Rezension: “Gefühle im Griff!” von Sven Barnow

Wenn es uns gelingt, verstörende oder unliebsame Gefühle auf eine intelligente Weise zu regulieren, wirkt sich das äußerst positiv auf unser Wohlbefinden aus. Dass es einen Zusammenhang gibt zwischen den Gedanken und Überzeugungen von Menschen und dem, was sie fühlen, gilt schon lange als erwiesen. Ebenso wie eine schlechte Stimmung zu negativen Gedanken führt, folgt auf pessimistische und besonders kritische Gedanken oftmals auch ein emotionales Tief. Das Kernstück der Kognitiven Verhaltenstherapie ist es deshalb, sich mit jenen Überzeugungen und Annahmen zu befassen, die sich als dysfunktional erweisen, die also die Stimmung bzw. die Lebensqualität eines Menschen beeinträchtigen. Begonnen wird dabei oft mit einer Exploration der negativen Gedanken und der durch sie ausgelösten Gefühle mittels eines Tagebuchs. Die Idee dabei ist es, den eigenen Einfluss auf eine jeweilige Stimmung und den Wirkmechanismus von sogenannten Grübelschleifen bewusster zum machen und zugleich dazu zu motivieren, mit Emotionen und Gedanken achtsamer umzugehen sowie eine weniger belastende Sicht auf die Dinge zu entwickeln. Eine wichtige Rolle hierbei spielen die Akzeptanz sowie das Zulassen bzw. das bewusste Erleben des Unangenehmen. In dem Buch „Gefühle im Griff!“ zeigt der Autor auf, wie einem dies auch ohne therapeutische Unterstützung gelingen kann.

Wie einfach das ist, zeigt eine Studie aus den 1980er Jahren auf, bei der James W. Pennebaker eine Gruppe von Personen darum bat, sich dreimal in der Woche 15 bis 20 Minuten Zeit dafür zu nehmen, über emotional bedeutsame, negative Situationen des Tages oder aus der Vergangenheit zu schreiben. Hierbei ging es vor allem darum, die ausgelösten Gefühle möglichst genau darzustellen, ohne diese dabei zu analysieren oder zu bewerten. Er konnte nachweisen, dass sich allein das langfristig positiv auf die körperliche und seelische Gesundheit auswirkt. So wird in dem vorliegenden Buch z. B. empfohlen, das eine Woche lang regelmäßig zu tun und anschließend eine Entspannungsübung durchzuführen. Gleichzeitig ermutigt der Autor dazu, positive Gefühle zu initiieren, indem man sich in verschiedenen sozialen Situationen bewusst um ein Lächeln bemüht und dabei beobachtet, wie sich die Reaktionen des Umfelds sowie die eigene Befindlichkeit dadurch verändern. „With a smile on your face the world is changing!“

„Nichts ist der Seele schädlicher als der Versuch, gegen Gefühle anzukämpfen, über die sie keine Herrschaft hat.“ Dschuang Dsi

Aber nicht immer ist einem zum Lächeln zumute. Auch scheint es nicht möglich zu sein, jedem Impuls oder Bedürfnis nachzugeben bzw. zu folgen. So sehen wir uns oft dazu veranlasst, uns zusammenzureißen bzw. auf etwas zu verzichten, das unser Herz begehrt. Obwohl es in vielerlei Hinsicht sicher nützlich ist, die eigenen Gefühle bzw. sich auf diese Weise zu kontrollieren, kann sich eine übertriebene Selbstdisziplin, wie sie u. a. von den Stoikern angeraten wurde, langfristig sehr ungünstig auswirken. Der Sozialpsychologe Roy Baumeister (1998) konnte in seinen Studien belegen, dass Menschen, die ein Bedürfnis (z. B. den Verzehr herumliegender Süßigkeiten) unterdrücken (müssen), bei der Lösung neuer Aufgaben weniger motiviert sind und entsprechend schneller aufgeben. Der Grund dafür ist, dass hierfür Ressourcen verbraucht werden, die ihm zufolge dann für andere Dinge nicht mehr zur Verfügung stehen. Das wiederum kann zu einer sogenannten Ich-Erschöpfung („Ego-Depletion“) führen und das Erleben der nächsten Frustration wahrscheinlicher machen. Die Unterdrückung von Impulsen sowie die Suppression von Gefühlen kostet also viel Energie und beeinträchtigt sowohl die Konzentrationsfähigkeit wie auch die Frustrationstoleranz.

„Logik gegen Gefühl ist wie Dreirad gegen Panzer.“ Wolfgang J. Reus

Um Teufelskreisen, die dadurch entstehen können, zu entgehen bzw. um erst gar nicht erst in sie hineinzugeraten, bietet das Buch ein achtwöchiges Programm an, mit dem sich die eigene Emotionsregulation optimieren und die Lebensqualität steigern lässt. Die Übungen und deren Struktur sind angelehnt an psychotherapeutische Konzepte der Kognitiven Verhaltenstherapie – angereichert mit etwas Commitment und Akzeptanz. Sie sind zwar wenig spektakulär, dafür aber erwiesenermaßen wirksam.

Dem Autor zufolge sollten Gefühle zunächst als das wahrgenommen werden, was sie tatsächlich sind, nämlich Reaktionen auf Deutungen und Bewertungen einer Situation. Sind sie übermäßig stark, spricht man von emotionalen Markern, d.h. dass die Heftigkeit der Reaktion nicht durch die aktuellen Geschehnisse hervorgerufen, sondern durch irgendetwas „getriggert“ wird. Durch Übungen (wie z. B. dem Führen eines Gefühls-Tagebuchs) wird die Aufmerksamkeit auf die Entstehung negativer Emotionen gerichtet und vorgeschlagen, diesen zunächst mit Akzeptanz zu begegnen. Um sich auch bei Erinnerungen an belastende Erlebnisse vor zu starken negativen Emotionen (wie z. B. Trauer, Schmerz, Wut, Ärger, Zorn, Enttäuschung etc.) zu schützen, wird empfohlen, sich in solchen Momenten vorzustellen, man würde die Geschehnisse aus der Position einer unbeteiligten Person betrachten, d. h. aus einer „objektiveren“ Perspektive. Grundsätzlich geht es immer darum, auf die eigenen Gefühle zu achten und ggf. eine Neubewertung der Ereignisse vorzunehmen. Interessant ist, dass sich allein dadurch schon nachweislich die Gedächtnisleistung steigern und soziale Interaktionen „verbessern“ lassen. Jede Woche bzw. jedes Kapitel leitet der Autor mit einer theoretischen Erläuterung ein und ermutigt seine Leser dazu, mit einfachen Übungen z. B. mehr Akzeptanz zu entwickeln, Grübelschleifen zu entkommen und „Vermeidungsfallen“ zu erkennen. Angereichert mit vielen hilfreichen Tipps wird so ein Weg aufgezeigt, der zu mehr Lebenszufriedenheit und Wohlbefinden führt.

Prof. Dr. Sven Barnow, Ordinarius und Leiter der Arbeitseinheit Klinische Psychologie und Psychotherapie am Psychologischen Institut der Universität Heidelberg, erläutert in dem Buch „Gefühle im Griff!“ auf leicht verständliche Weise, welche komplexen Vorgänge in unserem Gehirn an der Entstehung von Emotionen beteiligt sind bzw. wie wir entsprechende Prozesse beeinflussen (können), und stützt viele seiner Aussagen auf aktuelle wissenschaftliche Untersuchungen. Gut gefällt es mir, dass darauf verzichtet wird, problematische Verhaltensmuster zu pathologisieren. Sehr nützlich ist zudem der Heidelberger Fragebogen zur Erfassung der Emotionsregulation (H-FERST), der Aufschluss darüber gibt, welche Strategien einem im Zweifelsfall dabei helfen können, einen achtsameren Umgang mit den eigenen Gefühlen zu entwickeln.

Dr. Sven Barnow ist Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie und approbierter Psychologischer Psychotherapeut (Verhaltenstherapie). Für seine Forschungsleistungen hat er mehrere Auszeichnungen/Stipendien erhalten, u. a. das Krupp von Bohlen und Halbach Stipendium für herausragende Nachwuchswissenschaftler (Forschung an der UCLA, San Diego), einen Bayer Award für seine Publikation (gemeinsam mit Michael Linden) zu Alterssuizidalität, ein Marsilius Fellowship (im Rahmen der Exzellenzinitiative).

Sven Barnow (2017). Gefühle im Griff! Wozu man Emotionen braucht und wie man sie reguliert. Springer Verlag.

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