Mobbing verändert Menschen!

Wenn wir nicht mehr so sein können, wie wir einmal waren… Wer von Mobbing betroffen ist oder war, muss ein furchtbarer oder labiler Mensch sein, zumindest aber „schwierig“ im Umgang. Zum Streiten gehören nämlich immer zwei! Außerdem sei es ja lediglich ein mögliches Resultat mangelnder Selbstwertschätzung, wenn man sich zur Zielscheibe der Feindseligkeiten anderer mache. Wenn ich solche Aussagen höre, erkenne ich darin vor allem Ignoranz oder Überheblichkeit. Jeder Konflikt, der sich nicht ohne Weiteres auflösen lässt, bringt für die Betroffenen eine erhebliche psychosoziale Belastung mit sich, die sich selbstverständlich auf die Psyche auswirkt und die Persönlichkeit nachhaltig verändern kann. Wie das genau geschieht, wurde bereits hinlänglich untersucht und beschrieben.

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Der Psychiater und Psychotherapeut Dr. Argeo Bämayr schlägt in diesem Zusammenhang bspw. vor, zum Zwecke einer angemessenen Behandlung eine eigenständige Diagnose ins ICD (International Classification of Diseases) aufzunehmen. Seiner Meinung nach ist vor allem die sehr häufig verwendete Diagnose „Anpassungsstörung“ äußerst unangebracht für die Betroffenen einer „Mobbing-Katastrophe“. So ist das „Bedrängnis“ bei Mobbing keineswegs „subjektiv“ (was eine Voraussetzung dafür wäre), sondern „objektiv“. Niemand könne sich einem Psychoterror mit dem Zweck einer psychosozialen Destabilisierung „anpassen“. Zudem führt eine solche Diagnose leicht zu einer klassischen Opferbeschuldigung und ist somit diskriminierend. Dr. Bämayr weist in diesem Zusammenhang eindringlich auf das Problem einer Verkehrung von Ursache und Wirkung hin, d. h. dass vielen Betroffenen unterstellt werde, ihre Erkrankung sei die Ursache und nicht eine Folge von Mobbing.

Bei der Primärdiagnose „Mobbingsyndrom“, die in „NeuroTransmitter“ (Heft 11/2006) erstmals benannt wurde, lassen sich vier Stadien erkennen: Nach der akuten Belastungsreaktion folgt eine „kumulative“ traumatische Belastungsstörung (mit Depressionen, Selbstzweifeln, Schuldgefühlen, Vermeidungsverhalten, Schlafstörungen, Grübelzwängen, eingeengtem Denken u.v.m.). Diese wiederum mündet in einer Posttraumatischen Belastungsstörung, welche im schlimmsten Fall andauernde Persönlichkeitsveränderungen nach Extrembelastungen nach sich zieht.

Dr. Argeo Bämayr

Die posttraumatische Verbitterungsstörung, wie sie Prof. Dr. Michael Linden (Leiter der “Forschungsgruppe Psychosomatische Rehabilitation” an der Charité Universitätsmedizin Berlin) vorschlägt, weist hierzu einige Parallelen auf. So können auch gesunde bzw. stabile Persönlichkeiten unter den Belastungen einer anhaltenden Mobbingsituation psychisch und körperlich erkranken. Sie ließe sich als ein den Beginn der Krankheit herbeiführendes „außergewöhnliches Lebensereignis“ betrachten, vor allem dann, wenn die Betroffenen zuvor keine psychischen Auffälligkeiten zeigten. Der Zusammenhang zwischen der psychischen Befindlichkeit und diesen Ereignissen ist offenkundig. In Gesprächen berichten die Menschen immer wieder von empfundenen Ungerechtigkeiten und wirken emotional erregt, wenn sie an ihre Erlebnisse erinnert werden. Viele Betroffene betrachten sich selbst als Opfer und sind hilflos, mit dem Ereignis oder mit dessen Folgen umzugehen. Nicht selten geben sie sich selbst die Schuld bzw. werfen sie sich vor, sich nicht wirkungsvoll zur Wehr gesetzt zu haben bzw. nicht adäquat damit umgehen zu können. Des Weiteren berichten sie oftmals über intrusive Erinnerungen an das kritische Ereignis. Manche Patienten äußern Suizidgedanken. Begleitende Gefühle können sein: Dysphorie (Missstimmung), Aggressivität und Niedergeschlagenheit, die einer melancholischen, depressiven Verfassung (mit psychosomatischen Syndromen) ähnelt. Weitere unspezifischere Symptome sind Appetitlosigkeit, Schlafstörungen, Schmerzen oder Ängste, die sich auf die Orte oder Personen beziehen, die mit dem besagten Ereignis in Verbindung stehen. Der Antrieb dieser Menschen ist nicht selten reduziert oder sogar blockiert.

Zur Behandlung einer Verbitterungsstörung schlägt er übrigens eine spezielle – eigens von ihm entwickelte – Therapie vor, mit der er im Rahmen seiner Tätigkeit als Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychosomatische Medizin sowie als Psychotherapeut sehr gute Erfahrungen gemacht hat: die Weisheitstherapie.

Prof. Dr. Michael Linden

Doch ist eine Psychopathologisierung der Betroffenen tatsächlich hilfreich? Zum Zwecke einer zielgerichteten Therapie ist sie es mit Sicherheit. Allerdings scheint mir dabei leicht vergessen zu werden, wie normal derartige Wesensveränderungen eigentlich sind, wenn man sich in einer ständigen psychosozialen Belastungssituation (wie bspw. Mobbing) befindet.

Sind Menschen längere Zeit in einem Konflikt verstrickt, dann neigen sie stärker als sonst dazu, Ereignisse in ihrer Wahrnehmung zu selektieren, zu filtern oder zu verzerren. Sie hören ihrem Gegenüber nicht mehr genau zu und sehen nur noch das, was sie zu sehen glauben. Schnell entwickelt sich dabei eine Art Tunnelblick. Die Wahrnehmung wird von Denkmustern gesteuert, was dazu führen kann, dass man nur noch sieht, was man denkt. Dies wiederum erleichtert die Entstehung sogenannter Denkfehler, die Aaron T. Beck bereits bei seinen Patienten entdeckte, die er aufgrund einer Depression behandelte. Übergeneralisierungen, willkürliche Schlussfolgerungen und dichotomes Denken nehmen zu. Schnell werden andere Menschen kategorisch in „gut“ und „böse“ unterteilt. Es kommt zu Verdächtigungen, Missverständnissen und Fehlinterpretationen, wenn es um das Verhalten des Kontrahenten geht. Das Tragische dabei ist, dass sich beide Parteien im Recht fühlen, weil sie der Überzeugung sind, dass die Dinge genauso sind, wie sie darüber denken.

Auch die Gefühle werden selbstverständlich in Mitleidenschaft gezogen. Aufgrund der akuten Bedrohung werden Ängste zur handlungsleitenden Emotion. Man fühlt sich der Situation ausgeliefert, empfindet Ohnmacht, wird unsicher, misstrauisch und empfindlich. Um sich selbst zu schützen bildet man einen Schutzpanzer oder spaltet einzelne Gefühlsbereiche aus dem Erleben ab. Allmählich geht die Empathiefähigkeit verloren. So wirkt man auf den Konfliktpartner kühl und berechnend, zumindest solange, bis sich die aufgestauten Emotionen in einem Ausbruch entladen. Diese Explosionen führen dann schnell dazu, dass Außenstehende einen als unberechenbar oder psychisch instabil wahrnehmen.

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In einer derartigen Stresssituation werden Überlebensinstinkte wach, die archaische Reaktionsmuster auslösen: Kampf, Flucht oder Erstarrung. Das Ego zentriert sich immer mehr auf die unerfüllten sozialen Bedürfnisse nach Zugehörigkeit, Verbundenheit, Anerkennung, Wertschätzung etc. Es wird starr und zwanghaft. Dass sich dann auch das Verhalten verändert, scheint auf der Hand zu liegen. Man reagiert oftmals nur noch instinktgesteuert bzw. ohne Besinnungspausen einzulegen auf das Verhalten des Konfliktpartners. In Verstrickungen eines solchen Ausmaßes neigen Menschen (oftmals ohne es kontrollieren zu können) immer mehr dazu, frühkindliche Bewältigungsstrategien zu nutzen: Sie schreien sich an, erkranken, ziehen sich zurück oder bemühen sich verkrampft darum, immer alles richtig zu machen.

Das aber sind vollkommen menschliche Reaktionen, die man gelegentlich (zumindest im Ansatz) auch bei „gesunden“ Menschen beobachten kann, wenn diese in einer emotional belastenden Auseinandersetzung verstrickt sind oder sie vor einem Zerwürfnis stehen. Mobbing ist allerdings mehr als nur ein einfacher Konflikt, da eine fundamentale Unterlegenheit damit einhergeht, die oftmals zu Ohnmacht, Hilflosigkeit und Verzweiflung führt. Es ist für mich zwar verständlich, dass man sich im Rahmen einer Therapie darum bemüht, die Betroffenen wieder zu stärken und zu schauen, was bei ihnen vielleicht zu einer erhöhten Empfindlichkeit bzw. Vulnerabilität beigetragen haben könnte, grundsätzlich halte ich die entsprechenden Reaktionsmuster allerdings für normal. Jedenfalls sind sie für mich absolut nachvollziehbar.

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Literatur:

  • Bämayr, Argeo (2012). Das Mobbingsyndrom. Diagnostik, Therapie und Begutachtung im Kontext zur in Deutschland ubiquitär praktizierten psychischen Gewalt. Munich University Press.
  • Linden, Michael. Verbitterung und Posttraumatische Verbitterungsstörung. In: Fuchs, Thomas & Berger, Mathias. Affektive Störungen. Klinik – Therapie – Perspektiven (Kapitel 8). Schattauer (2013).

Weitere Quelle:

  • Ballreich, Rudi & Hüther, Gerald (2010). Du gehst mir auf die Nerven! Neurobiologische Aspekte der Konfliktberatung. Ein Workshop, Zürich 2010. DVD: Audiotorium Netzwerk.

Das Innere Team im Kriegszustand!

Dauerhafte Konflikte oder Anfeindungen können einem ganz schön zu schaffen machen. Auch (noch so) starke Persönlichkeiten verändern sich irgendwann durch solche Erfahrungen. Was kann man dann tun? Gibt es Erklärungsmodelle oder Lösungsansätze, die sich in der Praxis bewährt haben?

In diesem Beitrag wird das Modell des „Inneren Teams“ von Prof. Dr. Friedemann Schulz von Thun vorgestellt und es werden Möglichkeiten aufgezeigt, wie es in der Mobbingberatung angewendet werden kann.

Inhalt:

Manfred Evertz

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  • Einleitende Gedanken
  • Das Innere Team
  • Grundaufstellungen und individuelle Bandbreite
  • Die Übung
  • Störung des inneren Betriebsklimas
  • Wie sind die Konflikte zu lösen?
  • Stärkung der Persönlichkeit
  • Anwendung des Modells bei typischen Problemen in der Mobbing-Beratung
  • Welche Widerstände gibt es?
  • Fazit
  • Danksagung
  • Literatur

Einleitende Gedanken

Mobbing ist oftmals ein mulitkausal verursachtes Geschehen, welches in einem sozialen Kontext stattfindet. Folgt man Paul Watzlawick, so reicht es bei der Analyse zwischenmenschlicher Beziehungen (bzw. Systeme) nicht aus, sich lediglich auf die individuellen Eigenschaften der daran beteiligten Personen zu fokussieren (Rollen, Bedürfnisse, Erwartungen, Werte, Ziele, Charakter etc.), da diese sich in einem jeweils anderen Umfeld ganz unterschiedlich auswirken können. Viele Ansätze gehen nun den Weg, dass sie einige (besonders wichtige) Aspekte des menschlichen Miteinanders fokussieren (z. B. Empathie, Wertschätzung, Toleranz etc.) und Methoden entwickeln, diese zu stärken. Zugleich arbeiten die meisten Berater, Coachs und Therapeuten zunehmend auch systemisch und berücksichtigen die entsprechenden Dynamiken der Umgebung (bzw. des Systems), denen Klienten ausgesetzt sind.

Wie wichtig das ist, zeigt sich z.B. an dem Phänomen der ‘negativen Rückkopplung’, welches die Bemühungen des Systems bezeichnet, einen Gleichgewichtszustand bzw. eine vorhandene Struktur aufrechtzuerhalten. Negative Rückkopplungen wirken also wie ein Korrektiv in Richtung „Stabilität“ oder „Beruhigung“. „Probiert“ ein Klient nun also eine veränderte Einstellung in seinem (gewohnten) Umfeld aus und zeigt sich diese in seinem Verhalten, wird das System (also das Umfeld bzw. seine Kommunikationspartner) dem automatisch entgegenzuwirken versuchen. So geschieht es nicht selten, dass der Klient schnell wieder in gewohnte Verhaltensmuster zurückfällt und die angeregten selbstreflexiven Prozesse im Sande verlaufen…

Ein wichtiger Teil der Arbeit des Beraters bzw. Coachs ist es also, den Klienten in seinem Veränderungsprozess zu bestärken. Noch hilfreicher ist es, wenn der Klient in die Lage versetzt wird, sich selbst zu (be-)stärken. Diese sogenannten ‘positiven Rückkopplungen’ unterstützen also die Veränderung (z.B. das neue Verhalten). Es stellt sich also die Frage, wie es ein Klient schaffen kann, sich selbst in seinem neu erlernten Denken und Verhalten dauerhaft zu bestärken?

Es gibt viele Ansätze, die sich mit dieser Frage beschäftigen, wie also die Resilienz eines Menschen gestärkt oder gefördert werden könne. Neben den herkömmlichen Tipps (wie z.B. eine gesunde Ernährung, Sport, regelmäßige Erholungsphasen) sind vor allem jene Modelle verbreitet, die von anerzogenen bzw. früh erlernten aber veränderbaren Glaubenssätzen bzw. Grundannahmen über sich selbst, die Mitmenschen und die Welt ausgehen. Es wird angenommen, dass sich einige davon ungünstig auf das Stressverhalten des Betroffenen auswirken und somit reflektiert und mittels bestimmter (je nach Verfahren sehr unterschiedlicher) Techniken modifiziert bzw. ausgetauscht werden sollten. Die Auswirkung auf das Verhalten bzw. auf das Wohlbefinden des Klienten ist bei dieser Vorgehensweise (bei adäquater Durchführung) in der Regel sehr positiv und nachhaltig. Dabei stellt sich allerdings die Frage, wie der Klient sich vor sogenannten ‘blinden Flecken’ bei der Selbstwahrnehmung schützen kann?

Das Modell des „Inneren Teams“ von Prof. Dr. Friedemann Schulz von Thun bietet für diese beiden Fragen praktische Lösungen an, die es dem Klienten erleichtern, ein hohes Maß an Transparenz bzw. Klarheit und damit Entscheidungsfähigkeit zu erlangen und sich innerlich zu stärken.

Das Innere Team

Inneres Team

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Prof. Dr. Friedemann Schulz von Thun (Psychologe und Kommunikationswissenschaftler) ist durch seine Werke „Miteinander Reden“ und hierbei vor allem durch das Nachrichtenquadrat (bzw. die „vier Seiten einer Nachricht“) bekannt geworden, dessen Aussagen sich auch in den anderen Modellen des Autors wiederfinden. In dem dritten Teil seiner Veröffentlichung bespricht er die Möglichkeit, die Persönlichkeit des Menschen als Inneres Team aufzufassen, wodurch innere Konflikte und Verhaltenstendenzen erklärbar werden. Die Mitglieder des Inneren Teams beschreibt er als Einstellungen und Tendenzen, die sich durch bestimmte Begrifflichkeiten beschreibbar und somit für den Klienten im Rahmen einer Selbstreflexion besser handhabbar machen lassen. Innere Konflikte können so durch einen inneren Dialog geklärt werden. Schulz von Thun formuliert dies so: “Die Mitglieder des Inneren Teams sind innere Wortmelder. Sie melden sich als Botschafter der Seele zu einem bestimmten Thema oder einer bestimmten Situation. Sie melden sich und wollen etwas. Zumindest wollen sie gehört und berücksichtigt werden. In der Beratung wenden wir viel liebevolle Gründlichkeit auf, um ihre Botschaft prägnant zu machen und um ihnen einen Namen zu geben.”

Da die in der Person bestehenden Konflikte neben ihrer Binnenwirkung (z.B. Energie- und damit Leistungsminderung durch andauerndes Abwägen und Unterdrückung von Verhaltenstendenzen, Kontaktlosigkeit bzw. Abspaltung von inneren Anteilen, Krankheiten etc.) immer auch nach außen wirken (z.B. durch widersprüchliche, nebulöse Kommunikation, Sprachlosigkeit, Streitsucht, etc.), können die durch diese bedingte Verhaltensweisen, die zu Konflikten führen, erklärt und aufgelöst werden. Um bestehende Kommunikationsprobleme mit anderen Menschen zu bearbeiten, scheint demnach eine Selbst- und Rollenklärung des Klienten hilfreich zu sein. Eine Begründung seines Ansatzes geht aus der sogenannten Parallelitätshypothese hervor, die besagt, dass „die innere Dynamik im Seelenleben des Menschen […] in weiten Teilen der Dynamik [entspricht], wie sie sich in Teams oder Gruppen ereignet. Das Geheimnis für ein produktives Arbeits- und Seelenleben (mit Effektivität nach außen und gutem „Betriebsklima“ nach innen) liegt im gelungenen Zusammenspiel von kooperativer Führung und Teamarbeit.“

Der Begriff des Inneren Teams wird dabei als eine Art Ideal verstanden, da sich in der Realität oftmals ein Gegeneinander, Durcheinander und Nebeneinander von inneren Stimmen bzw. Teammitgliedern zeigt. Angelehnt an den Begriff des „Selbst“ geht Schulz von Thun davon aus, dass es in jedem Inneren Team ein sogenanntes Oberhaupt gibt, welches darum bemüht sein sollte, die unterschiedlichen Interessen der Teammitglieder „unter einen Hut“ zu bringen“, wobei es aufgrund der oben angesprochenen „Unordnung“ in erster Linie um die Kunst geht, sich selbst zuzuhören. Dieses Oberhaupt hat nun wie in einem Unternehmen die Aufgaben, seine Mitglieder zu kontrollieren, den inneren Dialog zu moderieren, die verschiedenen Stimmen synergetisch zusammenzuführen, Polarisierungen aufzulösen, abgespaltene Mitglieder zu integrieren und für jede Aufgabe bzw. Situation die richtige „Mannschaft“ aufzustellen.

In jeder Kommunikation sind also immer verschiedene Mitglieder des Inneren Teams beteiligt, dessen unterschiedlichen Bestrebungen zunächst sortiert werden müssen, um vorschnelle Reaktionen zu vermeiden bzw. um angemessen mit der inneren Pluralität umzugehen.

Grundaufstellungen und individuelle Bandbreite

Um interindividuelle Unterschiede zwischen Menschen auch mittels dieses Modells verständlicher zu machen, bemüht Schulz von Thun u. a. die Persönlichkeitstheorie von Fritz Riemann, die vier Grundbestrebungen des Menschen benennt, welche wiederum als jene Pole aufgefasst werden können, in deren Spannungsfeld sich menschliches Verhalten vollzieht: Dauer vs. Wechsel und Nähe vs. Distanz. Diese vier Pole sind sozusagen die Stammspieler des Inneren Teams und stehen für jeweils gegensätzliche Bedürfnisse, die bei jedem Menschen mehr oder weniger stark ausgeprägt sind. Interindividuelle Unterschiede lassen sich durch den Wirkungsgrad dieser Motive erklären, die zu einer sogenannten „Grundaufstellung“ führen, mit der Menschen durch ihr Leben gehen.

Dass das Modell des Inneren Teams jedoch nicht statisch ist, also nicht von einer einmal und für alle Zeiten festgelegten Teamstruktur einer Person ausgeht, zeigt sich daran, dass situative Faktoren einen großen Einfluss auf dessen Zusammensetzung haben, es sich also immer wieder verändert. Dies könnte zu der Annahme verleiten, dass es keine erkennbare, einheitliche Persönlichkeitsstruktur gibt, was eine Analyse deutlich erschweren würde. Dass das nicht so zu verstehen ist, lässt sich z.B. an dem Prinzip der personenbezogenen Grundaufstellungen erklären.

Hier zeigt sich die dynamische Variabilität des Modells dadurch, dass sich – je nachdem, mit wem es eine Person zu tun hat – die Aufstellung des Inneren Teams verändert. Selbst wenn man situative Veränderungen dieser Zusammensetzung berücksichtigt, ergibt sich zumeist jedoch eine typische Konstellation. Als Beispiel führt Schulz von Thun das Verhalten seines Sohnes an, der sich seinem Vater gegenüber anders verhält, also andere Teammitglieder „ins Boot holt“, als er dies gegenüber seiner Mutter tut. So hatte die Mutter es häufig mit dem trotzigen Poltergeist sowie mit dem wehleidigen Jammerpott zu tun, während der Vater mit dem selbständigen Manager („Ich kann das schon allein!“) und dem rücksichtsvollen Partner („…wenn es Dir nichts ausmacht, würde ich gern…“) konfrontiert wurde. Je nachdem, welche Rolle eine Person also im Leben des Betroffenen spielt, werden verschiedene Teammitglieder aktiv und treten in die Interaktion. Dies macht deutlich, dass jeder Mensch über ein hohes Maß an Flexibilität verfügt und sich jeweils individuell auf seinen Gegenüber einstellt. Man verhält sich demnach „seinem Gegenüber entsprechend“ und erlebt dies in der Regel auch so. Dies impliziert eine Veränderbarkeit der Aufstellungen im Rahmen der individuellen „personalen Bandbreite“, wobei nicht eine vollkommen andere Persönlichkeit dabei zutage tritt, sondern lediglich eine andere Facette von ihr sichtbar wird.

Der Abgrenzer

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Welche Teammitglieder jeweils ins Team geholt werden, hängt entscheidend von der Rolle ab, die diese Person im Leben des Betroffenen spielt, und von den gezeigten Verhaltensweisen (die ja oftmals auch typisch bzw. charakteristisch sind). Diese spezifischen „Hervorlockungen“ können nun reziprok („…wie es in den Wald hineinruft“) oder komplementär sein. Schulz von Thun verweist dabei auf Experimente und Übungen, in denen sich gezeigt hat, dass die Ausstrahlung eines Menschen innerhalb der ersten Minuten bereits die innere Aufstellung einer „Gegenmannschaft“ beim Gegenüber hervorruft. Auch wenn situative Faktoren dabei eine wichtige Rolle spielen, lohnt es, sich der eigenen Außenwirkung bewusst zu werden. Ein Beispiel aus dem Buch verdeutlicht diesen Zusammenhang: „Ein Kollege, der eher verschlossen ist (der Verschlossene), könnte z.B. den besorgten Seelendoktor bei seinem Gegenüber aktivieren, der dann durch sein Verhalten (z.B. durch besorgtes Nachfragen) wiederum ein darauf eingestelltes Teammitglied bei ihm aktiviert (z.B. den Grenzwächter) und ihn zu entsprechenden Reaktionen veranlasst (z.B. Abgrenzungs- bzw. Abwehrverhalten).“

Weitere situative Aspekte, die die Zusammensetzung des Inneren Teams maßgeblich beeinflussen, sind z.B. das entsprechende Thema, um das es geht, sowie der Kontext, in dem die Kommunikation stattfindet. In der Beratung werden also neben den inneren Stimmen des Klienten immer auch diese äußeren Einflussfaktoren berücksichtigt und in die Analyse mit einbezogen. Für die Mobbing-Beratung besonders wichtig ist auch die berufliche Rolle des Betroffenen, die zu einer Aktivierung von jeweils spezifischen Teammitgliedern führt. So wurde im Rahmen von wissenschaftlichen Arbeiten bereits mehrfach untersucht, welche Teamaufstellungen bei welchen Berufen typisch sind. Jede Profession beinhaltet demnach spezielle „seelische Herausforderungen“, denen sich der Betroffene stellen muss. Weicht die gebotene Teamaufstellung zu sehr von den bevorzugten Konstellationen des Klienten ab, wird dieser sich in seinem Beruf wahrscheinlich eingeengt und eher „unvollständig“ fühlen. Durch diesen Mangel an erlebter Vitalität kann es dann zu Konflikten mit dem Umfeld kommen.

Die Übung

Um nun mit dem Ansatz des „Inneren Teams“ zu arbeiten, kann man eine Übung durchführen, die aus fünf Schritten besteht. Grundsätzlich geht es um eine innere Standortanalyse bezogen auf eine bestimmte Situation oder (häufiger) auf eine persönliche Frage, die dem Klienten auf spielerische Art Einsicht die eigene Persönlichkeitsstruktur gewähren kann. Das eigene Verhalten (bzw. die eigenen Reaktionen) – z.B. in einer Konfliktsituation – wird somit einsichtiger und im stärkeren Maße beeinflussbar. Die Übung dient also dazu, das Innere Team des Klienten zu optimieren. „Richtige“ und „falsche“ Lösungen gibt es dabei nicht, aber sicher solche, die „funktionieren“… Schulz von Thun spricht in diesem Zusammenhang von Stimmigkeit: „authentisch und situationsgerecht – das eine nicht ohne das andere und das andere nicht ohne das eine.“

1. Schritt: Die Fragestellung

Zunächst wird ein Stuhl in den Raum gestellt, auf den sich der Klient setzt. Er wird aufgefordert, sich vorzustellen, dass er nun in der Position des Oberhauptes und darum bemüht ist, eine Lösung für die belastende Situation zu finden. Zunächst geht es darum, eine Fragestellung zu überlegen, die er in dieser Funktion mit seinem Inneren Team klären möchte. Diese Frage soll der Klient dann in einem kurzen Satz formulieren und auf eine Karte schreiben. Mit der Beantwortung dieser Frage sollte der Klient einen Weg für sich finden, mehr Klarheit in die Mobbing-Situation zu bringen oder sie eventuell sogar auflösen zu können, bzw. ein besseres Verständnis darüber erlangen, warum er unter dieser Situation so sehr leidet, damit er künftig besser damit umgehen kann.

Beispiele für solche Fragen könnten sein:

  • Warum belastet mich meine Situation am Arbeitsplatz zurzeit so sehr?
  • Warum lasse ich mich von Herrn Meier so unter Druck setzen?
  • Warum fühle ich mich in meinem Team so unwohl?

Besonders hilfreich für den Klienten ist es, bereits diese Frage lösungsorientiert zu formulieren („Wie schaffe ich es, mit dieser Situation gelassener umzugehen?“). Anschließend legt er diese vor sich auf den Boden und spricht sie laut aus.

2. Schritt: Die inneren Stimmen

Der Klient ist nun aufgefordert, sich gedanklich und emotional ganz auf seine Fragestellung einzulassen bzw. sich in eine typische Konfliktsituation hineinzuversetzen. „Befindet“ sich der Klient dann (gedanklich) in der Situation und hat er einen emotionalen Zugang zu dem, was in einem solchen Moment in ihm vorgeht, können diese Emotionen und die durch sie entstehenden Gedanken benannt werden. Schulz von Thun spricht in diesem Zusammenhang von ‘Botschaften’ mittels derer sich die Mitglieder des Inneren Teams zu Wort melden. Diese müssen zunächst erkannt und dann überprüft werden, inwieweit sie sich für den Klienten stimmig anfühlen bzw. umformuliert werden müssten. Nach Schulz von Thun könnte die dabei gestellte Frage lauten: „Wer meldet sich in Ihnen?“ Das kann dann etwas sein, was der Betreffende zu sich selber sagt, es kann aber auch einen vorgestellten Adressaten der Außenwelt haben (z.B. „Was bilden Sie sich eigentlich ein?“ Oder: „Was bildet der Kerl sich eigentlich ein?“).

Der Klient wird also gebeten, alle Gedanken, Gefühle bzw. Impulse aufzuschreiben, die Ihm in den Sinn kommen, ohne sie dabei zu bewerten. Er verbleibt solange in der Fragestellung bzw. in der Konfliktsituation, wie er es aushalten kann und schreibt alles auf, was ihm einfällt. Auch auftretende Gefühle können in entsprechende Sätze übersetzt und notiert werden.“

Selbstverständlich sollte man bei der Durchführung dieser Übung Rücksicht auf die aktuelle Belastbarkeit des Klienten nehmen und diesen nicht durch zu intensives Insistieren überfordern. Sollte man während der Durchführung der Übung bereits feststellen, dass es dem Klienten schwer fällt, solche Gedanken oder Gefühle aufzuschreiben, können gezielte Fragen gestellt werden, die ihm dabei helfen.

Fragebeispiele:

  • Wie fühlen Sie sich dabei, wenn Person X sich Ihnen gegenüber so verhält?
  • Welcher Gedanke geht Ihnen dabei durch den Kopf?
  • Was würden Sie in diesem Moment am liebsten tun?
  • Warum tun Sie das nicht? Was hält Sie davon ab?

Zu bedenken gilt es hierbei, dass Stimmen der Teammitglieder sich ganz unterschiedlich äußern können. Einige tauchen in einer entsprechenden Situation sofort auf, andere melden sich erst viel später, dann allerdings häufig mit aller Deutlichkeit. Einige sind leise, andere laut (also mehr oder weniger leicht wahrnehmbar). Auch sind sie in einem unterschiedlichen Maße willkommen, was bedeutet, dass dem Klienten einige dieser Stimmen unangenehm oder sogar peinlich sein könnten. Auch kommt es nicht selten vor, dass sich die notierten Aussagen widersprechen.

Diese inneren Regungen (Gedanken, Gefühle, Handlungsimpulse, etc.) soll er anschließend mit Namen versehen, die für die diesen zugrunde liegenden Anteile der eigenen Persönlichkeit stehen, und jeweils auf eine Karte schreiben. Bei der Wahl der Namen kann es hilfreich sein, sich auf das der jeweiligen Regung zugrundeliegende Motiv oder Bedürfnis zu beziehen.

Beispiel 1:

  • „Ich will meine Ruhe haben!“

Beispielhafte Deutung 1:

  • Motiv: Sehnsucht nach Entspannung und Ruhe.
  • Name: Der Erholer, der Ruhemensch, der Einsiedler etc.

Beispielhafte Deutung 2:

  • Motiv: Weniger Belästigung durch Dritte oder die Umgebung
  • Name: Der Abschirmer, der (Ent-)Störungsminister etc.

Beispiel 2:

  • „Ich will meinen Arbeitsplatz nicht verlieren!“

Beispielhafte Deutung 1:

  • Motiv: Angst vor sozialem Abstieg
  • Name: Der Sicherheitsbedürftige, der Ehrgeizige, der fürsorgliche Familienvater etc.

Beispielhafte Deutung 2:

  • Motiv: Ich will mich von meinen Kollegen nicht kleinkriegen lassen!
  • Name: Der Kämpfer, der Beharrliche, der Durchsetzer eigener Interessen

Bei der Auswahl der Namen sind der Fantasie des Klienten keine Genzen gesetzt. Je nachdem, welches Bedürfnis beim Betroffenen im Vordergrund steht (z.B. also der Wunsch nach Ruhe oder nach weniger Störung), sollte ein entsprechender Name gefunden werden. Dieser sollte so gewählt sein, dass er möglichst treffend beschreibt bzw. beinhaltet, worauf es in dem entsprechenden Satz bzw. Gedanken ankommt. Es gibt keine „richtigen“ oder „falschen“ Namen, nur solche, die die Stimme treffend oder weniger treffend charakterisieren. Um Veränderungen in emotionalen Reaktionsmustern zu erreichen, ist es hilfreich, das Unbewusste durch möglichst „starke“ Bilder anzusprechen.

Sind sämtliche „Regungen“ benannt, die dem Klienten in den Sinn kommen, werden die diese (also die Teammitglieder), die an der Situation beteiligt sind, so auf den Boden gelegt bzw. angeordnet, wie sie in Beziehung zueinander stehen. Dieses Vorgehen ist vergleichbar mit einer Aufstellung, bei der inhaltliche oder motivationale Ähnlichkeiten bzw. Tendenzen durch räumliche Nähe gekennzeichnet werden. Teammitglieder, die sozusagen an einem Strang ziehen, bilden dabei eine Art innere Koalition, die nun sichtbar wird. Die auf diese Weise entstehende Visualisierung dient dem Klienten dazu, einen unmittelbaren Zugang zu seiner inneren Struktur zu bekommen. (Schulz von Thun schlägt in diesem Zusammenhang übrigens alternativ vor, mit Zeichnungen zu arbeiten.)

3. Schritt: Identifikation mit den einzelnen Teammitgliedern

Wie man nun weiter mit diesen Ergebnissen arbeitet, sollte man von der individuellen Situation des Klienten sowie von den Ergebnissen der ersten beiden Schritte abhängig machen. Hier beginnt die eigentliche Arbeit, in der es darum geht, die Dynamiken und eventuelle Konflikte transparent zu machen bzw. zu analysieren (auch in Hinblick darauf, wie sie nach außen wirken) und dem Klienten somit auf beinahe spielerische Art einen Diskurs mit den verschiedenen Persönlichkeitsanteilen zu ermöglichen. Der Autor geht davon aus, dass die Fähigkeit zur inneren Teambildung zu mehr Resilienz und einem klareren Auftreten verhilft.

Um dies zu ermöglichen, wird der Klient nun aufgefordert, sich nacheinander auf die am Boden platzierten Karten zu stellen und die jeweilige Position bedingungslos einzunehmen bzw. das dahinterliegende Bedürfnis ganz klar zu spüren und zu äußern, ohne sich dabei durch die „Stimmen“ der anderen Teammitglieder beeinflussen bzw. stören zu lassen. Er soll sich also, abhängig davon, auf welcher Karte er gerade steht, ganz und gar mit dem entsprechenden Teammitglied identifizieren und dieses ungefiltert zu Wort kommen lassen. Erzielt werden soll dadurch ein bewusstes Erleben der eigenen Bedürfnisse und Motive.

4. Schritt: Der innere Dialog

Nun obliegt es dem Coach, Therapeuten oder Berater, die Teammitglieder miteinander in eine Art Dialog zu bringen. Hierzu stellt er dem Klienten Fragen, die dieser dann aus der Perspektive der angesprochenen Teammitglieder beantwortet. Auch in diesem Schritt stellt der Klient sich immer auf jene Karte, dessen Position er gerade einnimmt. Innere Konflikte können auf diese Weise diskutiert bzw. offen ausgesprochen werden.

In dieser Phase ist es möglich, die Karten neu anzuordnen, also neue Koalitionen zu bilden, oder neue Karten hinzuzunehmen (s. u.). Die Möglichkeiten zur Reflexion, die sich nun mittels des Modells ergeben, sind sehr vielfältig und können hier nur bruchstückhaft dargestellt werden. Im Mittelpunkt dabei steht die Auflösung innerer Teamkonflikte. Dies gilt auch für die Mobbingberatung, wobei hier besonders auf Teammitglieder zu achten ist, die sich bezogen auf den Konfliktpartner bzw. auf die für die Mobbing-Handlungen ausschlaggebenden Aspekte (z.B. berufliche Rolle, Arbeitsplatz) zu Wort melden.

5. Schritt: Die Entscheidung

Nachdem die einzelnen Teammitglieder alle zu Wort gekommen sind und sich miteinander auseinandergesetzt haben, sich eventuell neue Koalitionen entwickelt haben und/oder neue Teammitglieder einberufen worden sind, es also zunächst nichts weiter hinzuzufügen gibt, verkündet das Oberhaupt eine Entscheidung. Hierzu setzt sich der Klient wieder auf den Stuhl und betrachtet die Karten nochmals (in ihrer jetzigen Anordnung). Dann entscheidet er, wie er die unterschiedlichen Motive und Bedürfnisse künftig „unter einen Hut“ bringen möchte bzw. wie er meint, mit ihnen umgehen zu wollen. Das Ergebnis soll also eine Art Handlungsstrategie oder innere Haltung sein, die sich für den Klienten bezüglich der zuvor formulierten Fragestellung nun entwickelt (hat).

Störung des inneren Betriebsklimas

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Gehen die Meinungen bzw. die Bedürfnisse der einzelnen Mitglieder des Inneren Teams zu sehr auseinander und kann keine Einigung erzielt werden, so führt dies zu Teamkonflikten, die immer auch eine Außenwirkung haben. Infolge interner Reibungsverluste kann es somit zu einer Leistungsminderung (bis hin zur Erschöpfung) aber auch zu einer unstetigen Außenwirkung kommen, die zu einem Image- oder Vertrauensverlust führen kann. Das Impression-Management des Betroffenen, welches normalerweise u. a. darauf ausgerichtet ist, nach außen hin konsistent zu erscheinen, funktioniert dann nicht mehr. Auch in der Kommunikation des Betroffenen zeigen sich die inneren Konflikte deutlich, z.B. durch widersprüchliche oder nebulöse Aussagen. Dadurch kommt es zu einer Schwächung der eigenen Wirksamkeit bzw. Durchsetzungsfähigkeit, die entweder genereller oder punktueller (bezogen auf einzelne Themen, Situationen oder Personen) Natur sein kann. Eskaliert der Konflikt zwischen den Teammitgliedern und sind die beteiligten Parteien in etwa gleichermaßen einflussreich, kann dies sogar zu Handlungsblockaden führen, die im Extremfall chronisch werden können. Oftmals wird durch die inneren Konflikte auch eine Aggressivität nach außen hin spürbar, die abschreckend wirken kann.

Eine Schwierigkeit bei der Erkundung des Inneren Teams bzw. der an einem Konflikt beteiligten Mitglieder sind die sogenannten Klumpatsch-Gestalten, die durch die Verschmelzung zweier Teilnehmer eines inneren Konflikts entstehen können. Wie bei einer chemischen Verbindung entwickeln diese Mitglieder dann im Zustand der Verschmelzung neue Eigenschaften, die eine Identifizierung erschweren. Besonders die Symptome, die oftmals im Zusammenhang mit einer Depression auftreten (Lustlosigkeit, Müdigkeit, Resignation etc.), sind besonders verdächtig und sollten einer genaueren Analyse unterzogen werden. Das Erkennen der miteinander verstrickten Teammitglieder fällt einem Außenstehenden in den meisten Fällen leichter als dem Betroffenen selbst.

Es wird davon ausgegangen, dass Menschen ein Idealbild von sich haben, das sie anzustreben bzw. zu sein versuchen. Daraus lässt sich ableiten, dass das Oberhaupt dazu neigt, sich mit einigen Mitgliedern seines Teams zu verbünden („Es ist ein Teil von mir.“) bzw. (bei einer Überidentifikation) mit ihnen zu verschmelzen. Andere Mitglieder hingegen wertet es ab („Es ist nur ein Teil von mir.“) oder es versucht, diese zu ignorieren und aus Entscheidungsprozessen auszugrenzen, sie also abzuspalten. Diese abgespaltenen Teammitglieder verschwinden aber nicht einfach, sondern wirken entweder leise aus dem sogenannten Bühnenhintergrund oder sogar aus dem Untergrund weiter. Sie wirken also wie ‘ungeschlossene Gestalten’, die immer wieder versuchen, zu Wort zu kommen bzw. ihren Bedürfnissen Gehör zu verschaffen, und beeinflussen bzw. beeinträchtigen das Verhalten des Betroffenen meist unbewusst. Die Klumpatschbildung könnte eine Folge solcher Unterdrückungsmaßnahmen sein. Schon die Triebreduktionstheorie von Sigmund Freud besagt, dass die Unterdrückung bzw. Abspaltung innerer Anteile zu hohem Energieverlust und zugleich zu selbstschädigenden Verhaltenstendenzen führen kann. Mit der Methode des Inneren Teams können also Phänomene der Verleugnung, Projektion, Sublimierung, Verschiebung etc. durch einen inneren Dialog der an der Entstehung beteiligten Teammitglieder auf eine leicht zugängliche Weise erhellt und bearbeitet werden, ohne sich dabei den Konstrukten von nebulösen Trieben zu bedienen.

Für die Mobbing-Beratung kann es sinnvoll sein, die auf den Konfliktpartner ausgerichtete, personenbezogene Aufstellung des Teams nach bestehenden Konflikten zu untersuchen. Sollten sich diese finden und auflösen lassen, kann sich das Kommunikations- bzw. Konfliktverhalten des Klienten so maßgeblich verändern, dass sich die Situation auflöst. Aber auch Teamkonflikte, die aufgrund der beruflichen Rolle, des Arbeitsumfelds oder durch die Arbeit selbst entstehen, können nach außen hin wirken und andere (z.B. die Führungskraft oder Kollegen) dazu veranlassen, sich gegenüber dem Klienten distanziert bis feindselig zu verhalten. Dies wird wahrscheinlich umso eher der Fall sein, wenn die Inneren Teams dieser Personen mit den gleichen oder ähnlichen Konflikten zu kämpfen haben. Der Betroffene würde in dem Fall als eine Art Projektionsfläche fungieren und somit zur Zielscheibe werden. In den Konfliktsituationen können auch Ängste des Betroffenen zu Teamkonflikten führen, die sich nach außen z.B. durch undiplomatisches Verhalten oder durch Handlungsblockaden zeigen können. Diese Ängste bzw. die dahinterliegenden Erwartungen und Motive gilt es dann genauer zu betrachten (vorzugsweise im Rahmen themen- oder situationsbezogener Teamaufstellungen).

Wie sind die Konflikte zu lösen?

Zur Auflösung innerer Teamkonflikte schlägt Schulz von Thun vor, die (beiden) Kontrahenten zunächst zu identifizieren und sich dann jedem einzeln in Form einer „monologischen Selbstoffenbarung“ zu widmen. Diese Methode lässt sich auch in der Gestalttherapie wiederfinden („Zwei-Stuhl-Technik), wo die „streitenden“ Positionen (nacheinander) auf zwei sich gegenüber stehenden Stühlen (oben wurde von einer Positionierung auf den jeweiligen Karten gesprochen) zu Wort kommen gelassen werden. Hierbei geht es darum, in Kontakt mit den konträren Teammitgliedern zu treten. Anschließend beginnt die Suche nach einer Integration dieser (komplementären) Polaritäten. Anstatt das eine also zu Gunsten des anderen auszuschalten oder vermengte Gefühle anzustreben, wird nach einem “Sowohl-als-auch”-Ansatz Ausschau gehalten, mit dem der Klient eine neue Beweglichkeit entwickeln kann. Abschließend kommt bei dem Modell von Schulz von Thun hinzu, dass eine Teamkonferenz einberufen wird, die es zum Ziel hat, eine neue Teamvereinbarung zu treffen, an der die beiden Konfliktparteien gleichberechtigt beteiligt sind und die den Anforderungen der Situation gerecht wird (s. o.).

Stärkung der Persönlichkeit

Manfred Evertz

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Wird bei der Benennung der an der Situation beteiligten inneren Anteile bzw. der Teammitglieder des Klienten deutlich, dass einige von ihnen zwar gute Absichten haben, jedoch zu einer Verschlechterung der Befindlichkeit bzw. der Situation beitragen, sie also dysfunktional sind, könnten die entsprechenden Reaktionen hinterfragt und (gedanklich) modifiziert werden. So kann eine neue Vorgehensweise für die Verfolgung eines zugrundeliegenden Bedürfnisses gefunden werden, die sich weniger selbstschädigend auswirkt. Das Ziel ist es, das sich der Klient bewusster darüber wird, wie er die Situation aktiv beeinflussen oder wie er sich von ihr abgrenzen kann.

Hierbei wird davon ausgegangen, dass (besonders) in Konfliktsituationen oftmals Verhaltensmechanismen bzw. Gedanken aktiviert werden, die bereits in der frühen Kindheit erlernt wurden und inzwischen dysfunktional sind, also kontraproduktiv auf die Situation einwirken. Durch die Bewusstmachung der dahinterliegenden Bedürfnisse können neue Strategien entwickelt werden, um einer „Befriedung“ dieser nahezukommen.

Im Rahmen der Transaktionsanalyse (TA) wird in diesem Zusammenhang von ‘Antreibern’ gesprochen, die in der frühen Kindheit vor allem aus dem Bedürfnis heraus entstanden sind, Aufmerksamkeit und Zuwendung zu bekommen. Auch wenn die daraus resultierenden Verhaltensweisen in der Kindheit vielleicht zum Ziel führten, liegen ihnen Einstellungen zugrunde, die in der Gegenwart übertriebenes oder selbstschädigendes Verhalten auslösen können, die also dysfunktional sind. In der TA werden fünf solcher Antreiber benannt, die durch sich ihnen gegenüber komplementär verhaltenen Erlaubern aufgelöst bzw. ersetzt werden können. Um entsprechende „Erlauber“ ins Team zu holen, kann man den Klienten bitten, eine Zeitreise in die eigene Vergangenheit zu unternehmen, um nach Situationen zu suchen, in denen diese Erlauber sich (erfolgreich) zu Wort gemeldet haben. Ist eine solche Situation gefunden, kann die entsprechende Stimme benannt und auf eine neue Karte geschrieben werden, die dann auch auf dem Boden platziert wird (s. o.).

1. Der Antreiber „Sei perfekt!“ weist auf ein schwaches Selbstwertgefühl hin, welches den Betroffenen ständig daran erinnert, besser werden zu müssen bzw. nicht gut genug zu sein. Diese innere Haltung strahlt aus und führt eventuell dazu, dass andere Menschen sich ihm gegenüber wenig wertschätzend verhalten. Als Erlauber könnte man nun Mitglieder ins Innere Team holen, die es dem Betroffenen gestatten, Fehler machen zu dürfen, bei anderen nachsichtig zu sein und die ein ständiges Sich-Rechtfertigen unterbinden. Der lässige Schüler, der tolerante Beobachter oder der selbstverliebte Diktator wären Beispiele für entsprechende Teammitglieder.

2. Der Antreiber „Sei Stark!“ wird hervorgerufen durch die innere Haltung, keine Schwäche oder (negativen) Gefühle zeigen zu dürfen. Erlaubnisse könnten in dem Fall sein: „Du darfst Dir Hilfe holen“ (der Expertensucher), „Du darfst auch negative Gefühle haben“ (der traurige Clown) sowie „Du darfst Zuwendung annehmen und zeigen“ (der liebevolle Casanova).

3. Der Antreiber „Sei (anderen) gefällig!“ wird durch die Haltung hervorgerufen, dass die eigenen Gefühle und Bedürfnisse denen anderer Menschen unterzuordnen seien. Mögliche Erlaubnisse wären: „Du darfst Rücksicht auf Deine Bedürfnisse und Gefühle nehmen“ (der smarte Egoist), „Du darfst Dich von den Meinungen anderer freimachen“ (der Freidenker) sowie „Du darfst so sein, wie Du bist“ (der geläuterte Pinocchio).

4. Beim Antreiber „Beeil Dich!“ geht es darum, keine Zeit zu vergeuden und sich ständig in Bewegung zu halten. Ruhephasen werden oftmals mit einem Gefühl der Wert- und Nutzlosigkeit assoziiert, was zu einer ständigen Unruhe und Hektik führen kann. Gegensteuern könnten zum Beispiel die Erlaubnisse „Du darfst Dir die Zeit nehmen, die Du brauchst“ (die selbstbewusste Momo), „Du darfst nach Deinem Rhythmus leben“ (der kreative Dirigent) oder „Auch Du darfst Pausen machen“ (der Pausenbeauftragte).

5. Der Antreiber „Streng Dich an!“ geht davon aus, dass man sich immer bemühen und sein Bestes geben muss. Er drängt zu immer weiteren Anstrengungen, selbst wenn der Klient keine Hoffnung auf Erfolg hat. Erlaubnisse könnten hier sein: „Du darfst die Dinge so gut erledigen, wie Du es kannst“ (der Hobby-Bastler), „Du darfst an neue Aufgaben ruhig und gelassen herangehen“ (der Zen-Meister) sowie „Du darfst erfolgreich sein und das auch genießen“ (der innere Bob Marley).

Ein weitere Möglichkeit ist die Suche nach Teammitgliedern, die in einer entsprechenden Konflikt oder Mobbing-Situation zu einer Stärkung des Klienten beitragen können, um diese dann aktiv in das Geschehen mit einzubinden. Hier könnte die Frage nützlich sein, was der Klient sich in dieser Situation selbst empfehlen würde, wäre er sein eigener Berater? Schulz von Thun spricht in diesem Zusammenhang von der Aufgabe des Oberhauptes, für eine gegebene Situation das jeweils richtige Team aufzustellen. Doch welche Mitglieder sind gemeint? Diese Frage lässt sich wohl nur individuell beantworten, wobei es hilfreich ist, auf die vorhandenen Ressourcen oder auf vergangene Erfahrungen (im Sinne eines lösungsorientierten Vorgehens) des Klienten zurückzugreifen (z.B. persönliche Stärken, Erholungs- sowie wirksame Selbstregulationsmechanismen etc.).

Anwendung des Modells bei typischen Problemen in der Mobbing-Beratung

Auch wenn Klienten mit sehr individuellen Problemkonstellationen in die Beratung kommen, so lassen sich doch immer wieder typische Verhaltensmuster finden, die eine entsprechende Herangehensweise sinnvoll erscheinen lassen.

Problem 1: Ratlosigkeit

Oftmals wissen Betroffene die Situation, in der sie sich befinden, nicht richtig einzuschätzen. Vor allem in Hinsicht auf die Motive des Mobbers herrscht oft Unklarheit. Manche Klienten scheinen damit überfordert zu sein, adäquat bzw. zielgerichtet auf die Mobbing-Handlungen zu reagieren.

Entscheidungen und Handlungsstrategien werden immer wieder umgeworfen bzw. verändert. Hier könnte eine Klärung des „inneren“ Teams dazu verhelfen, sich des Ursprungs der unterschiedlichen Handlungsimpulse bewusst zu werden und eine klarere Ausrichtung zu erreichen. Auch kann durch die Analyse der Außenwirkung besprochen werden, wie das eigene Verhalten auf die Mitmenschen (auch auf die Täter) wirkt bzw. welche Mitglieder des Teams beim Gegenüber dadurch aktiviert werden.

Problem 2: Kontrolle und Schuldzuweisung

Sucht ein Betroffener nach einem Schuldigen für die Mobbing-Handlungen und ist er darum bemüht, diesem seine Schuld mit aller Kraft (z.B. durch das Anfertigen eines detaillierten Mobbing-Tagebuchs) nachzuweisen, so kann dies als Versuch gewertet werden, die Kontrolle über die Situation zurückzuerlangen. Grundsätzlich ist dagegen nichts einzuwenden. Sollte sich jedoch herausstellen, dass diese Bemühungen in einem Übereifer und schließlich in Erschöpfungszuständen münden, dann kann mittels einer „Teamsitzung“ versucht werden, andere Möglichkeiten zu finden, die Kontrolle über die Situation zu erlangen, um somit den „Kampf gegen Windmühlen“ zu beenden.

Problem 3: Unversöhnlichkeit

Ist beim Klienten festzustellen, dass dieser es sich zum Ziel gemacht hat, seinen Kontrahenten „auf Teufel komm’ raus“ besiegen zu wollen und sind bereits erste gesundheitliche bzw. psychische Beeinträchtigungen bei ihm erkennbar, kann es ratsam sein, die Bedürfnisse der entsprechenden Teammitglieder für diesen „Siegeswillen“ genauer zu hinterfragen. Entlastend für den Klienten könnte es sein, eine Versöhnung mit dem „Feind“ anzustreben bzw. zu überprüfen, ob Abgrenzungsstrategien nicht der bessere Weg wären? Nach Aufdeckung der dahinterliegenden Bedürfnisse können also Strategien entwickelt werden, die sich für den Klienten weniger belastend auswirken und somit funktionaler sind.

Problem 4: Angst

Einige Klienten neigen dazu, sich von anderen Menschen zu wenig abzugrenzen und sich von ihnen zu viel gefallen zu lassen. Die gewählten Strategien dienen lediglich der Konfliktvermeidung und sind gekennzeichnet durch Unterordnung und Passivität. Hier kann man zunächst das Prinzip der komplementären Hervorlockungen aufzeigen und in einem nächsten Schritt die Ängste oder Bedürfnisse jener Teammitglieder hinterfragen, die für diese verantwortlich sind.

Problem 5: Die unsympathische Ausstrahlung

Einige Menschen geraten aufgrund eines (etwas) auffälligen Sozialverhaltens immer wieder in Konflikte mit ihrem Umfeld, da sie (unwillkürlich) gegen Normen verstoßen und somit den Ärger ihrer Mitmenschen auf sich ziehen. Gründe hierfür können fehlende Selbsteinsicht aber auch psychische Erkrankungen bzw. Auffälligkeiten sein, auch solche, die erst durch das Mobbing entstanden sind. Eine Analyse der beteiligten Teamstruktur und ihrer Hervorlockungen kann auch hier hilfreich sein, um die Außenwirkung der Betroffenen zu verbessern und bestehende Konflikte aufzulösen.

Welche Widerstände gibt es?

Ungeliebt

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Ein wesentlicher Widerstand ergibt sich z.B. aus dem Wunsch des Menschen, normal zu sein, welcher bereits den frühen Vertretern der humanistischen Psychologie ein gewisses Unbehagen bereitete. Dieser Widerstand kann zum Beispiel durch das Teammitglied des angepassungsbereiten Nachahmers benannt und in seiner Wirkungsweise hinterfragt werden. Hinter seiner Stimme verbirgt sich der Wunsch nach Zugehörigkeit bzw. danach, Verbundenheit zu spüren. Dieses Bedürfnis gehört (selbst nach neuesten neurowissenschaftlichen Erkenntnissen) zu den zwei wesentlichen Grundmotiven des Menschen. Das andere bzw. zweite Motiv ist Wachstum bzw. Selbstentfaltung oder Autonomie, und genau das soll durch die Anwendung des Modells gefördert werden.

In dem Ansatz von Schulz von Thun geht es dabei vor allem um eine wesensgemäße Stimmigkeit des Verhaltens. Carl Rogers sagte hierzu einmal: „Sei Du selbst und werde, wer Du bist.“ Allerdings bedarf es wohl einiger Übung, um den dafür erforderlichen Mut zu sich selbst zu entwickeln. „Stimmigkeit“ bedeutet nun, sich in Übereinstimmung mit der Wahrheit der Gesamtsituation zu befinden. Hierzu gehören nach Schulz von Thun die innere Verfassung und Zielsetzung des Betroffenen und der Charakter der Beziehung zum Gegenüber (auch der Rollenbeziehung), aber auch die innere Verfassung des Empfängers sowie die Anforderungen der Situation.

Fazit

Durch die Auseinandersetzung mit seinem eigenen Inneren Team, also mit seinen unterschiedlichen Motiven, Bedürfnissen, Einstellungen etc. kann ein Klient eventuell neue Möglichkeiten für sich entdecken, mit einer Situation so umzugehen, dass er nicht mehr (so sehr) darunter leidet. Eventuell führt die Bewusstmachung und Reflexion innerer Konflikte sogar zu dessen Auflösung? Durch ein klares Auftreten und strikte Abgrenzung lassen sich viele Mobbing-Situationen bereits in der Phase ihrer Entstehung auflösen. Das bedeutet für diesen Ansatz, dass er umso wirkungsvoller ist, je früher er angewendet wird. Eine Möglichkeit, dem Klienten eine größere Bewusstheit über und einen leichteren Zugriff auf die eigenen Ressourcen zu ermöglichen, ist es, sich die in der Mobbing-Situation involvierten Persönlichkeitsanteile des Klienten anzusehen und in einem zweiten Schritt zu überlegen, wie dieses Team „umformiert“ werden könnte, um sich in einer entsprechenden Situation besser behaupten bzw. abgrenzen zu können.

Der Ansatz des Inneren Teams ermöglicht einen spielerischen und fantasievollen Zugang zu inneren Konfliktmustern und somit selbstreflexive Prozesse, die bei der Anwendung anderer Verfahren möglicherweise blockiert wären. Durch die Arbeit mit Bildern wird das Unterbewusstsein dabei unmittelbar angesprochen und in die Auflösung der Konfliktmuster mit einbezogen, was für eine hohe Wirksamkeit spricht.

Danksagung

An dieser Stelle möchte ich mich herzlich bei Herrn Prof. Dr. Friedemann Schulz von Thun für seine freundliche Unterstützung bei der Erstellung dieses Textes bedanken. Entstanden ist dieser Artikel übrigens bereits (in einer ersten Fassung) im Jahr 2013.

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Literatur

  • Friedemann Schulz von Thun: Miteinander reden 3 – Das „Innere Team“ und situationsgerechte Kommunikation. Sonderausgabe, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 2011 (Die Originalausgabe erschien erstmals 1981).
  • Friedemann Schulz von Thun (Hrsg.), Johannes Ruppel, Roswitha Stratmann: Miteinander reden: Kommunikationspsychologie für Führungskräfte. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2000/2003.
  • Paul Watzlawick, Janet H. Beavin, Don D. Jackson: Menschliche Kommunikation – Formen, Störungen, Paradoxien (10. Auflage). Verlag Hans Huber, Bern 2000.
  • Fritz Riemann: Grundformen der Angst. Eine tiefenpsychologische Studie. Ernst Reinhardt Verlag, München 1996.
  • Ian Stewart, Vann Joines. Die Transaktionsanalyse – Eine Einführung. Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 1990.

Die Schattenseite der Empathie

Psychische Erkrankungen können ganz unterschiedliche Ursachen haben. Welche Belastungen allerdings zu einer Erkrankung führen, ist eine sehr individuelle Angelegenheit. Wird aber die Verantwortung für die Resilienz allein beim Individuum gesucht, übersieht man, dass sich die Widerstandsfähigkeit eines Menschen stetig aus dem Interaktionsprozess mit der Umwelt sowie den anderen Menschen heraus (weiter-)entwickelt. Viele dieser sozialen Interaktionen finden am Arbeitsplatz statt. Von daher können Vorgesetzte mit ihrem Führungsstil wesentlich mehr bewirken, als es durch Aufklärung oder Angebote zur Gesundheitsförderung möglich ist.

Gute Führung beruht auf Wertschätzung!

Menschen sind jedenfalls nicht mit Maschinen vergleichbar, d.h. es muss ihnen nicht nur gesagt werden, was sie zu tun haben. Ihre Motivation und Leistungsfähigkeit hängt vor allem auch von der Atmosphäre am Arbeitsplatz ab. Als soziale Wesen sind sie im hohen Maße auf die Qualität der Beziehungen in ihrem persönlichen Arbeitsumfeld angewiesen. Unfreundlichkeit, Druck, Entwürdigungen, Feindseligkeit und Drohungen führen über körperliche Prozesse zu einer Leistungsminderung und machen möglicherweise krank. Hingegen wird durch Wertschätzung, Anerkennung, Lob, dem Gefühl der Zugehörigkeit etc. die Ausschüttung von Dopamin im Körper gefördert, einem Glücksbotenstoff, der die Motivation und die Gesundheit erhält. Eine wichtige Voraussetzung hierfür ist ein gewisses Einfühlungsvermögen seitens der Führungskräfte. Fehlt diese Form der sozialen Belohnung dauerhaft, entsteht eine schädliche Dysbalance. Neben guter Führung ist aber auch die kollegiale Unterstützung wichtig. Künstlich geschaffener Konkurrenzdruck oder die bewusste Spaltung von Teams wirkt demnach wie psychisches Gift und führt oftmals zur inneren Kündigung.

Auch der Gestaltungsspielraum spielt eine wichtige Rolle. Wenn Menschen ihre Arbeit auf „ihre Weise“ tun können, sie also eine gewisse Freiheit haben bzw. sie darin nicht zu sehr eingeschränkt werden, dann gibt man ihnen ein gesundheitsförderliches Gefühl von Kontrolle. Hingegen führt die Tendenz zur Normierung oder Überregulierung von Arbeitsabläufen, wie sie zu Beginn des letzten Jahrhunderts vom Taylorismus propagiert wurde, nahezu zwangsläufig zu psychischen und/oder körperlichen Erkrankungen.

Der Psychoneuroimmunologe Prof. Dr. Joachim Bauer empfiehlt, dass Vorgesetzte ihr Verhalten regelmäßig kritisch hinterfragen bzw. dahingehend sensibilisiert werden sollten, wie sich ihr Führungsstil auf die Motivation und Leistungsfähigkeit ihrer Mitarbeiter auswirkt. Fehlende Anerkennung, intransparentes und inkonsequentes Führungsverhalten sowie eine zu starke Einengung der Gestaltungsspielräume sollten vermieden werden. Auch übermäßiger Leistungsdruck oder eintönig gestaltete Arbeitsabläufe sind eher kontraproduktiv, wohingegen Wertschätzung und Empathie gesundheitsförderlich zu sein scheinen.

Ist Empathie der Schlüsselfaktor?

Manfred Evertz

Der Empathie wurde in den vergangenen Jahren in Führungskräfteseminaren eine besondere Aufmerksamkeit zuteil, da sie wohl dazu beiträgt, die eigenen Mitarbeiter zu guten Leistungen motivieren zu können, und sie letztendlich unabdingbar ist, möchte man sich aktiv um ein gutes Betriebsklima bemühen. Auch wenn es um das Wahrnehmen möglicher Warnsignale von Überforderung oder psychischer Belastungen bzw. generell um Mitarbeitergespräche geht, ist sie eigentlich unabdingbar.

Doch auch hier ist Vorsicht geboten! Inzwischen ist nämlich weitgehend bekannt, dass Empathie auch aggressives Verhalten hervorrufen und die Fragen nach Gerechtigkeit bzw. dem moralisch richtigen Verhalten nebensächlich werden lassen kann, wenn eine nahestehende Person in einen ernsthaften Konflikt verwickelt ist. So zeigen es zumindest verschiedene Studien. Warum sollte das in Unternehmen anders sein? Zumindest ein Teil der Mobbingfälle entwickelt sich aus ungelösten Konflikten, bei denen sich im Laufe der Zeit einige (bzw. immer mehr) Kollegen und/oder die Führungskraft parteiisch verhalten. Wissenschaftler vermuten, dass jene Genvarianten, die für die Ausprägung von Rezeptoren für die Bindungshormone Oxytocin und Vasopressin verantwortlich sind, den Weg von Empathie zu Aggression befördern.

Psychische Gewalt durch Empathie?

Manfred Evertz

Interessant finde ich deshalb die Frage, ob die sogenannten Mitläufer in Mobbingfällen immer nur zu solchen werden, weil sie damit ihr schwaches Selbstwertgefühl kaschieren wollen bzw. sie Angst haben, sonst auch zum „Opfer“ zu werden, oder ob es nicht auch Fälle gibt, bei denen sie emotional einfach viel enger mit einem der Täter oder mit einem anderen Kollegen (Wettbewerber) verbunden sind und in dem „Opfer“ dann einen potenziellen Gegner bzw. Feind sehen? Das würde m. E. ein etwas anderes Licht auf einige jener Mobbingkonflikte werfen, bei deren Auflösung man mit rationalen Argumenten oder mit herkömmlichen Konfliktlösungstools wenig erreicht.

“Empathie” ist ein Begriff, der grundsätzlich keine ethische bzw. moralische Komponente beinhaltet, auch wenn man das vielleicht gern so sehen würde. So heißt es bei Wikipedia z. B. “Empathie bezeichnet die Fähigkeit und Bereitschaft, Gedanken, Emotionen, Motive und Persönlichkeitsmerkmale einer anderen Person zu erkennen und zu verstehen. Zur Empathie gehört auch die Reaktion auf die Gefühle Anderer wie zum Beispiel Mitleid, Trauer, Schmerz oder Hilfsimpuls.”

Natürlich ist es so, dass jemand, der empathiefähig ist, sich im Falle eines Konfliktes in beide Parteien einfühlen können sollte. Welche Handlung bzw. welches Verhalten daraus aber abgeleitet wird, kann jedoch sehr unterschiedlich sein. Nicht jeder Mensch hat ein schlechtes Gewissen, wenn er einen anderen zum Sündenbock degradiert und dann Vergeltung übt. Im Zweifelsfall entsteht sogar so etwas wie ein Gefühl von Genugtuung und/oder Freude an der eigenen Überlegenheit. Allein das Einfühlungsvermögen ist m. E. keine hinreichende Bedingung, um der Eskalation von Konflikten am Arbeitsplatz entgegenzuwirken. Neben der Fähigkeit zur Empathie muss auch ein moralisches Bewusstsein entwickelt oder zumindest eine entsprechende Werteorientierung gegeben sein, damit ihre Wirkung in die gewünschte Richtung geht.

Quellen:

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Mobbing, das Ebola des Arbeitslebens

Auf dem 1. interdisziplinären Konsultativ-Treffen zu möglichen Mobbingbeweiserleichterungen, zu dem der Hersfelder Arbeitsrechtsanwalt Frank Jansen, der Fachbuchautor Hans-Jürgen Honsa aus Salzgitter und der Vorsitzende des Berliner Vereins Anti-Mobb Gerhard Schulze-Schröder in Bad Hersfeld eingeladen haben, ging es vor allem um die Diskriminierung von Mobbingopfern vor den Gerichten. Mobbing ist ein Zustand, der von vornherein bewusst zeugen- und beweislos gestaltet wird. Deshalb kommt es darauf an, den Betroffenen Hilfen anzubieten, mit denen sie sich aus der Situation befreien können. Auf dieser Veranstaltung sollte vor allem eine Antwort auf die Frage gefunden werden, wie man Mobbing vor Gericht darlegen bzw. wie man es beweisen könne.

(Anmerkung: Die Vorträge sowie die sich anschließenden Fragen und Antworten habe ich hier nur sinngemäß und verkürzt wiedergegeben.)

Vortrag von Dr. Peter Wickler

Zu Beginn berichtete Dr. Peter Wickler (ehemaliger Richter und Vizepräsident des Landesgerichts Thüringen) von der Veranstaltung in Berlin, zu der die Fraktion „Bündnis 90 / Die Grünen“ am 04.04.2014 einlud (weitere Informationen finden Sie hier). Dabei ging es darum, inwieweit eine Regelung durch den Gesetzgeber erforderlich ist. Allerdings sei bis jetzt nicht erkennbar, dass tatsächlich das ernsthafte Ziel eines entsprechenden Gesetzes verfolgt werde.

Der Referent gab einen Einblick in die Entstehung der Mobbingschutz-Rechtsprechung durch die fünfte Kammer des Thüringer Landesarbeitsgerichts und teilte das Diskussionspapier “Mobbingschutz und Regelungserfordernis durch den Gesetzgeber” aus. Mit der vom Thüringer LAG in Gang gesetzten Mobbingschutz-Rechtsprechung sei er davon ausgegangen, dass sich das Mobbingschutzproblem rechtsstaatlich lösen lasse. Diese Sichtweise bewertet er heute differenzierter. Leider habe sich trotz der aufgezeigten Justiziablität von Mobbing für die Betroffenen im Ergebnis wenig geändert. Die von ihm initiierte Rechtsprechung ist auch nicht durchgängig begrüßt worden. Zudem sei er aus Justizkreisen deshalb auch Diffamierungen ausgesetzt worden. Dabei wurde kritisiert, dass die Entscheidungen überflüssig gewesen seien und Begriffe wie “Psychofolter” übertrieben sind. Er sagte, dass man sich nicht beliebt macht, wenn man den Finger in die Wunde rechtsstaatlicher Defizite legt. Das Thüringer LAG erntete dafür jedoch viel Zustimmung in der rechtswissenschaftlichen Literatur.

  • Weiterführender Artikel: „Wertorientierungen in Unternehmen und gerichtlicher Mobbingschutz“ von Dr. Peter Wickler (S. 12-19) in Unbequem Nr. 48 – Kritische Polizisten (2002)

Laut Dr. Wickler bewährt sich ein Rechtsstaat aber erst dann, wenn die zu beurteilenden Sachverhalte schwierig sind. Dies entspreche auch seiner Berufsauffassung und -ausübung. Seiner Meinung nach war das damals notwendig – und das ist es bis heute.

Betrachtet man das Phänomen „Mobbing“, könne man nicht einzelne Aktionen herausgreifen und isoliert betrachten, sondern es müsse der Gesamtzusammenhang in Zeitfolge und Systematik aufgezeigt werden. Eine Fallbeurteilung setzt sich aus diesen Aspekten zusammen bzw. ergibt sich aus der Vogelperspektive, wenn die Persönlichkeit eines Menschen durch mehrere in einem Zusammenhang stehende Handlungen angegriffen wird. Die Grundsatzurteile des Thüringer LAG um die Jahrtausendwende haben zu einer erheblichen Zunahme von Mobbingschutzklagen bei den Gerichten geführt. Allerdings hatten die wenigsten Kläger Erfolg. Dabei sei zu berücksichtigen, dass nicht jeder, der sich als Mobbingopfer sieht, auch juristisch von einer solchen Persönlichkeitsverletzung betroffen ist. Aber auch in klaren Mobbingfällen sei es nach seiner Einschätzung vielfach nicht zu einer gerichtlichen Verurteilung der Mobber gekommen. Die Gründe dafür sind vielschichtig: Teilweise erfolgt nach wie vor keine verhaltensumfassende Bewertung des Sachverhalts, sondern eine isolierte Prüfung der einzelnen Mobbinghandlungen, teilweise fehlt es auch an deren Beweisbarkeit. Manche Gerichte scheinen zudem der Auffassung zu sein, die Befassung mit einem solchen Sachverhalt sei überflüssig und es sei ausreichend, lediglich jeweils gegen die einzelnen Handlungen gerichtlich vorzugehen. Das führt allerdings oftmals nicht zum Stopp des Mobbings, sondern zu einer ständigen Befassung der Justiz mit den Problemen eines Arbeitsverhältnisses. Dadurch besteht die Gefahr, dass die klagende Person am Ende als Querulant betrachtet wird, die zu Recht ihren Arbeitsplatz verliert. Die Gerichte sagen dann so etwas wie: „Ach, der schon wieder…“ Auch wenn gute Anwälte manchmal für ihre Mandanten kämpfen und gelegentlich dabei gewinnen, werden die Opfer häufig nach einer solche Odyssee aus den Unternehmen heraus katapuliert. Solche Fälle gibt es zuhauf.

Mobbing sollte bei den ersten Anzeichen gestoppt werden und es sollten harte Konsequenzen erfolgen. Vielfach wird vertreten, dass man die ganzen Probleme betrieblich lösen könne… Geht das Mobbing aber von der Unternehmensleitung selbst aus, ist nicht zu erwarten, dass diese an einer Klärung mitwirkt. Modern gewordene Leitbilder oder Compliance-Regelungen, die einen mobbingfreien Arbeitsplatz vermitteln, sind zwar schön und öffentlichkeitswirksam. Hinter den Kulissen wird diesen allerdings vielfach nicht Rechnung getragen.

Mobbing ist das Ebola des Arbeitslebens verglichen mit sonstigen Arbeitsrechtsverletzungen. Weil Mobbingfälle so enorm arbeitsaufwendig für die Richter sind, ist das Bestreben groß, einen Vergleich abzuschließen. Trotz der enormen Arbeitsintensität müssten diese sich die erforderliche Zeit für eine umfassende Beurteilung nehmen, wenn eine gütliche Einigung scheitert. Dies sei die Aufgabe eines Richters und dafür werde er schließlich bezahlt. In Einzelfällen scheinen jedoch regelrechte Aversionen gegen Mobbingfälle zu bestehen. In diesem Zusammenhang verwies Dr. Wickler auf das Zitat eines Richters in der Frankfurter Allgemeine Zeitung aus dem Jahr 2010, welches sinngemäß wie folgt lautete: „Hören Sie mir auf mit Mobbing, davon will ich nichts hören. Seien Sie vernünftig, sonst müssen wir Sie zum Vergleich prügeln. Stimmen Sie jetzt endlich zu, ich will zum Mittagessen gehen!“ Der Artikel betraf eine vom Bundesarbeitsgericht aufgehobene Entscheidung des Landesarbeitsgerichtes Niedersachsen, an der der besagte Richter mitgewirkt hatte (2AZR544/08).

Das Schwierige bei Mobbingfällen sei es, die Spreu vom Weizen zu trennen. Was ist juristisch kein schlichter Konflikt mehr, sondern eine Kette von gezielten Angriffen auf die Persönlichkeit? Die subjektive Annahme „Mobbingopfer“ zu sein, ist für die gerichtliche Entscheidung nicht ausschlaggebend. Maßgeblich ist das Vorliegen von objektiven Fakten, die auf einen solchen Sachverhalt hinweisen. Im Ergebnis ist deshalb in vielen Fällen ein Prozess erfolglos.

Beweiserleichterungen und das Konzept der Kontrollüberlegung

Mobber hinterlassen oftmals Spuren. Hat man eine Kette von Indizien, die in einem auf gegenseitiger Achtung und Respekt angelegtem Arbeitsfeld einfach nicht normal sind, dann kann Mobbing sehr plausibel dargelegt werden. Eine darauf hinweisende Kontrollfrage kann sein: Wie würde sich ein fürsorglicher Arbeitgeber oder Kollege verhalten, der keinen Konflikt schüren, sondern ein Problem sachlich lösen möchte? Dieser würde keine unnötige Fehlersuche betreiben, am Boden liegenden Mitarbeitern einen Fußtritt geben o. Ä.. Das sogenannte „psychische Nachtreten“ könnte demnach als aussagekräftiges Indiz herhalten. Das Konzept derartiger Kontrollüberlegung wurde aber in der bisherigen Rechtsprechung bis auf in wenigen Fällen nicht aufgegriffen (Literaturhinweis: Dr. Bernd Ruberg: Schikanöse Weisungen. Psychosoziale Gefährdung am Arbeitsplatz im Blickfeld der Gerichte für Arbeitssachen – nicht nur! – bei “Mobbing”. LIT: 2010 (2. Auflage) sowie Peter Wickler: Wertorientierung in gerichtlichen Unternehmen und gerichtlicher Mobbingschutz. Der Betrieb: 2002, S. 482).

Das Bundesarbeitsgericht hat 2007 erstmals ein Urteil gefällt, in dem es sich mit der Mobbing-Problematik befasst hat. Dabei war es im Ansatz zunächst der vom Thüringer Landesarbeitsgerichts begründeten Rechtsprechung gefolgt. In einem zweiten Urteil des desselben Jahres hat es dann einen neuen Ansatz für die Mobbingbewertung gefunden. Diesen hat es aus §3, Absatz 3 des AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) hergeleitet, der verbotene Belästigungen erfasst, die mit Mobbing vergleichbar sind. Das AGG dient eigentlich dazu, Diskriminierung aufgrund von verschiedenen Merkmalen (Rasse, ethnische Herkunft, Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter, sexuelle Identität) zu verhindern oder zu beseitigen. Für die Träger eines solchen Diskriminierungsmerkmals bewirkt dieser Absatz einen gesetzlichen Schutz, allerdings nur mit der Einschränkung, dass die Mobbinghandlungen durch dieses Diskriminierungsmerkmal verursacht werden. Deshalb bietet es sich an, eine dem AGG entsprechende gesetzliche Regelung zu treffen, die alle Mobbingfälle erfasst und nicht nur solche, bei denen ein Diskriminierungsmerkmal des AGG ursächlich für das Mobbing ist. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass die Betroffenen bei allen Lösungsansätzen davon abhängig sind, dass die Richter den Fall entsprechend den rechtsstaatlichen Anforderungen lösen und nicht einfach nur vom Tisch haben wollen, wie es zum Beispiel in dem zitierten Zeitungsartikel der Fall war. Vielmehr bedarf es darüber hinaus eines Bewusstseins in der Justiz, dass es erforderlich ist, das Ebola des Arbeitsrechts zu bekämpfen und es nicht länger mit Samthandschuhen anzufassen. Solange sich dieses Bewusstsein aber nicht verändert, wird sich auch die Lage der Betroffenen nicht verbessern.

Fragen an Dr. Peter Wickler

Dr. Alfred Fleissner (Vorsitzender des Klima e. V.) fragte: Haben Sie nicht auch das Gefühl, dass die Zeit reif sei für eine gezielte Kampagne?

Antwort: Im April bei den Grünen sagte ich: Ja, wir brauchen ein Gesetz, um die Rechte der Betroffenen zu stärken. Das AGG ist unzureichend, weil man Diskriminierungsmerkmalträger sein und sich das Mobbing darauf beziehen muss, um es anwenden zu können. Kann man sich in dem vorliegenden Fall nicht auf das AGG berufen, weil die Voraussetzungen nicht erfüllt sind, dann ist man in einer schlechteren Position. Während beim AGG eine Beweislastumkehr gesetzlich vorgegeben ist, ist dies bei Mobbingbetroffenen, die nicht darunter fallen, nicht so. Insofern besteht eine durch den Gesetzgeber abzuschaffende Ungleichbehandlung. Bislang äußern sich Politiker natürlich immer öffentlich gegen Mobbing, aber sie tun nichts für eine rechtliche Stärkung der Opfer.

Klaus Schiller-Stutz: Wie soll ein Opfer das Mobbing beweisen, wenn der Richter nicht danach fragt, was in der vergangenen Zeit auf der Prozessebene gelaufen ist? Welche Definition für Mobbing wäre sinnvoll? Welches Raster müsste eine außenstehende Person aufstellen, um die Mobbinghandlungen erfassen zu können? Wie müssten Rechtsanwälte, Psychiater, Psychologen ticken, damit sie dem Opfer wirklich helfen können, den Fall zu beweisen?

Antwort: Ein solches Vorgehen würde das System sprengen. Der Kläger muss einen Sachverhalt liefern. Das kann ihm keiner abnehmen. Die Richter können nicht in die Unternehmen gehen und gucken, wie es da abläuft. Das Gericht prüft, ob es einen Sachverhalt gibt, aus dem sich eine Persönlichkeitsrechtsverletzung ableiten lässt (z. B. wegen Mobbings). Sollte dieser nicht schlüssig oder eindeutig sein, dann sollte das Opfer nicht vor Gericht gehen. Ist er es allerdings und wird von der Gegenseite alles abgestritten, bedeutet dies, dass dann die Beweise und Gegenbeweise geprüft werden müssen. Bei einer Beweislastumkehr wäre ein erfolgreiches Prozessieren deutlich leichter. Eigentlich müsste der Arbeitgeber dafür Sorge tragen, dass kein Arbeitnehmer während seiner Arbeit einen Schaden erleidet. Die Instrumente sind da, aber es fehlt in vielen Fällen der gute Wille.

Frage aus dem Publikum: Was spricht für Sie dagegen, sich mehr zu engagieren – sozusagen als charismatische Figur? Warum korrigieren Sie nicht die Urteile, die verfälscht von Ihnen im Internet im Umlauf sind? Sie haben so viel erreicht, warum machen Sie nicht als Vorbild weiter? Warum sagen Sie nicht öffentlich, dass kein Mensch in Ihrem Namen falsche Urteile weitergeben darf?

Antwort: Ich bin kein Übermensch und ich bin nicht unangreifbar. Auch ich unterliege der Kritik und der Kontrolle. Eine Homepage aufzubauen und andere Urteile zu kritisieren, würde meinen Grundüberzeugungen widersprechen. Meine Rechtsstaatsverständnis beruht darauf, dass Urteile von Gerichten im vorgeschriebenen Instanzenweg überprüft werden. Mein Ansatz ist der: Wenn ich beruflich mit einem Fall konfrontiert bin, der ein rechtsstaatliches Eingreifen erfordert, dann muss ich das tun. Dafür müssen dann auch private Bedürfnisse zurückgestellt werden. Aber es ist nicht mein Job, die Welt zu retten.

Mobbing und Straining – Prof. Dr. Harald Ege

Wie wird Mobbing von Gerichten in Italien behandelt? Wenn jemand eine Geschichte erzählt, weiß man nicht, ob diese Geschichte stimmt. Man hat nur wenige Informationen über die Person bzw. nur solche, die von der Person selbst stammen. Diese Informationen sind jedoch oftmals sehr einseitig. Kommt jemand also zu einem Gutachter, dann in der Regel nur deshalb, weil er prozessieren bzw. ein Guthaben haben will. Deshalb müsse Prof. Dr. Ege – ebenso wie die richterlichen Gutachter im Allgemeinen – stets sehr kritisch sein und jeden Fall genauestens überprüfen.

Ihm zufolge ist es in Deutschland sehr gefährlich, seine Meinung frei zu äußern, da hier Interessen herrschen. Die Vertreter der Parteien vertreten nicht die Interessen des Volkes, sondern die der Parteien. Mobbing ist nicht gerade sehr beliebt. Wer darüber redet, macht sich keine Freunde. In Italien war es so, dass das Wort Mobbing Anfang der 1990er Jahre unbekannt war. Es entstand dann aber eine Art Boom. Prof. Dr. Ege sprach in Talkshows darüber und kam sich dabei vor, wie ein „exotisches Tier“. Man redet zwar darüber, aber machte im Alltag so weiter wie bisher. Dann gab es im März 1999 ein Mobbing-Urteil, in dem der Richter etwas als „Mobbing“ bezeichnete, obwohl es keines war. Vielleicht wollte der Richter damit aber auch nur etwas Aufsehen erregen? Es ging dabei um eine Maschinenarbeiterin, die an ihrer Maschine zu wenig Platz (6 qm) hatte. Im März 2001 gab es dann das erste richtige Mobbing-Urteil.

Das Problem ist die Vielzahl der Definitionen. Er selbst hat in den vergangenen Jahren vier davon herausgebracht. Definitionen sind aber interpretierbar, dieser Spielraum muss allerdings eingeschränkt werden. Lange hat man darüber diskutiert, ein Mobbing-Gesetz zu entwickeln, wogegen er allerdings stets war, da er die Definitionen wegen ihrer beliebigen Auslegbarkeit für die Juristerei nicht mochte. Aus diesem Grund wurde dann ein Parameter-System eingeführt. Seither müssen sieben Parameter „abgeklappert“ werden. Sind sie vorhanden, ist es Mobbing. Sind sie nicht vorhanden, ist es kein Mobbing.

In Folge des Parameter-Systems hat man dann erkannt, dass es relativ wenig (nur ca. 20% der Klagen) Mobbingfälle gibt. Bei den meisten anderen Fällen handelt es sich um andere Arten von Konflikten. Daraufhin wurde der Begriff „Straining“ in die Rechtsprechung eingeführt, worunter eine permanente Auswirkung des Arbeitsplatzes auf das Opfer zu verstehen ist, also das Ausgesetztsein einer permanenten Stresssituation. Strafrechtlich relevant wäre jeweils immer nur eine spezifische Situation. Allerdings summieren sich diese Situationen oftmals auf. Bedeutet ein Straining für das Strafrecht also jeweils nur eine Aktion, hat es zivilrechtlich seither eine höhere Relevanz. Kann eine betroffene Person während ihrer Arbeit (z. B. bei Versetzung in ein Sterbezimmer) ihre sozialen Kontakte nicht mehr pflegen oder bei Entzug der Aufgaben, diesen täglich nicht mehr nachkommen, entsteht dadurch eine dauerhafte Belastung, die man eben Straining nennt.

Was ist nun aber ein Schaden? Menschen geben dem Umfeld mehr Bedeutung als sich selbst. Das ist oftmals der Grund für eine Depression. Die persönlichen Werte (“Ich möchte glücklich sein oder meine Ruhe haben.”) haben weniger Bedeutung als die Konflikte mit dem Umfeld. Das wird zum Beispiel dann deutlich, wenn das Bedürfnis nach Ruhe durch negative Gedanken gestört wird. Menschen beschäftigen sich also auch nachts mit ihren Problemen, anstatt auf ihre Bedürfnisse zu hören. Provokationen sind Fremdbestimmungen: „Ich will, dass Du Dich ärgerst.“ Nun kann mich sich dazu entscheiden, dem anderen nicht das Recht einzuräumen, über die eigenen Gefühle zu bestimmen… Prof. Dr. Ege ruft also entschieden dazu auf, sich nicht fremdbestimmen zu lassen!

Menschen benutzen häufig einen Sprachgebrauch, den sie nicht beherrschen. So gibt es bspw. keinen „psychologischen Schaden“. Es gibt nur einen psychischen Schaden. Man muss Worte ihm zufolge also definieren können. Einer meint, er werde gemobbt, weil er gestresst ist, ein anderer, weil er eine schlechte Beurteilung erhält etc. Aus diesem Grund wurden in Italien die sieben Parameter entwickelt und eingeführt:

  1. Ort: Jeder Fall kann ausgeschlossen werden, der nicht am Arbeitsplatz stattfindet.
    Fallbeispiel: Ein Fußballer durfte nicht mehr mit seiner Mannschaft trainieren, sondern musste dazu mit seinem Masseur auf einen Acker gehen. Da der sportliche Kontext des Trainings aber zu seiner Arbeit gehörte, verurteilte das Gericht den Verein zu einer Geldstrafe und zu Punktabzug in der Liga wegen Mobbings.
  2. Dauer: Mobbing muss mindestens 6 Monate andauern. Die Begründung leitet sich daraus ab, weil ab diesem Zeitraum laut DSM IV auch eine Erkrankung „chronisch“ ist. Es handelt sich demnach bei Mobbing also um eine chronische Konfliktsituation.
  3. Häufigkeit der Aktionen: Die Mobbinghandlungen müssen mindestens monatlich stattfinden.
  4. Mindestens eine feindselige Handlung, die eine permanente Veränderung der Arbeitssituation hervorruft. Dabei wird auf die typischen Mobbinghandlungen von Leymann Bezug genommen.
  5. Ungleichheit zwischen den Antagonisten: Opfer-Täter-Ungleichgewicht
  6. Mobbing ist ein dynamischer Konflikt, d. h. kein statischer. Es gibt also verschiedene Phasen (vgl. Phasenmodell von Mobbing).
  7. Es muss eine Verfolgungsabsicht gegeben sein. Mobbing findet nicht zufällig statt, sondern gezielt.

Vier Ebenen von Schäden

  1. Beruflicher Schaden: Hat eine Person nicht die gleichen Aufstiegschancen? Bekommt die Person ungleiche Lohnerhöhungen als seine Kollegen? Erhält jemand nicht die gleichen Prämien auf derselben Grundlage oder wird er ausgeschlossen? Dies wären alles Beispiele für einen sogenannten Vermögensschaden. Auch fehlende Einladungen zu Fortbildungsangeboten sind eine Form des beruflichen Schadens. Nach einiger Zeit ist der Mitarbeiter dann nicht mehr auf dem neueste Stand und kann mit seiner Qualifikation auf dem Arbeitsmarkt nichts mehr anfangen. Diese Methode ist unspektakulär aber äußerst wirksam: Das Opfer leidet und niemand bekommt es mit.
  2. Biologischer Schaden: Hierunter fallen psychosomatische Schäden, Schlafstörungen, Störungen im Verdauungstrakt, Schweißausbrüche, Depressionen, Panikattacken, die posttraumatische Verbitterungsstörung (Prof. Dr. Linden) etc.
  3. Existenzieller Schaden: Hier geht es um die Existenz und die Lebensqualität der Person. Dazu zählen die folgenden vier Säulen: 1) Intimität und Sexual- bzw. Familienleben, 2) Sozialleben, 3) Sportaktivitäten und Fitness, 4) Hobbys. Ein existenzieller Schaden ist ebenfalls ein Vermögensschaden! Das Vermögen des Arbeiters ist sein Körper und sein Intellekt! Deshalb entsteht ihm, wenn er seine regenerativen Fähigkeiten oder Möglichkeiten verliert, ein Vermögensschaden.
  4. Strafschaden: Hierbei wird das Opfer zivilrechtlich abgekoppelt vom eigentlichen Ereignis. Jemand wird bestraft für die Schwere der Tat.

In einem Gutachten geht es nicht um Beweise, sondern um Einschätzungen, d.h. um Bewertungen. Sie dienen dazu, dass jeder Richter die Schäden nachvollziehen kann. Ein Gutachten hat mehrere Funktionen: (1) Konfliktbestimmung (Mobbing, Stalking, Stress oder was auch immer) und (2) Einschätzung der Schadenshöhe. Ein Husten ist schließlich auch kein Schnupfen. Prozesse gewinnt man nur durch eine klare Linie. „Wenn alles Mobbing ist, dann ist es nichts!“

Anmerkung von Dr. Peter Wickler

Mobbing ist eine psychosoziale Dauerbelastung und immer ein Prozess:

0 → Tat 1 → Tat 2 → Tat 3 → Tat 4 → … → Tat x

Wenn unter Straining eine psychosoziale Dauerbelastung verstanden wird, dann ist das nichts Neues. Diese Problematik wurde in der Rechtssprechung schon im Jahr 2005 erfasst (vgl. z. B. Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 28.06.2005, 5Fa63/04). Demnach kann eine solche Tathandlung eine Klammerwirkung zu anderen Tathandlungen entfalten und ein weiteres Auseinanderliegen entsprechender Handlungen kompensieren. Das Vorliegen einer psychosozialen Dauerbelastung unterbricht nicht den Mobbingzusammenhang. Jeden Tag aufs Neue wirkt sich diese dann auf das Individuum aus. Die sieben Parameter entsprechen einer wissenschaftlichen Herangehensweise, sind allerdings nicht neu, weil sie tlw. in der Rechtsprechung schon so praktiziert werden und/oder nicht praktikabel sind.

  • Parameter 1: Demnach gäbe es kein Mobbing in Vereinen, im Internet, in der Schule etc. (Antwort: Doch, es wird dann nur anders genannt!)
  • Parameter 2: Ist Mobbing nur als solches zu definieren, wenn die Dauer von sechs Monaten erreicht wird? Wenn nun jemand „nur“ über fünf Monate schikaniert und ausgegrenzt wird, ist das dann kein Mobbing mehr?
  • Parameter 3: Es ist nicht unbedingt erforderlich, dass Mobbinghandlungen mehrmals monatlich stattfinden. Wie ist das mit dem Straining, d.h. wenn eine psychosoziale Dauerbelastung im Hintergrund läuft? Hat eine solche Tat nicht per se eine Klammerwirkung?
  • Parameter 4: Es muss eine Täter-Opfer-Beziehung vorliegen, das ist seit Urzeiten Standard der Mobbing-Rechtsprechung in Deutschland. Diese Täter-Opfer-Beziehung setzt aber nicht voraus, dass der Betroffene in der betrieblichen Hierarchie untergeordnet ist. Eine entsprechende Beziehung liegt allerdings nicht vor, wenn das Opfer Gegenmobbing betreibt.
  • Parameter 5: Welchen Sinn hat ein Phasenmodell? Leymann benannte solche Phasen schon aus seiner (eher medizinischen) Sicht. Juristisch kann man mit einem solchen Modell allerdings nicht arbeiten, da die Einhaltung der Phasen keine Voraussetzung einer juristischen Bewertung ist.
  • Parameter 7: Verfolgungsabsicht? Hier verwies er auf den Unterschied zwischen „Bezwecken“ und „Bewirken“. Da sei die deutsche Rechtsprechung ihm zufolge schon weiter. Auch ohne ein Bezwecken kann man demnach aufgrund eines Bewirkens schon Täter sein.

Es kommt nicht auf die Definitionen an, sondern vor allem darauf, dass die Rechtsprechung etwas bewirkt, möglichst für Jedermann!

Antwort von Prof. Dr. Harald Ege: Die Rechtsprechung bzgl. Mobbing ist in Deutschland gegenüber der in Italien seines Erachtens rückständig. Die italienischen Gerichte verwenden die benannten Parameter seit 13 Jahren, wodurch dort Mobbing-Urteile erst möglich geworden sind. Durch diese klare Definitionen über die Parameter wird Mobbing beweisbar! Auch die Abgrenzung zum Straining mache ihm zufolge Sinn.

Literaturhinweis: Harald Ege. Straining: Eine subtile Art von Mobbing. Vandenhoeck & Ruprecht: 2014. Hier finden Sie eine Rezension.

Dr. Argeo Bämayr – Psychische Gewalt und die kumulative Belastungsstörung

Als Nervenarzt betreute er viele Mobbing-Patienten. Er ging das Thema stets von der medizinischen Seite an, um der Justiz zuzuarbeiten. Betriebsleitungen sind häufig nicht in der Lage oder nicht Willens Mobbing anzugehen. Er hat deshalb ein Mobbing-Syndrom postuliert. Laut ICD 10 gibt es Reaktionen auf schwere Belastungen (akute Belastungen, die posttraumatische Belastungsstörung sowie die Anpassungsstörung). Diese drei in den Kriterienkatalogen vorhandenen Diagnosen erfassen aber nicht das, was für die Betroffenen passt. Ein Blick auf den zeitlichen Verlauf bzw. den Zeitstrahl begründet dies. Treten akute Belastungsreaktionen gehäuft und systematisch auf, kommt es ihm zufolge oftmals zu einer kumulative Belastungsstörung. Eine Anpassungsstörung wäre in solchen Fällen eine komplette Fehldiagnose, weil die Schuld für die Fehlanpassung beim Betroffenen gesucht bzw. diesem nahegelegt wird. Deshalb sei es sinnvoll, die kumulative Belastungsstörung ins ICD-11 aufzunehmen. Darunter könnte man das häusliche Gewaltsyndrom, das Mobbing-Syndrom etc. fassen.

Psychische Gewalt, wenn sie wiederholt wird, ist ein eigenständiges Phänomen, das zu bestimmten Störungen führt. Sie ist in Deutschland bislang weitestgehend straflos anwendbar, müsste aber genauso sanktioniert werden wie die physische Gewalt. Wie man dem Gesetzgeber eine „kumulative Belastungsstörung“ allerdings schmackhaft machen könne, ist ihm noch nicht klar. Die Fokussierung auf eine Aufzählung einzelner Symptome ist jedenfalls vollkommener Quatsch! Die Hirnforschung (vgl. Joachim Bauer „Schmerzgrenze: Vom Ursprung alltäglicher und globaler Gewalt“) zeigt auf, dass kein grundsätzlicher Unterschied zwischen psychischer und körperlicher Gewalt besteht, wobei die betroffenen Areale inzwischen lokalisiert sind. D.h. die Anwendung psychischer Gewalt ist nachweisbar. Prof. Dr. Bauer erwähnt diesen Begriff wohl nicht direkt, benennt allerdings Ausgrenzung und Demütigung. In der Diskussion kam die Frage auf, ob die Führungskräfte in Politik und Wirtschaft die Strukturen psychischer Gewalt vielleicht auch deshalb dauerhaft straffrei halten wollen, damit sie diese weiterhin ausüben können? Die Deutungshoheit jedenfalls liegt in den oberen Etagen. Was ist aber, wenn diese Menschen nun gehäuft Persönlichkeitsmerkmale aufweisen, die die Anwendung psychischer Gewalt begünstigen oder ohne angemessene Empathie dulden? Die Persönlichkeitsstruktur der Machtausübenden spielt also auch immer eine wichtige Rolle, so leider manchmal auch bei Richtern. Letztere sehen sich oftmals dazu veranlasst, bei Prozessen auf Vergleiche hinzuwirken – auch aus Gründen der Arbeitsbelastung. Die Betroffenen fühlen sich durch diese Art des Umgangs mit ihrem (vermeintlichen) Recht in vielen Fällen den Auswirkungen  “struktureller Gewalt” ausgeliefert, was ihr Leid weiter verstärken kann.

Literaturhinweis: Argeo Bämayr. Das Mobbingsyndrom. Diagnostik, Therapie und Begutachtung. Europäischer Universitätsverlag: 2012. Hier finden Sie eine Rezension.

Gerhard Schulze-Schröder – Selbsthilfegruppe „AKTIVe Hilfe gegen Mobbing am Arbeitsplatz“

Warum seine Selbsthilfegruppe so viel Interesse an dem Thema hat? Einer allein kommt nicht aus der Mobbingsituation heraus. Wenn ein Betroffener tausendmal erlebt, dass die Mobber mit ihren Handlungen durchkommen, wie geht es diesem danach? Dem Problem muss begegnet werden. Die Frage lautet also, wie man den Betroffenen dabei helfen kann, zu ihrem Recht zu kommen.

Oftmals findet eine Art „Nachmobbing“ statt, womit das gemeint ist, was nach dem Mobbing geschieht. Wenn die Krankenkassen einem zum Beispiel mitteilen, dass man kein Krankengeld bekommt, oder wenn ein MDK falsche oder fadenscheinige Gutachten erstellt und den Betroffenen auffordert, wieder an den Arbeitsplatz zurückzukehren. Betroffene haben oftmals das große Pech, dass sie den Anfang ihrer Mobbing-Situation meistens nicht mitbekommen, sondern erst dann etwas feststellen, wenn die tausend Nadeln schon platziert sind. Die akutesten Erfahrungen bleiben in Erinnerung. Das vollständige Bild erschließt sich einem aber erst nach etlichen Gesprächen.

Dipl.-Jur. Univ. Sebastian Hartmann: Mobbing – ein unbekanntes Phänomen

Zum Abschluss der Veranstaltung berichtete Dipl.-Jur. Univ. Sebastian Hartmann über ein Promotionsvorhaben aus dem Bereich des öffentlichen Dienstes. Zunächst zeigte er nochmals auf, dass Mobbingfälle in der Regel sehr komplex sind und eindeutige arbeitsrechtliche Definitionen fehlen. Ein inflationärer Gebrauch des Begriffes, ein mangelndes Bewusstsein für rechtliche Konsequenzen und zahlreiche rechtliche Probleme gingen damit einher. Zwar finden sich viele Eingrenzungsversuche, die aber nicht verbindlich sind (z. B. die Definition von Esser & Wolmerath).

Der kleinste gemeinsame Nenner ist bislang, dass es einzelne diskriminierende und schikanöse Handlungen gebe, das zeitliche Element sowie die Verbindung dieser Handlungen. Die rechtliche Würdigung sei jedoch je nach Definition oder Ansicht des Richters sehr unterschiedlich, d.h. es besteht ein großer Beurteilungsspielraum. Der Gesetzgeber schweigt jedoch dazu, weshalb die Gerichte und Anwälte auf bestehende Gesetze zurückgreifen müssen. Ein entsprechendes Gesetz müsste berücksichtigen, dass das Korsett nicht zu eng sein darf, damit genügend Raum für die Betrachtung der Einzelfälle bleibt. Allerdings müsste das bislang sehr Uneinheitliche in der Bewertung reduziert werden. Die Signalwirkung eines solchen Gesetzes wäre wohl sehr groß und eine entsprechende Regelung auch vor dem Hintergrund der Beweisführung dringend notwendig. Während Europa sich gegen Diskriminierung einsetzt und Mobbing in vielen anderen Ländern bereits in den Gesetzen verankert ist, lässt diese Rechtsverbindlichkeit in Deutschland auf sich warten. Mindeststandards müssten also definiert werden.

Im öffentlichen Dienst gebe es ihm zufolge ein Mobbingvakuum. Hier greifen andere Mechanismen und der Weg zu den Gerichten wird oftmals nicht gewählt. Die Folgen seien stattdessen Frühpensionierung, dauerhafte Krankenausfälle, ganze Abteilungen als Durchgangsstationen für Betroffene etc. Wie ich es verstanden habe, ist das Problem der Ausschlussfristen, dass Ansprüche in einem Zeitraum von drei bis sechs Monaten geltend gemacht werden müssen. Nach der letzten Mobbing-Handlung ist diese Zeit aber oftmals bereits verstrichen. Diese Fristen würden demnach auch bei einer Verletzung der Persönlichkeitsrechte gelten. Erst seit dem 20.06.2013 könne eine Haftung wegen Vorsatzes nun aber nicht mehr ausgeschlossen werden. Da bei Mobbing regelmäßig und vorsätzlich gehandelt wird, gelten diese Ausschlussfristen also wohl nicht (im Gegensatz zu tariflich verhandelten Abmachungen).

Als Lösungsansätze schlägt er die Verwendung bekannter Rechtsfiguren, eine Ausgestaltung durch die Gerichte sowie eine klare Gesetzgebung seitens der Politik vor. Auch das Straining müsse berücksichtigt werden: Straining ist eine vorsätzlich herbeigeführte Belastungssituation unter der das Opfer psychische und/oder physisch erkrankt und unter dem aufgebauten Druck zusammenbricht. Darunter würde dann auch das isoliertes Auftreten einer einzelnen aber anhaltend belastend wirkenden Aktion fallen (z. B. die Versetzung in ein sogenanntes “Sterbezimmer”), was in vielen Mobbingfällen inkludiert ist. Straining trete demnach häufiger auf als das klassisch definierte Mobbing.

Abschließende Anmerkung von Hans-Jürgen Honsa

Um eine Nachhaltigkeit des Treffens zu gewährleisten, soll im kommenden Jahr am 20./21. November ein zweites in Salzgitter stattfinden.

PS: Für die Aussagen zur Rechtsprechung übernehme ich keine Gewähr.