Willst Du gut sein oder ganz?

Berühmt wurde diese Frage durch den Psychoanalytiker C. G. Jung. Wie sinnvoll ist es, den dunklen Facetten unserer Persönlichkeit mit aller Kraft auszuweichen, sie zu verdrängen oder sie sogar abzuspalten? Gelangen sie nämlich eines Tages doch wieder an die Oberfläche oder drohen sie, uns so sehr zu beherrschen, dass wir die Kontrolle verlieren, löst das oftmals eine Scham aus, die unerträglich sein kann. Das folgende Bild von Manfred Evertz bringt m. E. besonders gut zum Ausdruck, wie man sich das vorstellen könnte:

Unterdrückt man ein Gefühl oder Bedürfnis dauerhaft und entwickelt man zudem raffinierte Vermeidungsmuster, die es an seiner Entstehung hindern oder bereits im Keim ersticken, breitet es sich allmählich auf andere Lebensbereiche aus, wird stärker und immer diffuser. Irgendwann wird es evtl. so einnehmend und zugleich derart irrational, dass man der eigenen (Selbst-)Wahrnehmung nicht mehr traut. Bei Angst, Traurigkeit oder Wut ist das hinlänglich untersucht und bekannt. Dass das aber auch bei allen anderen (unerwünschten) Emotionen genauso ist bzw. sein kann, hat mich zumindest anfänglich irritiert…

Um einen gelingenden Einstieg zu finden, jene Beschämung zu hinterfragen, die wir in uns selbst spüren, habe ich persönlich gute Erfahrungen mit folgenden Fragen gemacht:

  • Was löst dieses Bild bei Ihnen aus (Gefühle, Gedanken, Impulse)?
  • Mit welchem Titel würden Sie dieses Bild versehen?
  • In welcher Beziehung stehen Sie zu den Gestalten auf dem Bild?
  • Welche Anteile Ihrer Persönlichkeit könnten sie darstellen?
  • Wenn Sie mit den Gestalten sprechen könnten, was würden Sie ihnen mitteilen wollen?

Die bewusste Konfrontation mit den „dunklen“ Seiten unseres Selbst (C. G. Jung nannte sie “Schatten”) ist meist sehr unangenehm oder schmerzhaft. Dennoch gehören auch sie zu uns. Erst wenn wir das akzeptieren, gewinnen wir jene Freiheit, die uns einen angemessenen Umgang mit ihnen ermöglicht. Letztendlich repräsentieren sie meist nur Bedürfnisse, die ernst genommen werden wollen…

Vielleicht sind in diesem Zusammenhang folgende Fragen hilfreich für Sie:

  • Wie würden Sie das Bild verändern, damit es freundlicher oder positiver auf Sie wirkt?
  • Was könnte eine solche Veränderung für Ihr eigenes Leben bedeuten?
  • Gibt es etwas, das Sie konkret dafür tun könnten?
  • Kurzum: Wie könnten Sie es schaffen, Ihrem Schatten in die Augen zu schauen?

Eine solche Reflexion wird wahrscheinlich nicht beim ersten Versuch dazu führen, dass Sie Ihren Schatten akzeptieren bzw. Ihre Scham überwinden. Deshalb lohnt sich jeder wiederholte Anlauf. Manche Dinge benötigen einfach etwas Zeit, die Sie sich durchaus dafür nehmen dürfen. Hilfreich ist es zudem, darüber mit einem Menschen zu sprechen, dem Sie sich anvertrauen können, ohne dabei Angst vor Ablehnung oder Abweisung haben zu müssen.

Hier finden Sie Psyche und Arbeit bei Facebook.