Die Masken eines Traumas

Die Maskenbilder von Manfred Evertz veranschaulichen all jene Aspekte unseres Seins, die wir vor uns selbst verstecken, anpassen und deformieren, um in dieser Welt zu funktionieren und zu überleben. Hinter ihnen liegen die abgespaltenen und unterdrückten Anteile unserer Persönlichkeit, von denen wir „gelernt“ haben, sie nicht zeigen zu dürfen. Sie verbergen den „Schatten“ (C. G. Jung) und reduzieren uns auf ein vorzeigbares „Ich“, mit dem eine positive Identifikation gelingt. Dadurch sind wir zwar „gut“ aber nicht „ganz“. Sie formen sich schon in der frühen Kindheit, in der wir spürten, dass wir die unbedingte Verbundenheit zu den bzw. dem anderen Menschen verloren haben oder verlieren könnten und uns auf eine bestimmte Weise zeigen müssen, um Liebe, Wertschätzung und Aufmerksamkeit zu erfahren. Das, was von unseren ersten Bezugspersonen nicht mit Liebe empfangen wurde, begannen wir daraufhin vielleicht an uns selbst zu verachten und abzuspalten, um uns vor dem Liebesentzug zu schützen, da wir (vielleicht) glaubten, er sei gerechtfertigt. Hervorgerufen durch frühkindliche Traumata oder Zwängen, denen wir uns ausgeliefert fühlten, entwarfen wir unsere eigene Maske, mit der wir fortan durch das Leben schreiten. Doch die Masken werfen dunkle Schatten. Sie berauben uns unserer eigentlichen Individualität und führen zu neuen Problemen, da wir uns selbst und anderen Menschen nicht mehr wahrhaftig begegnen.

Die Bilder des Künstlers sind sehr kraftvoll und facettenreich. Durch ihre zum Teil nur schemenhaft bewusst werdende Wirkung bieten sie einen Zugang zu jenen Aspekten unseres Selbst, die wir in den Tiefen unseres Unterbewusstseins vergraben haben und von denen wir es gewohnt sind, ihnen im Alltag auszuweichen. Sie bieten sich also dazu an, einen Zugang zum Unbewussten zu erschließen, um das Verlorene wiederzuentdecken. Geht es also um Erlebnisse, an die eine bewusste Erinnerung nicht möglich ist, oder um Ahnungen, von denen wir nicht wissen, woher sie kommen oder was sie bedeuten, lassen sie es zu, mit ihnen in Kontakt zu kommen, ohne sie konkret benennen zu müssen. Auf diese Weise kann es gelingen, einen Zugang zu unserem Innersten herzustellen, der zu einer Ganzheit führt, die wir ursprünglich waren.

Im Folgenden sei nun der Versuch unternommen, die Maskierung eines Traumas aus psychologischer Perspektive zu betrachten und einen Weg der Befreiung anzudeuten.

Manfred Evertz

Jegliches Gefühl verliert sich schnell, wenn man zum Opfer der Machtgelüste eines anderen Menschen wird und die abstoßendste Art von Nähe im Intimsten ertragen muss. Zum körperlichen Objekt der Begierde auserkoren entsteht aus einer der Freiheit beraubten Weiblichkeit jene emotionale Dumpfheit, die erfüllt von Scham und Zweifel versucht, ihre Blöße zu verbergen. Ohne Hoffnung müht sich die Seele vergeblich, die Demütigung zu leugnen, und verliert sich in Einsamkeit und Selbstverachtung. Jede Berührung wird zum Schmerz, der sich verfängt in einem Gemisch von Schuld und Ekel. Durch mittellose Distanzierung, verführt von der inneren Leere, scheint das Wachstum zu versiegen und der Moment erstarrt zur Ewigkeit.

Manfred Evertz

Sich einem solchen Blick zu entziehen, fällt schwer. Mit Vorwürfen beladen erhebt sich das mütterliche Ich zu einer Autorität, die dem Betrachter ernst und durchdringend anschaut, als wisse es um ein dunkles Geheimnis. Der Tadel erfolgt wortlos. Und auch das jüngere Ich scheint bereits eingeweiht und sich trotz einer ersten Maskierung bereits die Nase am unausgesprochenen Zerwürfnis blutig gestoßen zu haben. Trotz all der Schuld, die hier spürbar wird, ist keine Klage zu hören. Die Wunden der Seele vermischen sich mit der Kühle des Alltags zu einer dumpfen Resignation, die unausgesprochen den Moment bestimmt. Trotz der Verbitterung bleibt ein forderndes Hoffen, jene Unschuld, die zusammengekauert aufgebahrt liegt, nicht weiter zu verletzen. Hilflos ist sie dem Geschehen ausgeliefert. Beladen mit einem unbestimmten Gefühl von Schuld, wird der Betrachter dazu bewogen, sich mit gesenktem Kopf abzuwenden.

Manfred Evertz

Furchterregende Gedankenblitze rufen jene Dämonen der Vergangenheit erneut ins Bewusstsein, von denen der Verstand sich so gern erlösen möchte. Immer wieder drängen sich die gleichen Bilder auf. Wie in einem sich stetig wiederholenden Theaterstück lassen sie die schmerzhafte Erfahrung abermals aufleben und spürbar werden. Der Schmerz der Seele wirkt unkontrollierbar und nur schwerlich zu verbergen. Je mehr sich diese darum bemüht, die Erinnerung zu unterdrücken, um so mächtiger wird sie. Überwältigt von der Intensität wirkt alles unnatürlich und mystisch. Des Vergangenen klare Konturen rufen ein Schaudern hervor. Jener Schlüsselmoment, der die Grenzen der Zeit durchbricht, lässt die Betroffenheit gegenwärtig sein.

Manfred Evertz

Schutz suchend vor dem Dämonischen versucht das Ich seine Blöße zu bedecken. Der Psychoanalytiker Carl Gustav Jung stellte einst die Frage: „Willst Du gut sein oder ganz?“ Damit forderte er dazu auf, den eigenen Schatten in das Selbst zu integrieren, also jene unliebsamen Anteile der Persönlichkeit, die abgespalten sind und die positive Identifikation des Ichs untergraben. Das, was wir an uns selbst nicht mögen, begegnet uns dann häufig im Außen. Die Verstörung ist es, die den Weg zur Ganzheit aufzeigt und wahrhaftige Ich-Integrität bewirken kann, wenn man sich ihr stellt. Nur durch ein unbedingtes Annehmen dessen, was ungeliebt in uns verharrt, lassen sich die Dämonen vertreiben und daran hindern, uns der Lebenskraft zu berauben. Doch wer hat schon den Mut dazu?

Manfred Evertz

Wie eine Loslösung vom materiellen Diesseits funktionieren könnte, wird im Traum erfahrbar. In ihm verschwimmen die Erlebnisse aus Raum und Zeit zu einer Essenz, die uns erahnen lässt, wer wir im Innersten sind. Unsere Wahrnehmungen verlassen die im Diesseits erlernten Raster, deren Zensor – die Frage nach der Nützlichkeit – darüber bestimmt, was uns von der Welt bewusst wird. Das Eigentliche bleibt im Alltäglichen verborgen. So wie wir in allem das erkennen, was wir brauchen, so zeigen wir auch von uns nur das, von dem wir glauben, dass es gesehen werden darf. Selbst in der innigsten Umklammerung des Schlafes tragen wir unsere Masken und erreichen uns nicht. Scheu verstecken wir unser wahres Selbst und berauben uns des Individuellen. Können wir nur so zu jener Nähe gelangen, die es bedarf, um einen Anschein von Verbundenheit zu erhaschen? Die Psyche vermag nur selten, sich von der „persona“ – ihrem angepassten Teil – zu lösen. Wenn ihr Verborgenes aber dem Körper entschwebt und des Wesens Kern sich offenbart, dann ist sie im warmen Licht der Empathie befähigt, sich selbst ohne Scham zu begreifen – und die eigene Maske – wie ein zweites Gesicht – mit Liebe zu beseelen.

Manfred Evertz

Mit sich verändernden Aufgaben forciert das Leben die Entwicklung des Individuums zur Selbstwerdung. Stufenweise führt es das Ich zur eigenen Entfaltung. Warme und weiche Farben lassen die Schönheit des Weges erahnen, wenn zuvor geformte Masken sich allmählich lösen. Der Blick zurück offenbart ein leises Erschrecken über die Starrheit, die einst mit ihnen verbunden war. Verwunderung und Ungläubigkeit begleiten das Verblassen des Vergangenen und machen den Weg frei und das Beschreiten des Kommenden nun möglich. Die Farbwahl erweckt Zuversicht und lässt die Entstehung eines neuen Mutes spüren. Wie aus einem langen Schlaf erwacht, beginnt die Seele ihre Reise zu einem neuen Horizont. Der Weg zur Wahrhaftigkeit ist vorgezeichnet und verheißt Befreiung und Glück: „Wo gelbe Blumen wachsen, dort ist Gold vergraben!“