Rezension: „Logosynthese – Mit Worten heilen“ von Dr. Willem Lammers

willem-lammers-logosyntheseKönnen Worte heilen? Mit dieser spannenden und zugleich etwas wundersamen Frage beschäftigt sich die Logosynthese. Selbst arbeite ich mit meinen Klienten hauptsächlich lösungsorientiert und befasse mich im Rahmen meines Unterrichts vor allem mit Methoden der Kognitiven Verhaltenstherapie. Gerade in letzter Zeit wurde mir allerdings immer wieder von erfahrenen Therapeuten berichtet, wie wirksam auch andere Techniken sind. Also wagte ich einen Blick über den berühmten Tellerrand und fand dabei eine Methode, dessen Grundidee mich faszinierte. Hat Ihnen schon einmal jemand erzählt, er würde neben seinen Schuhen stehen? Oder haben Sie selbst sogar manchmal das unbestimmte Gefühl, als wäre ein Teil Ihrer Lebensenergie an einem anderen Ort platziert? Kennen Sie Menschen, die so tief verzweifelt sind, als wären sie gefangen in einem schwarzen Loch? Mit der Logosynthese bietet der Psychotherapeut Dr. Willem Lammers eine Erklärung für solche Phänomene an und beschreibt einen Weg, sie mittels einer einfachen Technik auflösen zu können.

Obwohl ich gelernt habe, Methoden, die nicht wissenschaftlich überprüft sind, sehr kritisch zu betrachten und mich eher von ihnen zu distanzieren, hat mich das von Dr. Willem Lammers herausgebrachte Praxisbuch für Beratung, Coaching und Psychotherapie über die Logosynthese neugierig gemacht. Während seiner beruflichen Tätigkeit als Psychotherapeut hat sich der Autor mit diversen Verfahren beschäftigt, ist dabei allerdings immer wieder an gewisse Grenzen gestoßen, die ihn dazu veranlasst haben, eine neue Technik zu entwickeln. Diese fußt auf diversen bekannten Modellen (Hypnotherapie, Transaktionsanalyse, NLP sowie der humanistischen, Tiefen- und Energiepsychologie) und beinhaltet grundlegende Annahmen, wie sie bereits in den Konzepten von Carl Gustav Jung, Viktor Frankl oder Roberto Assagioli zu finden sind. Nach einer theoretischen Einführung folgt eine detaillierte Beschreibung der Arbeitsweise, die mehrere Schritte umfasst. Die ersten drei davon sind mit anderen Verfahren vergleichbar: 1. Aufbau der Arbeitsbeziehung, 2. Einholen von Informationen, 3. Klärung und Festlegung relevanter Themen. Hierbei finden Entspannungsübungen und Techniken aus der kognitiven Verhaltenstherapie sowie aus der Transaktionsanalyse Anwendung. Für die Aktivierung von traumatischen Ereignissen und deren Verarbeitung bietet der Autor dann einen etwas ungewöhnlichen Weg an, und lädt seine Klienten, nachdem diese sich mit den grundlegenden Prinzipien der Methode vertraut machen konnten, zu einem Experiment ein.

Doch was geschieht dabei genau? Es wird davon ausgegangen, dass Menschen ein Energiefeld haben, das u. a. aus Abbildern von Personen bzw. entsprechenden Sinnesrepräsentationen (Introjekten) besteht, die in der Vergangenheit eine emotionale Bedeutung hatten, und auf die man mit konditionierten Automatismen reagiert, als wären sie real. Werden die körperlichen oder psychischen Bedürfnisse von Kindern nicht erfüllt, entwickeln sie Reaktionen auf die Abbilder der sie umgebenden Autoritäten, mittels derer sie sich davor schützen, (erneut) unangenehme Überraschungen erleben zu müssen. Durch das Aussprechen bestimmter Sätze lassen sich diese dem Autor zufolge wieder neutralisieren, was vor allem dann sinnvoll erscheint, wenn sie uns beeinträchtigen und zu psychischen Problemen (wie Angst oder Erstarrung) führen.

Durch die Einbindung des Konzeptes der Essenz, also jenem größeren Ganzen, in das der Mensch eingebettet ist und durch dessen Verlust an Bewusstheit Leid entsteht, bekommt das System der Logosynthese einen spirituellen Anstrich. Sympathisch finde ich, dass Skeptikern dazu geraten wird, die Ausführungen wie eine Art inspirierende Science-Fiction zu betrachten, und dass das Modell als EIN Baustein einer ganzen Kette von Interventionen im Sinne einer begleiteten Veränderung zu betrachten sei. Immer wieder betont Dr. Lammers, dass die Anwendung, so einfach sie auch zunächst erscheinen mag, mit einer hohen Verantwortung des Durchführenden einhergeht und die Kenntnis darüber keine therapeutische Ausbildung ersetzt. So setzt es eine gewisse Erfahrung in der professionellen Begleitung von Veränderungsprozessen und ein umfangreiches psychologisches Wissen voraus, die verschiedenen Grade einer aus erlebtem Leid hervorgegangenen Dissoziation richtig zu entschlüsseln, um sie gemeinsam mit dem Klienten auflösen zu können. Das Ziel ist es, die gebundene Lebensenergie wieder zum Fließen zu bringen und auf diese Weise die eigene Entwicklung zu ermöglichen.Die Vorgehensweise wird in dem Buch detailliert beschrieben und es finden sich viele Tipps und Formulierungshilfen darin, mittels derer die Logosynthese handhabbar wird und sich mühelos im Coaching oder in der Therapie einsetzen lässt. „Die Methode […] wird […] erst nach sorgfältiger Klärung und Diagnose angewendet“ (S. 99). Wichtig ist es, dabei in kleinen Schritten vorzugehen, um den Klienten nicht zu überfordern bzw. um größere Veränderungen adäquat vorzubereiten. Dr. Lammers nennt dieses Vorgehen die „Salami-Technik“. Er rät zudem dazu, das „Tauchlehrer-Prinzip“ zu beachten, also mit anderen nicht tiefer zu gehen, als man selbst schon einmal getaucht ist. Damit wird er seiner Verantwortung als Psychotherapeut gerecht und unterscheidet sich auf sympathische Weise von jenen Autoren, die ihre Methoden großspurig anpreisen und diese über denjenigen stellen, der sie anwendet.Abschließend lässt sich Dr. Lammers buchstäblich über die Schulter gucken, stellt Fälle aus seiner eigenen Praxis vor und lässt das Modell auf diese Weise lebendig werden. Sehr hilfreich sind zudem die Erläuterungen der Fachbegriffe am Ende des Buches, mittels derer man sich die zentralen Begriffe und Ideen schnell einverleiben und immer wieder ins Gedächtnis rufen kann. Die Erläuterungen sind auch für Laien leicht verständlich. Dass der Autor Humor hat, beweist er zum Beispiel durch einen Hinweis darauf, dass es bei einer Skala von eins bis zehn keine elf gibt.

Doch was soll man nun davon halten? Diese Frage kann und möchte ich an dieser Stelle nicht beantworten, um die Einfachheit der Methode aber einmal zu skizzieren, ein eigenes Erlebnis anführen: Als ich das Buch las, saß ich in einem Zug und war gerade bei der Erörterung der Essenz angekommen, da platzierte sich ein Kerl neben mir, der durch sein Verhalten (und durch die befremdlichen Grunzlaute, die er immer wieder von sich gab) ein Gefühl von Ablehnung in mir auslöste. Ich konnte mich nicht mehr konzentrieren, wurde aggressiv und fühlte mich unwohl. Da ich ja sozusagen gerade im Thema war, entschied ich mich dazu, einen Selbstversuch zu starten. Also sprach ich jene Sätze in Gedanken vor mich hin, die der Autor vorschlägt, um „gebundene Energien“ zu lösen: „Ich nehme alle meine Energie, die in der Repräsentation von diesem Typ gebunden ist, an den richtigen Ort in mir selbst zurück. Ich entferne alle Fremdenergie im Zusammenhang mit der Repräsentation von diesem Typ aus allen meinen Zellen, aus meinem Körper und aus meinem persönlichen Raum und schicke sie dorthin, wo sie wirklich hingehört. Ich nehme alle meine Energie, die in allen meinen Reaktionen auf die Repräsentation von diesem Typ gebunden ist, an den richtigen Ort in mir selbst zurück.“ Zwischen den Sätzen machte ich jeweils eine Pause und ließ sie kontemplativ auf mich wirken. Was dann geschah, überraschte mich. Nach dieser kurzen Prozedur war ich entspannter und das Verhalten meines Nachbarn störte mich nicht mehr. Es hat gewirkt. Ob nun ein Placebo-Effekt oder das Ergebnis einer wirkenden Logosynthese ursächlich dafür war, sei einmal dahingestellt…

Dem möglichen Einwand, dass eine solche Modell, die unserem wissenschaftlichen Mainstream-Denken nicht entspricht, ja wohl keine Rezension wert sei, lässt sich Folgendes entgegnen: Auch die Hypnotherapie von Milton Erickson arbeitet mit eigentümlichen Sprachmustern, wird von vielen Experten sehr geschätzt und ist zudem eine der Quellen, aus der heraus das lösungsorientierte Arbeiten entwickelt wurde. Zudem kann es als fraglich betrachtet werden, ob sich die westliche Welt der Erforschung spiritueller Konzepte, wie dem der Essenz, noch lange verschließen kann? In anderen Regionen (z. B. in weiten Teilen Asiens) sind derartige Modelle bereits seit langer Zeit fest in den wissenschaftlichen Kontext eingebunden und nicht wegzudiskutierende Bestandteile des Menschenbildes.

Auf die sich mir aufdrängende Frage, wie es durch die Arbeit mit einfachen Sätzen (bzw. durch das Wirken dieser) zu einer Reaktivierung der Essenz (bzw. zu einer wieder frei fließenden Energie) komme, erhielt ich von Dr. Lammers folgende Antwort: „Ich habe da keine Idee, weil dieser Mechanismus das [gängige] Weltbild sprengt. Die aktuelle Wissenschaft ist deterministisch, reduktionistisch und materialistisch, und die Logosynthese ist genau das Gegenteil. Deshalb versuche ich das Ganze mithilfe von Energiemetaphern zu vermitteln. Ich habe aber nicht die Illusion, dass mein Buch die vorherrschenden Paradigmata so weit auf den Kopf stellen kann, dass es irgendjemanden zu meiner Weltsicht bekehren könnte. Das Buch ist gedacht für die zunehmende Zahl derjenigen, die mit dem orthodox-religiösen Charakter des wissenschaftlichen Mainstreams nicht viel anfangen können.“

Alles in allem kann ich sagen, dass ich durch das Lesen dazu angeregt wurde, mich weiterhin mit alternativen Ansätzen zu befassen. Obwohl ich es auch künftig so halten werde, bevorzugt mit Methoden zu arbeiten, deren Wirkmechanismus für mich nachvollziehbar und erklärbar ist, kann ich dieses Buch jedem zur Erweiterung des eigenen Horizonts empfehlen. Es ist inspirierend und interessant geschrieben. Zudem habe ich großen Respekt vor dem Mut, der dazu gehört, sich mit eigenen Ideen über gängige Lehrmeinungen hinwegzusetzen. Die angenehm selbstkritischen Hinterfragungen und die vielen Fallbeispiele haben mich davon überzeugt, dass Herr Dr. Lammers ein ausgezeichneter Psychotherapeut ist, dem das Wohl seiner Klienten am Herzen liegt.

Willem Lammers. Logosynthese. Mit Worten heilen. Praxisbuch für Beratung, Coaching und Psychotherapie. VAK Verlags GmbH (2014).

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