Die Kraft der Intuition – Art & Poems

Berührt uns ein Bild oder ein Gedicht, kann es leicht geschehen, dass sich etwas Unaussprechliches ganz plötzlich zu erkennen gibt und sich unser Blick auf bislang verborgene oder längst vergessene Facetten des eigenen Ichs richtet. Auf diese Weise ist es möglich, dass die Faszination, die so manches Kunstwerk auf uns ausübt, eine Heilung seelischer Verletzungen einleitet oder begünstigt. Zwar kann man Menschen auch schon allein durch gezielte Fragen dabei unterstützen, neue Perspektiven zu entwickeln und Selbsterkenntnis zu erlangen, manchmal bleibt ihnen der Zugang zu den tief verwurzelten emotionalen Kodierungen unbewusster Verhaltensmuster allerdings verwehrt. Zudem scheinen Worte nicht immer exakt beschreiben zu können, was uns im Innersten bewegt, da sie das Wahrgenommene und Gefühlte stets auf etwas Sprachliches reduzieren, dessen Konnotationen erlernten Mustern folgen. Bilder und Lyrik hingegen setzen assoziative Prozesse in Gang, die tief in das Unbewusste hineinwirken und somit Türen öffnen, die wir normalerweise geschlossen halten, um uns selbst zu schützen. Wir fühlen uns von ihnen berührt und verstehen sie auf eine Weise, die wir uns nicht immer genau erklären können. Durch den Einsatz von Kunst in der therapeutischen Arbeit kann es gelingen, die Barrieren des Rationalen zu umgehen und einen Zugang zu den verdrängten Teilen unseres Selbst zu finden. Ohne dabei alles klar benennen zu müssen, lassen sich dann für viele innere Konflikte, Ambivalenzen oder Blockaden überraschende Lösungen finden, die es ermöglichen, Akzeptanz und Zuversicht zu entwickeln und künftig mehr im Einklang mit sich selbst zu leben.

Menschen neigen dazu, über Probleme stets auf eine gewohnte Art und Weise nachzudenken. Drehen sich diese Gedanken im Kreis, fühlt man sich oftmals nur schlechter und den Geschehnissen ausgeliefert. Sucht man dann einen Coach oder Therapeuten auf, um sich helfen zu lassen, einen Ausweg zu finden, so ist es dessen Aufgabe, einen durch gezielte Fragen dabei zu unterstützen. Coaching und Therapie sind also eigentlich immer “nur” eine Hilfe zur Selbsthilfe. Der bekannte Psychotherapeut Milton Erickson stellte einst die Hypothese auf, dass Menschen im Laufe ihres Lebens bereits so viele Dinge gelernt haben, dass es ihnen möglich sei, jedes Problem selbst zu lösen. Voraussetzung dafür ist es allerdings, dass sie sich von ihren gewohnten Denkmustern frei machen und sie ihr kreatives Potenzial nutzen.

Lernt man schon als Kind, dass gewisse Gefühle oder Bedürfnisse scheinbar nicht wertvoll sind, kann das leicht dazu führen, dass Mechanismen entwickelt werden, mittels derer diese nicht mehr spürbar sind, um das eigene Selbstwertgefühl irgendwie aufrechtzuerhalten. Doch so einfach, wie sich das anhört, ist das leider nicht. Zu einer gelingenden Selbstwerdung gehört es auch, unangenehme Gefühle zuzulassen und die Verantwortung für jene Bedürfnisse zu übernehmen, die vielleicht gerade nicht so passend bzw. sozial erwünscht sind oder deren Integration in das eigene Selbstbild Schwierigkeiten bereitet. Durch fokussierende Fragestellungen und verschiedene Methoden zur Steigerung der Selbstwahrnehmung können Zugänge zu diesen Aspekten des Selbst erarbeitet werden, um mit ihnen (wieder) in Kontakt zu kommen. Die Bilder von Manfred Evertz und die Gedichte von Christine Matha erleichtern diesen Zugang in besonderer Weise, da sie das Unbewusste dazu anregen, einen Dialog mit uns aufzunehmen.

Engel und Masken

Mit Engeln lassen sich verschiedene Aspekte unseres Seins in Verbindung bringen. Für die einen symbolisieren sie Reinheit und Unschuld im Sinne von etwas Heiligem. Für die anderen haben Sie etwas sehr Kraftvolles, zumal sie über einen eigenen Willen verfügen, der sogar dazu führen kann, dass sie der Sünde verfallen. Dieses Spannungsverhältnis macht wohl die Faszination an ihnen aus. Von vielen Menschen werden sie als schützende Wesen gesehen, die in Krisensituationen Kraft und Hoffnung spenden. Dem zufolge beobachten sie uns aus einer anderen Dimension heraus und begleiten uns durch schwierige Lebensphasen, sozusagen als mystische Helfer. Sie sind empfänglich für jene Schwingungen, die unserem Alltagsbewusstsein entgehen, und sie sind in der Lage, das uns entstehende Leid zu kanalisieren, wenn man an sie glaubt. Ihre Anmut und Schönheit betören uns und sie geben Hoffnung! Sie dürfen zeigen, was wir meinen, verdrängen zu müssen, sie dürfen sein, was wir abspalten! Sie sind ein Sinnbild dessen, was wir sein könnten. Sie bieten sich als Projektionsflächen für unsere intimsten Wünsche und Bedürfnisse an und lassen unsere Verbundenheit zu jener kosmischen Liebe spüren, der wir einst entsprungen sind. Jedenfalls können sie einem Menschen Trost spenden, wenn die Welt es nicht mehr tut.

Die Maskenbilder von Manfred Evertz veranschaulichen all jene Aspekte unseres Seins, die wir vor uns selbst verstecken, anpassen und deformieren, um in dieser Welt zu funktionieren und zu überleben. Hinter ihnen liegen die abgespaltenen und unterdrückten Anteile unserer Persönlichkeit, von denen wir „gelernt“ haben, sie nicht zeigen zu dürfen. Sie verbergen den „Schatten“ (C. G. Jung) und reduzieren uns auf ein vorzeigbares „Ich“, mit dem eine positive Identifikation gelingt. Dadurch sind wir zwar „gut“ aber nicht „ganz“. Sie formen sich schon in der frühen Kindheit, in der wir spürten, dass wir die unbedingte Verbundenheit zu den bzw. dem anderen Menschen verloren haben und uns auf eine bestimmte Weise zeigen mussten, um Liebe, Wertschätzung und Aufmerksamkeit zu erfahren. Das, was von unseren ersten Bezugspersonen nicht mit Liebe empfangen wurde, begannen wir, an uns selbst zu verachten und abzuspalten, um uns vor jenem Liebesentzug zu schützen, von dem wir (vielleicht) glaubten, er sei gerechtfertigt. Hervorgerufen durch frühkindliche Traumata oder Restriktionen, denen wir uns ausgesetzt fühlten, entwarfen wir unsere eigene Maske, mit der wir fortan durchs Leben schritten. Doch die Masken werfen dunkle Schatten. Sie berauben uns unserer eigentlichen Individualität und führen zu neuen Problemen, da wir uns selbst und anderen Menschen nicht mehr in unserer ganzen Wahrhaftigkeit begegnen.

Die Bilder des Künstlers sind sehr kraftvoll und facettenreich. Durch ihre zum Teil nur schemenhaft bewusst werdende Wirkung bieten sie einen Zugang zu jenen Aspekten unseres Selbst, die wir in den Tiefen unseres Unterbewusstseins vergraben haben und von denen wir es gewohnt sind, ihnen im Alltag auszuweichen. Sie bieten sich dazu an, unser Unbewusstes zu erschließen, um das Verlorene wiederzuentdecken. Geht es also um Erlebnisse, an die eine bewusste Erinnerung nicht möglich ist, oder um Ahnungen, von denen wir nicht wissen, woher sie kommen oder was sie bedeuten, lassen sie es zu, mit ihnen in Kontakt zu kommen, ohne sie konkret benennen zu müssen. Auf diese Weise kann es gelingen, unsere ursprüngliche Ganzheit wiederherzustellen.

Lyrisches Nachspüren

Jedem der Bilder ist ein Gedicht von Christine Matha zugeordnet, durch das eine lyrische Annäherung versucht und zugleich eine weitere Ebene der Betrachtung eröffnet wird. Die darin zum Ausdruck kommenden Empfindungen sind selbstverständlich im hohen Maße subjektiv und geben keinesfalls eine bestimmte Richtung der Interpretation vor. Indem sie Resonanz oder Abwehr erzeugen, können sie aber tiefere Schichten sprachlich kodierter Deutungsmuster erreichen und einen Zugang zu verborgenen oder abgespaltenen Persönlichkeitsanteilen sowie zu verdrängten Gefühlen erleichtern.

Beim Lesen der Gedichte von Christine Matha wird also schnell deutlich, dass diese zunächst vor allem eine emotionale Wirkung entfalten. Da die verwendeten Worte bei jedem Leser andere Assoziationen auslösen, ist das, was ihnen an Bedeutung entnommen wird, also äußerst individuell. Folgt man den Aussagen des chilenischen Philosophen Humberto Romesín Maturana, dann sind menschliche Erfahrungen immer subjektgebunden und somit unübertragbar. Obwohl Sprache eigentlich dazu dient, eine über soziale Vermittlungsprozesse herbeigeführte Einigkeit und Klarheit zu vermitteln, und sie eine Verständigung zwischen den Menschen überhaupt erst ermöglicht, sind die in ihr enthaltenen Worte im Gehirn des Einzelnen auf eine jeweils spezifische Weise emotional kodiert. Dies wiederum gibt ihnen ihre ganz persönliche Wertigkeit. Abhängig von den persönlichen Erfahrungen, die jemand in seinem Leben gemacht hat, werden sie folglich automatisch mit Konnotationen versehen und mit individuellen Wirklichkeitskonstruktionen in Einklang gebracht. Da Christine Matha im hohen Maße mit Andeutungen und Auslassungen arbeitet, bietet sie ihren Lesern die Möglichkeit, die Texte durch Eigenes zu ergänzen, und gewährt der Fantasie somit den erforderlichen Spielraum, sich als das andere Ich in dem Geschriebenen wiederzufinden. Das ermöglicht eine Art Identifikation, bei der das rationale Denken quasi umgangen wird, und damit einen Zugang zu den oftmals unbewussteren Strukturen, die dem eigenen Erleben und Fühlen zugrunde liegen. Die Verwendung ausdrucksstarker Sprachbilder unterstützt diesen Prozess, dessen Wirkung man sich nur schwerlich entziehen kann. Auf diese Weise wird man beim Lesen von der Autorin so sehr in ihre Erlebniswelt mit einbezogen, dass eine unmittelbare Betroffenheit entsteht, die kaum zu erklären ist. Man fühlt sich von einer Fremden verstanden und im eigenen Schmerz gesehen. Allein das ist oftmals schon heilsam.

Die Gedichte lassen sich zur Fokussierung von Emotionen bzw. zur Erweiterung des Suchraums nutzen. Das lyrische Nachspüren eignet sich insbesondere zur Erhellung von belastenden Erlebnissen, inneren (und äußeren) Konflikten, Projektionen etc., und es kann dabei helfen, sich aus der Trübe schmerzlicher Empfindungen zu befreien.

Fazit

Durch den Einsatz von Bildern und Gedichten lassen sich therapeutische Prozesse auf wunderbare Weise unterstützen. Obwohl es lediglich Hilfsmittel sind, erleichtern sie es durch die Kraft der Intuition, das Unbewusste anzusprechen bzw. Bewusstwerdungsprozesse zu initiieren. Mittels bewährter Gesprächstechniken, also bspw. eines sokratischen Dialogs in Verbindung mit lösungsorientierten und emotionsfokussierenden Fragen, können diese „Entdeckungen“ so aufbereitet werden, dass sie eine Wirkung entfalten, die psychisches Wachstum ermöglicht.

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