Rezension: „Entschuldigen Sie, wer bin ich?“ von Wolfgang Blohm

Cover - Entschuldigen Sie wer bin ichHaben Sie manchmal den Eindruck, sich selbst fremd geworden zu sein? Ist Ihnen der Zugang zu Ihren eigenen Bedürfnisse und Gefühlen versperrt? Dann könnte es sein, dass Sie unter jenem Phänomen leiden, das in diesem Buch beschrieben wird. Das Lost-Sense-Syndrom ist eine besondere Form der Kontaktstörung, bei der die Betroffenen sich in ihrer Welt nicht mehr richtig wahrnehmen. Das zentrale Element zur Orientierung, das normalerweise dabei hilft, authentische Maßstäbe zur Gestaltung des eigenen Lebens zu finden, scheint ihnen abhanden gekommen zu sein. Sie spüren sich nicht mehr.

Meistens beginnt es schleichend. Vielleicht stellt man fest, dass die eigenen Interessen oder Werte keine Rolle spielen dürfen und man sich (mehr oder weniger) widrigen Lebensumständen anzupassen hat, möchte man weiterhin „funktionieren“. Vielleicht unterliegt man dem Trugschluss, das Leben bestünde lediglich aus Arbeit und Zerstreuung? Jene Phasen, die der Regeneration und dem Wiederfinden der eigenen Mitte dienen sollten, werden immer kürzer oder verlieren sich irgendwie im Strudel der Oberflächlichkeit. Die Unzufriedenheit wächst, man reißt sich zusammen, versucht sich bzw. seine Umwelt zu kontrollieren und kämpft vermehrt gegen Symptome wie Niedergeschlagenheit, Angst oder Erschöpfung an, bis man irgendwann zusammenbricht oder das Gefühl hat, überhaupt nicht mehr zu wissen, wer man eigentlich ist.

Die Hintergründe für eine derartige Entfremdung können bspw. in der Familie, im Arbeitsleben, in der Veränderung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen (Wertewandel) oder in der unkontrollierten Nutzung moderner Medien liegen. Zeigen sich die erste Symptome einer psychischen Belastung oder Erkrankung (Burnout, Angststörung oder Depression), wird ihnen nicht selten mit Psychopharmaka oder selbstschädigendem Verhalten (z. B. Schlaf- und Beruhigungstabletten, übermäßiger Konsum von Genuss- oder Suchtmitteln) begegnet. Warum das aber wenig hilfreich ist bzw. wieso es besser wäre, in sich hineinzuhorchen und die eigenen Gefühle wahr- bzw. ernstzunehmen, beschreibt Dr. med. Wolfgang Blohm auf eindringliche Weise.

Welche Bedeutung Emotionen für eine gesunde psychosoziale Entwicklung haben, wie man den Zugang zu ihnen wiederfinden und wie therapeutisch mit Menschen gearbeitet werden kann, die ihn verloren haben, sind weitere Themen dieses Buches. Zahlreiche Fallbeispiele und leicht verständliche Erläuterungen psychologischer Mechanismen und psychotherapeutischer Behandlungsmethoden runden das Werk ab.

Besonders gefällt es mir, dass der Autor zwar darauf verzichtet, seine Leser/-innen mit allzu vielen wissenschaftlichen Fakten und komplizierten Erklärungen zu überfordern, seine Aussagen aber dennoch in jeglicher Hinsicht dem aktuellen Forschungsstand entsprechen. Seiner Ansicht, dass eine Psychotherapie oftmals sinnvoller ist, als Psychopharmaka zu schlucken, sowie seiner Warnung vor einer zunehmenden Tendenz der Psychopathologisierung eigentlich „normaler“ emotionaler Zustände (z. B. der Trauer), schließe ich mich ohne Vorbehalte an. Seine Argumentation ist lebensnah, menschlich und stimmig. Wenn Sie lernen möchten, Ihre eigenen Gefühle und Bedürfnisse deutlicher zu spüren, um in einen wahrhaftigeren Kontakt mit sich (und Ihrer Umwelt) zu gelangen, finden Sie in diesem Buch zudem einige wunderbare Übungen, die dazu anregen, sich selbst zu erkunden.

Der Autor ist als Leitender Arzt, Hypno- und Psychotherapeut in der Fachklinik für Hypnotherapie Privatklinik Dr. Blohm (https://www.hypnose-klinik.com) in Breklum tätig.

Wolfgang Blohm (2015). Entschuldigen Sie, wer bin ich? Wege aus dem Lost-Sense-Syndrom zurück in die eigene Identität. J. Kamphausen.

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