Rezension: „Therapie wirkt!“ von Sven Barnow

In „Therapie wirkt!“ bietet Prof. Dr. Sven Barnow (Universität Heidelberg) einen kurzen Einblick in die Wirksamkeit, die Verfahren und in den Ablauf einer Psychotherapie, schreibt über die Behandlung einiger Störungsbilder und gibt eine kurze Anleitung zur Selbsthilfe in Sachen Emotionsregulation. Auch der Frage, ob eine Psychotherapie schaden kann, geht er in einem Kapitel nach. Des Weiteren lässt er sieben Patienten zu Wort kommen, die aus verschiedenen Gründen eine Therapie absolviert haben. Das Werk bietet sowohl jenen, die sich mit der Frage beschäftigen, ob sie eine Therapie machen sollten, wie auch z. B. Beratern, die sich sich beruflich mit Menschen befassen, die psychisch belastet sind, einen guten Überblick. Schön daran sind nicht nur die zahlreichen Tipps und wissenschaftlichen Erläuterungen, sondern auch die Tatsache, dass Betroffene von ihren Erfahrungen berichten, wodurch viele der getätigten Aussagen an Authentizität gewinnen.

In dem einleitenden Kapitel geht der Autor der Frage nach, ob eine Psychotherapie überhaupt wirkt? In diesem Zusammenhang hinterfragt er u. a. die Sinnhaftigkeit der Einnahme von Antidepressiva: Die von der Pharmaindustrie veröffentlichten Studien über die Wirksamkeit ihrer Präparate blenden in der Regel ein Phänomen aus, das man „Regression zur Mitte“ nennt, welches besagt, dass beim Vorliegen hoher Werte über die Zeit sehr wahrscheinlich ist, dass diese Werte in der Gruppe (auch ohne entsprechende Intervention) abnehmen. Berücksichtigt man diesen Effekt, stellt sich der erwartete Nutzen einer Behandlung mit gängigen Antidepressiva deutlich geringer dar. Auch scheinen die Abbruchquoten aufgrund von Unverträglichkeiten relativ hoch zu sein. Eine Überlegenheit zur Psychotherapie ist demnach nur in gewissen Ausnahmefällen gegeben. Zudem wird immer wieder behauptet, dass eine Kombination aus Psychotherapie und Antidepressiva zu empfehlen sei. Der Autor stellt nun dar, dass Kombinationsbehandlungen tatsächlich besser wirken, als ein Antidepressivum allein, sie allerdings im Vergleich mit einer Psychotherapie ohne Medikamente aber relativ wenig bringen. Ausnahmen sind schwere Depressionen, Zwangsstörungen sowie chronische Verläufe.

Besonders spannend war die Kritik an der Serotoninmangelhypothese: Serotonin ist ein Neurotransmitter, der eher affektneutral agiert. Allerdings werden geistige und emotionale Prozesse durch diesen Botenstoff gedämpft und die parasympathische Aktivität nimmt zu. Dadurch ist man entspannter, was sich entängstigend und positiv auf die Stimmung auswirkt. Deshalb wird angenommen, ein Serotoninmangel sei für Depressionen und Angststörungen verantwortlich. Tatsächlich zeigt sich aber, dass bei Einnahme von Antidepressiva, die die Serotonin-Wiederaufnahme hemmen, der Spiegel bereits nach zwei Tagen deutlich erhöht ist, die Symptome allerdings erst nach ca. zwei bis vier Wochen vermindert werden. Deshalb geht man inzwischen davon aus, dass Antidepressiva eher die Neurogenese in bestimmten Hirnregionen (z. B. im Hippocampus) positiv beeinflussen. Neuere Studien scheinen dies zu belegen.

Welche Therapie hilft bei welcher Störung? Die Analytische Psychotherapie, die Tiefenpsychologische Psychotherapie, die Verhaltenstherapie, die Systemische Psychotherapie sowie die Gesprächspsychotherapie werden erläutert und dann die Kriterien hinterfragt, welche Form der Therapie zu wem am besten passt. Auch Aspekte der Dauer sowie der Kostenübernahme durch eine gesetzliche Krankenkasse werden thematisiert. Zudem wird der Frage nachgegangen, was einen guten Therapeuten ausmacht und wie schnell mit einem Abklingen der Symptome zu rechnen ist. Die größten Effekte treten demzufolge nach etwa 25 bis 35 Stunden auf, wohingegen ab der 60. Stunde kaum noch Besserungen zu erwarten sind. Allerdings gibt es auch Ausnahmen (z. B. bei Borderline-Patienten).

Auf den folgenden Seiten werden daraufhin zunächst verschiedene psychische Erkrankungen und ihre Behandlungsweisen dargestellt: Depressionen, Angststörungen und Zwänge, Substanzstörungen (speziell Alkoholmissbrauch), Essstörungen, Posttraumatische Belastungsstörungen sowie die Borderline Persönlichkeitsstörung. Dabei werden immer Angaben über die Wirksamkeit verschiedener therapeutischer Ansätze gemacht und klare Empfehlungen ausgesprochen. Immer wieder wird hierbei auch auf die Möglichkeit einer medikamentösen Behandlung eingegangen bzw. dessen Wirksamkeit kritisch hinterfragt. Zusätzlich gibt der Autor für jede der benannten Störungen Filmtipps und verweist auf informative Seiten im Internet.

Nach einer kurzen Erörterung der Frage, ob Therapie schaden kann, wird ein Einblick in die Möglichkeiten gegeben, die man selbst hat, um die eigenen Gefühle zu regulieren. Dieser Abschnitt ist relativ kurz gehalten, entspricht aber inhaltlich in etwa dem, was Prof. Dr. Sven Barnow ein Jahr später nochmals in dem Buch „Gefühle im Griff“ ausführlicher darstellte. Die Tipps sind praxisnah und für jeden Leser mittels kleiner Übungen direkt umsetzbar.

Die zweite Hälfte des Buches ist dann Interviews gewidmet, die der Autor mit sieben Patienten führte (oder führen ließ), die sich aus verschiedenen Gründen für eine Psychotherapie entschieden haben. Jeder Patient wurde hierfür zweimal befragt. In dem ersten Gespräch ging es vor allem um die Vorgeschichte und um die Entscheidung, therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Circa ein halbes Jahr später würden die Menschen erneut interviewt. Bei fast allen zeigte sich eine deutliche Besserung der Symptome bzw. ihrer Befindlichkeit. Obwohl ich zunächst daran dachte, diesen Teil des Buches lediglich zu „überfliegen“, war ich von den Inhalten so gefesselt, dass ich ihn vollständig las. Es war spannend zu beobachten, welche Entwicklungen die einzelnen Charaktere gemacht hatten und was sie über sich selbst sowie über ihre Psychotherapie dachten. Interessant waren zudem die Aussagen darüber, was ihnen tatsächlich geholfen hat, ihr Leben wieder besser in den Griff zu bekommen.

Fazit: Das Buch ist großartig, weil es viele Denkanstöße und zudem eine gute Orientierung darüber bietet, wann welche Form der Therapie am erfolgversprechendsten ist.

Sven Barnow (2013). Therapie wirkt! So erleben Patienten Psychotherapie. Springer-Verlag.

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