Rezension: „Handbuch Schlüsselkonzepte im Coaching“ von Siegfried Greif, Heidi Möller & Wolfgang Scholl (Hrsg.)

Dass die Vermittlung von wissenschaftlichen Erkenntnissen in einigen Coaching-Ausbildungen zu wenig Raum einnimmt oder diese kaum berücksichtigt werden, kann ich zumindest aus eigener Erfahrung bestätigen. Deshalb wurde ich neugierig, als ich davon hörte, dass Prof. Dr. Siegfried Greif, Prof. Dr. Heidi Möller und Prof. Dr. Wolfgang Scholl ein Handbuch mit Beiträgen von Fachexpertinnen und -experten aus Wissenschaft und Praxis herausgebracht haben, „das aktuelles, wissenschaftlich fundiertes und praktisch anwendbares Fachwissen für Coaches und Coachingausbildungen zusammenstellt.“ Während ich mich im Laufe der vergangenen Monate durch etliche Artikel dieses dicken Wälzers arbeitete, drängte sich mir immer wieder die Frage auf, wie viel von all dem ich ohne mein Psychologie-Studium wahrscheinlich nicht gewusst hätte? Der Anspruch der Herausgeber ist m. E. also recht hoch, und das ist er aus gutem Grund, wie zum Beispiel schon im ersten Kapitel deutlich wird, in dem es um Coachingdefinitionen und -konzepte geht.

In den 70 Beiträgen äußern sich ausgewiesene Fachexperten/innen verschiedener Länder und Disziplinen zu grundlegenden Schlüsselkonzepten, die im Coaching eine Rolle spielen, und zeigen auf, wie sich dieses Wissen praktisch anwenden lässt. Eine Auflistung der Kapitel inklusive kurzer Leseproben finden Sie auf der Seite des Verlags (hier: https://www.springer.com/de/book/9783662494813). Die Beschreibung weckte bei mir die Erwartung, einen fundierten Überblick über den aktuellen Forschungsstand an die Hand zu bekommen, also eine Art „Nachschlagewerk“, mit dem ich meine eigene Argumentation hier und da ggf. ein Stück weit optimieren könne. Da – wie im Vorwort gesagt wird – nicht davon ausgegangen wird, dass die LeserInnen das Handbuch (das mit über 650 Seiten übrigens recht umfangreich ist) von vorn bis hinten lesen, habe ich das auch (noch) nicht getan. Hineingeschaut habe ich allerdings bereits mehrfach und etliche Artikel gelesen, in denen es um Themen ging, die mich beruflich beschäftigen. Die Auswahl jener Modelle und Theorien, die von den Autoren/-innen in den jeweiligen Zusammenhängen erwähnt werden, halte ich insgesamt für sehr gelungen.

Zu Beginn wusste ich allerdings nicht so recht, was ich damit genau anfangen sollte… Obwohl mir viele Artikel inhaltlich zwar zusagten, irritierte es mich, dass sie so kurz waren. Aber wie hätten die Herausgeber es ansonsten auch schaffen können, so viele Themen in einem Buch unterzubringen? Mich hat es jedenfalls dazu angeregt, mich über das ein oder andere Thema genauer zu informieren. So bin ich zum Beispiel auf eine Übung von Maja Storch und Julius Kuhl aufmerksam geworden, die ich noch nicht kannte: das Wunderrad. Sie wird in dem Buch nicht näher erläutert, ließ sich aber mühelos im Internet finden.

Gut gefallen hat es mir, dass in den einzelnen Kapiteln stets Fallbeispiele aufgeführt sind, anhand derer die Anwendungsmöglichkeiten der besprochenen Theorien verdeutlicht werden. Warum das sinnvoll ist, selbst dann, wenn man mit den Modellen bereits weitgehend vertraut ist, möchte ich am Beispiel des Kapitels „Affekte und Handlungsregulation beim Coaching“ von Anne Maria Engler und Julius Kuhl aufzeigen: Darin wird auf Grundlage der PSI-Theorie bspw. erklärt, wie man Menschen optimal unterstützt, (wieder) ins Handeln zu kommen bzw. der Prokrastination ein Ende zu bereiten. Da auch ich gelegentlich dazu neige, gewisse Aufgaben vor mir herzuschieben, wie z. B. das Schreiben dieser Rezension, habe ich eine Vorstellung davon, wie sich das für die Betroffenen anfühlt. Um Intentionen umzusetzen bzw. um ihren Transfer vom Intentionsgedächtnis in das intuitive Verhaltenssteuerungssystem zu ermöglichen, braucht es die Willensbahnung, d.h. einen selbst- oder fremdgenerierten positiven Affekt. Es geht also vor allem um die Förderung der Fähigkeit, sich selbst (für unliebsame Aufgaben) zu motivieren. Der Lösungsweg besteht nun aber nicht ausschließlich darin, Klienten dabei zu helfen, sich unliebsame Aufgaben schönzureden oder wenigstens einen (neuen) Blickwinkel einzunehmen, der es ermöglicht, die Erledigung positiver zu bewerten, damit sie künftig weniger Unlustgefühle auslöst. Obwohl man sich dann zwar – was sehr verführerisch ist – auf die Methoden der kognitiven Umstrukturierung aus der Verhaltenstherapie berufen könnte, die für solche Anlässe verschiedene Disputations- und Fragetechniken im Angebot hat, ist das nicht immer hilfreich. Das erste Fallbeispiel aus diesem Kapitel verdeutlicht, dass es manchmal unerlässlich ist, unangenehme Themen (z. B. die Frustrationstoleranz) anzusprechen oder sich den Kontext und die Rahmenbedingungen eines problematischen Verhaltens genauer anzuschauen, um Klienten/-innen dabei zu helfen, zu ihrem Ziel zu gelangen und der Aufschieberitis ein Ende zu bereiten.

In den verschiedenen Artikeln werden also die wesentlichen Modelle und Theorien besprochen, die man kennen sollte, wenn man sich mit bestimmten Themen befasst. Ein umfassender Überblick über den wissenschaftlichen Diskurs, der hier und da noch im Gange ist, lässt sich in dieser Kürze allerdings nur schwerlich abbilden. Von daher könnte man an der ein oder anderen Auswahl gewiss auch etwas auszusetzen haben. So geht zum Beispiel das Kapitel „Burnout: Merkmale und Prävention im Coaching“ u. a. auf die Arbeiten von Prof. Dr. Matthias Burisch ein, den ich hinsichtlich dieser Thematik zu meinem “geistigen Vater” erkoren habe. Da über das Phänomen „Burnout“ in den vergangenen Jahren äußerst kontrovers diskutiert wurde, hätte das auch anders sein können.

Coaching ist ein weites Feld. Das wurde mir in diesem Werk nochmals ganz deutlich vor Augen geführt. Die Auswahl der Themen, mit denen sich die Autoren/-innen in den einzelnen Artikeln befassen, bildet das Spektrum der in den jeweiligen Zusammenhängen wesentlichen Aspekte m. E. gut ab.

Wenn ich wollte, könnte ich jetzt also noch wesentlich mehr schreiben. Sinnvoller ist es aber, Sie schauen sich das Buch selbst an, wenn Sie mehr erfahren möchten. Mich hat es jedenfalls inspiriert, und es wird mir voraussichtlich noch eine ganze Weile als Nachschlagewerk dienen.

  • Siegfried Greif, Heidi Möller & Wolfgang Scholl (Hrsg.). Handbuch Schlüsselkonzepte im Coaching. Springer-Verlag GmbH, 2018.

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