“Mein ganz persönliches Projekt”

Leben Sie auch, oder arbeiten Sie nur? Manche Menschen sind so sehr auf ihre beruflichen Ziele fokussiert, dass sie ihr Privatleben vernachlässigen oder es sogar gänzlich aus den Augen verlieren. Das kann die Lebensqualität auf Dauer enorm beeinträchtigen und birgt zudem das Risiko, dass sie sich vom beruflichen Erfolg so sehr abhängig machen, dass sich jeder Misserfolg so anfühlt, als würde ihnen der Boden unter den Füßen weggezogen.


Exkurs: Persönliche Projekte

Das Wissen über die Arten von Zielen, die Individuen in sozialen Interaktionen verfolgen, ist hilfreich und bedeutsam für das Verständnis von Persönlichkeiten. Dabei lassen sich hierbei nomothetische Ansätze, die Motivdispositionen oder soziale Motive als andauernde, affektiv getönte kognitive Cluster betrachten, von idiographischen Ansätzen, wie z. B. den von Little (1983) unterscheiden. Die Differenzierung dieser beiden Forschungsrichtungen ist deshalb wichtig, da angenommen wird, dass Motive sich größtenteils in der Lebensphase vor dem Spracherwerb herausbilden und das Individuum fortan durch den Einfluss dieser in der Vergangenheit liegenden Erfahrungen angetrieben wird, während die in der Zukunft liegenden Ziele, nach deren Erreichen oder Vermeiden eine Person trachtet, im Unterschied dazu durch die Methode der direkten Befragung erfasst werden können. Es wird davon ausgegangen, dass es eine begrenzte Anzahl von Motiven gibt, die bei verschiedenen Individuen mehr oder weniger stark ausgeprägt sind und sich in Abhängigkeit von situationalen Bedingungen im Verhalten manifestieren. Little (1983) sieht in seinem Konstrukt der “persönlichen Projekte” – eine Sequenz von Handlungen, die zum Erreichen eines persönlichen Zieles vollführt werden – eine Möglichkeit, menschliches Verhalten zu beschreiben und vorherzusagen.

Literatur: Little, B.R. (1983). Personal projects. A rationale and method for investigation. Enviroment and Behavior, 15, 273-309.


Unser Berufsleben allein wäre kein sehr glücklicher Zustand, hätten wir nicht unser Privatleben daneben …

Bei dieser Übung, die sich z. B. mit ausgewählten Karten aus der „Personality Toolbox“ gut durchführen lässt, geht es darum, Klienten zu ermutigen, ihr Privatleben durch die Initiierung eines persönlichen Projekts aktiver zu gestalten bzw. es bewusst umzugestalten.

  • Anlass: Ressourcen im Privatleben aktivieren / Steigerung der Lebensqualität
  • Material: Karten der Kategorien Privat, Denken und Fühlen (Personality Toolbox)

Tipp: Ersetzen Sie die Karten „Kontrolle“ und „Unabhängigkeit“ aus der Kategorie Privat durch die Karten „Spiritualität“ und „Liebe“ aus der Kategorie Seele.

Schritt 1: Themenfindung

  • Geben Sie für die 15 Karten der Kategorie Privat (siehe oben) auf einer Skala von 1 bis 10 an, wie zufrieden Sie mit diesem Aspekt in Ihrem Privatleben bereits sind. Stellen Sie sich herfür bspw. vor, die obere Tischkante würde den Skalenwert 10 darstellen und die untere den Skalenwert 1. Verteilen Sie die Karten nun so auf dem Tisch, wie es sich für Sie stimmig anfühlt.
  • Schauen Sie sich jene drei bis vier Karten genauer an, bei denen Sie die niedrigsten Skalenwerte angegeben haben und entscheiden Sie, in welchem Bereich Sie in der nächsten Zeit gern auf einen (deutlich) höheren Skalenwert gelangen möchten.

Tipp: Lassen Sie sich die Skalenwerte erläutern, die für die einzelnen Aspekte vergeben werden. Auf diese Weise lernen Sie Facetten der Lebenswelt Ihrer Klienten/-innen kennen, über die im Beratungskontext ansonsten vielleicht eher selten gesprochen wird.

Schritt 2: Ortsbegehung & Zukunftsvision

  • Warum haben Sie sich für diese Karte entschieden?
  • Wo stehen Sie jetzt? Wie sieht es hinsichtlich dieses Aspektes zurzeit bei Ihnen aus? Was motiviert Sie dazu, in diesem Bereich etwas zu verändern?
  • Wo möchten Sie hin? Was genau wollen Sie verändern? Wie möchten Sie diesen Aspekt künftig gestalten? Entwickeln Sie eine Zukunftsvision und beschreiben Sie diese möglichst detailliert.
  • Was unterscheidet Ihren IST- von dem SOLL-Zustand?
  • Was würde mir an Ihnen auffallen, wenn Sie Ihren SOLL-Zustand bereits erreicht hätten?

Tipp: Versuchen Sie, Ihre Klienten/-innen zu ermutigen, ihre Zukunftsvision so konkret wie möglich zu formulieren. Hierfür bieten sich verschiedene Fragetechniken an (z. B. Verflüssigungs- bzw. Konkretisierungsfragen).


Exkurs: Verflüssigungs- bzw. Konkretisierungsfragen

  • Neigen Klienten zu generalisierenden bzw. kategorischen Aussagen oder bleiben Erklärungen bzw. Beschreibungen vage, kann eine Hinterfragung zu einem besseren Verständnis (für beide Seiten) beitragen und dazu dienen, Lösungsoptionen sichtbar zu machen.
  • Beispiele: „Was meinen Sie genau damit?“, „Wann genau?“ „Unter welchen Umständen?“

Literatur: Günter G. Bamberger (2015). Lösungsorientierte Beratung (5. Auflage). Beltz Verlag.


Schritt 3: Denken und Fühlen

  • In den Kategorien Denken und Fühlen sind verschiedene Eigenschaften aufgeführt, die für das Erreichen des SOLL-Zustands mehr oder weniger hilfreich sein könnten. Wählen Sie aus beiden Kategorien jeweils zwei Eigenschaftswörter aus, die Ihnen hinsichtlich der gewünschten Veränderung besonders bedeutsam erscheinen.
  • Beginnen Sie mit der Kategorie Denken und erörtern Sie, warum Sie diese beiden Karten ausgewählt haben, bevor Sie sich der Kategorie Fühlen widmen.

Tipp: Diese Instruktion wurde bewusst etwas mehrdeutig formuliert. Was unter „besonders bedeutsam“ zu verstehen ist, sollten Sie nicht näher erläutern, sondern es Ihren Klienten überlassen, wie sie das interpretieren. Wenn Sie anschließend über die ausgewählten Karten sprechen, erhalten Sie dadurch wichtige und manchmal überraschende Einblicke in die Wirklichkeitskonstruktionen Ihrer Klienten.

Schritt 4: Entwicklungsaufgaben und Handlungsoptionen

  • Erläutern Sie, warum Sie diese vier Begriffe ausgewählt haben.
  • Formulieren Sie zu jedem dieser Begriffe eine Entwicklungsaufgabe, die Sie bewältigen sollten, um sich Ihrer gewünschten Zukunft anzunähern.
  • Leiten Sie daraus konkrete Handlungspläne ab.

Tipp: Bemühen Sie sich darum, die Handlungspläne so konkret wie möglich formulieren zu lassen: Was? Wie? Wann? Auch sollten Sie sich nicht immer mit der erstbesten Antwort zufrieden geben, sondern die ein oder andere “Und-was-noch?”-Frage stellen.

Schritt 5: Risiken und Hindernisse

  • Welche Risiken sind mit der gewünschten Entwicklung bzw. mit Ihrem Vorhaben verbunden?
  • Wer könnte sich Ihnen in den Weg stellen? Warum würde er oder sie das vielleicht tun? Wie könnten Sie es schaffen, sich mit dieser Person zu verbünden oder sie wenigstens zu besänftigen?
  • Welche Hindernisse könnten auf Ihrem Weg liegen bzw. mit welchen Schwierigkeiten könnten Sie es zu tun bekommen? Wie können Sie diese überwinden, wenn sie auftauchen?

Tipp: Lassen Sie Ihre Klienten „Wenn-dann-Pläne“ entwickeln, damit es ihnen gelingen kann, ihr Vorhaben selbst bei auftretenden Schwierigkeiten aktiv weiterzuverfolgen, also am Ball zu bleiben.

Schritt 6: Fazit

  • Welche Erkenntnisse haben Sie aus diesem Gespräch gewonnen?
  • Was sind Ihre nächsten Schritte?

Tipp: Bitten Sie Ihre Klienten darum, sich die wichtigsten Erkenntnisse kurz zu notieren, und fragen Sie, ob sie sich vielleicht ein Foto von den bearbeiteten Karten machen möchten? Fragen Sie beim nächsten Termin danach, wie die Umsetzung bislang gelungen ist, und besprechen Sie dann die nächsten Schritte.

“Ein Leben ohne Freude ist wie eine weite Reise ohne Gasthaus.” Demokrit

Kartenset: E. Rauschert & U. Schirrmacher (2018). Personality Toolbox. ManagerSeminare Verlag.

PS: Eine weitere Idee, wie Sie mit den Karten aus der Personality Toolbox arbeiten können, finden Sie hier: Das Leben ist eine Baustelle!

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