkeit von einem Problem betroffen sind. Ähnlich wie bei der Methode des Inneren Teams werden diese benannt und mit gewissen Attributen versehen (Gestalt, Geschlecht, Alter und/oder Größe). Zuvor wird eine optimale Steuerungsposition bzw. ein Steuerungs-Ich etabliert, welches mit diesen Anteilen kommuniziert (über sogenannte somatische Marker), um deren positive Aspekte zu integrieren. Es wird unterstellt, dass durch diese Form der Körperarbeit, das Wissen auf einer tieferen Ebene verarbeitet wird. Grundsätzlich lässt sich dieses Vorgehen aber auch ohne diese spezielle Form der Gymnastik zielführend anwenden. Besonders gefallen hat mir hierbei der Begriff der „Ehrenrunde“, der für einen „Rückfall“ in gewohnte Verhaltensmuster steht und durch den das Erlernte nochmals reflexiv überprüft werden kann.

Es folgen etliche weitere Coaching-Werkzeuge für Einzelinterventionen in Krisensituationen. Zunächst wird die Möglichkeit erörtert, sogenannte Einstreugeschichten in den Prozess einzubinden, also solche, in denen den Klienten wie in einem Gleichnis vermittelt wird, dass man ihre Situation versteht. Sie erfüllen – je nachdem, wann sie eingesetzt werden – verschiedene Zwecke: Dissoziation vom Problemerleben und Fokussierung der Aufmerksamkeit auf gewünschtes Verhalten, ein Umdeuten der Wirklichkeit bzw. das Erlangen einer veränderten Einstellung zur Problemlage, Motivation zur Umsetzung des Gelernten in den Alltag u.v.m. Wichtig beim Erzählen ist es, dass die Geschichten glaubwürdig sind bzw. sie das Vertrauen in den Beratungsprozess nicht abmindern. Eine weitere schöne Idee ist das Ressourcen-Mandala. Hierbei geht es um die Betrachtung dessen, worauf Klienten stolz sind, wovor sie Angst haben, welche (positiven) Visionen sie von ihrer Zukunft haben und welchen Beitrag sie dazu leisten können, diese zu realisieren. Diese Aspekte werden von ihnen im Rahmen einer Stillarbeit in einem Kreis symbolisch dargestellt. Abgerundet wird diese Idee mit einem schriftlich ausformulierten Motto.

Es folgen Ausführungen über eine Methode, wie sich das U-Modell von Otto Scharmer im Rahmen eines Krisencoachings einsetzen lässt, sowie eine Imaginationsübung, in der sich die Krise als Haus vorgestellt wird. Hierbei sind es wahrscheinlich vor allem die gezielten Fragetechniken, die die Wirksamkeit der Interventionen erklären. Wesentlich spannender fand ich dann die Idee, Klienten mittels eines Kompetenzprofils darin zu unterstützen, wieder Anschluss an ihr kompetentes und wirksames Selbst zu finden. Dazu werden vier verschiedene Bereiche hinterfragt, die diese dazu befähigen. Bei den (1) Kernkompetenzen geht es um jene Talente und individuellen Gestaltungsimpulse, die die Klienten auszeichnen. Diese können sich am ehesten unter bestimmten (2) Arbeitsbedingungen und im Rahmen geeigneter (3) Kernthemen entfalten. Zum Abschluss geht es um die (4) Lebensphilosophie, die Aufschluss darüber gibt, welcher persönliche Beitrag zu einem Gelingen geleistet werden kann. Ganz im Sinne einer Positiven Psychologie wird hier also auf Stärken und Affinitäten fokussiert. Beim „Rückblick des weisen Alten“ wird versucht, mittels eines Perspektivwechsels eine neue Sicht auf die Dinge einzunehmen, dabei Gelingendes zu entdecken und in Form von Handlungsplänen in den Alltag einzubinden. Auch das Wertequadrat von Prof. Dr. Friedemann Schulz von Thun wird aufgegriffen und in seinem Nutzen anhand von zwei Beispielen dargestellt.

Im Anschluss daran folgen Konzepte, die im Rahmen von Trainings eingesetzt werden können. So zum Beispiel der Agendapunkt „Kotz“, bei dem störende Einflüsse offen angesprochen und bearbeitet werden. Das Vorgehen hierbei ist simpel aber plausibel. Gleiches gilt für die darauffolgende Problemlösebrücke. Diese kann als Metapher eingesetzt werden, um schwierige Phasen zu überwinden. Das Modell zum Skizzieren komplexer Systeme, welches am Beispiel der Finanzkrise ausführlich dargestellt wird, kann viel Licht in verworrene Zusammenhänge bringen. Des Weiteren werden Vorschläge gemacht, wie eine systemische Beratungsarbeit bei krisenbedingtem Mitarbeiterabbau zu betreiben und erfolgreich umzusetzen ist, wie man in Unternehmen, die in einer Krise stecken, Handlungsmöglichkeiten erarbeitet etc. Etwas skeptisch sehe ich vor allem das Kapitel „Verjüngungskur mit alten Weisen“, in dem auf schamanische Techniken zugegriffen wird. Aber diese Art „Training“ ist sicher Geschmackssache…

Abschließend werden im letzten Abschnitt des Buches noch einige Trainingskonzepte angeboten, die entweder zur Prävention oder im Falle einer tatsächlichen Krise nützlich sein können. Hilfreich an den fünf offerierten Designs sind deren detaillierte Darstellungen, die eine Anwendung unmittelbar ermöglichen. Auf der Webseite des Verlags finden sich zudem für einige der in dem Buch angesprochenen Trainings noch hilfreiche Unterlagen, die zum Download angeboten werden.

Fazit: Nicht alles, was in dem Buch besprochen wird, erscheint mir tatsächlich nützlich zu sein. Dennoch finden sich sehr viele Gedanken darin, die eine Anschaffung in jedem Fall rechtfertigen. Vor allem die ersten Kapitel sind äußerst gelungen und gewähren einen fantastischen Einblick in die hypnosystemische Beratungsarbeit. Auch etliche der beschriebenen Methoden und Trainingsformate lassen sich hervorragend in die berufliche Praxis integrieren. Somit kann ich dieses Buch jedem empfehlen, der sich mit der Bewältigung von Krisen befasst. Einen besseren Leitfaden zu diesem speziellen Thema für Coachs und Trainer habe ich jedenfalls bislang noch nicht gelesen.

Quelle:

  • Gunther Schmidt, Anna Dollinger & Björn Müller-Kalthoff (2014). Gut beraten in der Krise (3. Auflage). managerSeminare Verlags GmbH: Edition Training aktuell.

Hier finden Sie Psyche und Arbeit bei Facebook.