Die Schattenseite der Empathie

Psychische Erkrankungen können ganz unterschiedliche Ursachen haben. Welche Belastungen allerdings zu einer Erkrankung führen, ist eine sehr individuelle Angelegenheit. Wird aber die Verantwortung für die Resilienz allein beim Individuum gesucht, übersieht man, dass sich die Widerstandsfähigkeit eines Menschen stetig aus dem Interaktionsprozess mit der Umwelt sowie den anderen Menschen heraus (weiter-)entwickelt. Viele dieser sozialen Interaktionen finden am Arbeitsplatz statt. Von daher können Vorgesetzte mit ihrem Führungsstil wesentlich mehr bewirken, als es durch Aufklärung oder Angebote zur Gesundheitsförderung möglich ist.

Gute Führung beruht auf Wertschätzung!

Menschen sind jedenfalls nicht mit Maschinen vergleichbar, d.h. es muss ihnen nicht nur gesagt werden, was sie zu tun haben. Ihre Motivation und Leistungsfähigkeit hängt vor allem auch von der Atmosphäre am Arbeitsplatz ab. Als soziale Wesen sind sie im hohen Maße auf die Qualität der Beziehungen in ihrem persönlichen Arbeitsumfeld angewiesen. Unfreundlichkeit, Druck, Entwürdigungen, Feindseligkeit und Drohungen führen über körperliche Prozesse zu einer Leistungsminderung und machen möglicherweise krank. Hingegen wird durch Wertschätzung, Anerkennung, Lob, dem Gefühl der Zugehörigkeit etc. die Ausschüttung von Dopamin im Körper gefördert, einem Glücksbotenstoff, der die Motivation und die Gesundheit erhält. Eine wichtige Voraussetzung hierfür ist ein gewisses Einfühlungsvermögen seitens der Führungskräfte. Fehlt diese Form der sozialen Belohnung dauerhaft, entsteht eine schädliche Dysbalance. Neben guter Führung ist aber auch die kollegiale Unterstützung wichtig. Künstlich geschaffener Konkurrenzdruck oder die bewusste Spaltung von Teams wirkt demnach wie psychisches Gift und führt oftmals zur inneren Kündigung.

Auch der Gestaltungsspielraum spielt eine wichtige Rolle. Wenn Menschen ihre Arbeit auf „ihre Weise“ tun können, sie also eine gewisse Freiheit haben bzw. sie darin nicht zu sehr eingeschränkt werden, dann gibt man ihnen ein gesundheitsförderliches Gefühl von Kontrolle. Hingegen führt die Tendenz zur Normierung oder Überregulierung von Arbeitsabläufen, wie sie zu Beginn des letzten Jahrhunderts vom Taylorismus propagiert wurde, nahezu zwangsläufig zu psychischen und/oder körperlichen Erkrankungen.

Der Psychoneuroimmunologe Prof. Dr. Joachim Bauer empfiehlt, dass Vorgesetzte ihr Verhalten regelmäßig kritisch hinterfragen bzw. dahingehend sensibilisiert werden sollten, wie sich ihr Führungsstil auf die Motivation und Leistungsfähigkeit ihrer Mitarbeiter auswirkt. Fehlende Anerkennung, intransparentes und inkonsequentes Führungsverhalten sowie eine zu starke Einengung der Gestaltungsspielräume sollten vermieden werden. Auch übermäßiger Leistungsdruck oder eintönig gestaltete Arbeitsabläufe sind eher kontraproduktiv, wohingegen Wertschätzung und Empathie gesundheitsförderlich zu sein scheinen.

Ist Empathie der Schlüsselfaktor?

Manfred Evertz

Der Empathie wurde in den vergangenen Jahren in Führungskräfteseminaren eine besondere Aufmerksamkeit zuteil, da sie wohl dazu beiträgt, die eigenen Mitarbeiter zu guten Leistungen motivieren zu können, und sie letztendlich unabdingbar ist, möchte man sich aktiv um ein gutes Betriebsklima bemühen. Auch wenn es um das Wahrnehmen möglicher Warnsignale von Überforderung oder psychischer Belastungen bzw. generell um Mitarbeitergespräche geht, ist sie eigentlich unabdingbar.

Doch auch hier ist Vorsicht geboten! Inzwischen ist nämlich weitgehend bekannt, dass Empathie auch aggressives Verhalten hervorrufen und die Fragen nach Gerechtigkeit bzw. dem moralisch richtigen Verhalten nebensächlich werden lassen kann, wenn eine nahestehende Person in einen ernsthaften Konflikt verwickelt ist. So zeigen es zumindest verschiedene Studien. Warum sollte das in Unternehmen anders sein? Zumindest ein Teil der Mobbingfälle entwickelt sich aus ungelösten Konflikten, bei denen sich im Laufe der Zeit einige (bzw. immer mehr) Kollegen und/oder die Führungskraft parteiisch verhalten. Wissenschaftler vermuten, dass jene Genvarianten, die für die Ausprägung von Rezeptoren für die Bindungshormone Oxytocin und Vasopressin verantwortlich sind, den Weg von Empathie zu Aggression befördern.

Psychische Gewalt durch Empathie?

Manfred Evertz

Interessant finde ich deshalb die Frage, ob die sogenannten Mitläufer in Mobbingfällen immer nur zu solchen werden, weil sie damit ihr schwaches Selbstwertgefühl kaschieren wollen bzw. sie Angst haben, sonst auch zum „Opfer“ zu werden, oder ob es nicht auch Fälle gibt, bei denen sie emotional einfach viel enger mit einem der Täter oder mit einem anderen Kollegen (Wettbewerber) verbunden sind und in dem „Opfer“ dann einen potenziellen Gegner bzw. Feind sehen? Das würde m. E. ein etwas anderes Licht auf einige jener Mobbingkonflikte werfen, bei deren Auflösung man mit rationalen Argumenten oder mit herkömmlichen Konfliktlösungstools wenig erreicht.

“Empathie” ist ein Begriff, der grundsätzlich keine ethische bzw. moralische Komponente beinhaltet, auch wenn man das vielleicht gern so sehen würde. So heißt es bei Wikipedia z. B. “Empathie bezeichnet die Fähigkeit und Bereitschaft, Gedanken, Emotionen, Motive und Persönlichkeitsmerkmale einer anderen Person zu erkennen und zu verstehen. Zur Empathie gehört auch die Reaktion auf die Gefühle Anderer wie zum Beispiel Mitleid, Trauer, Schmerz oder Hilfsimpuls.”

Natürlich ist es so, dass jemand, der empathiefähig ist, sich im Falle eines Konfliktes in beide Parteien einfühlen können sollte. Welche Handlung bzw. welches Verhalten daraus aber abgeleitet wird, kann jedoch sehr unterschiedlich sein. Nicht jeder Mensch hat ein schlechtes Gewissen, wenn er einen anderen zum Sündenbock degradiert und dann Vergeltung übt. Im Zweifelsfall entsteht sogar so etwas wie ein Gefühl von Genugtuung und/oder Freude an der eigenen Überlegenheit. Allein das Einfühlungsvermögen ist m. E. keine hinreichende Bedingung, um der Eskalation von Konflikten am Arbeitsplatz entgegenzuwirken. Neben der Fähigkeit zur Empathie muss auch ein moralisches Bewusstsein entwickelt oder zumindest eine entsprechende Werteorientierung gegeben sein, damit ihre Wirkung in die gewünschte Richtung geht.

Quellen:

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